Nord-Nordwest mit halber Kraft. Arno Alexander
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Читать онлайн книгу Nord-Nordwest mit halber Kraft - Arno Alexander страница 8
„Maud Kassala. Ich habe neben ihr gestanden, als sie sich von ihrem Vater verabschiedete. Ich hörte den Namen Leith ... Ich glaube aber nicht, dass die Kassala Ihnen den Mann verraten wird ...“
„Unsinn! Verraten! Wieso verraten? Ich will mit dem Mann ein Geschäft machen ... Sie soll ihn mir nennen ...“
„Sie wollen ihm Steine geben? Das wird nicht viel helfen. Die Inspektoren, die sich bestechen lassen, schicken nicht erst solche Funknachrichten nach London. Und dann ... Wenn Sie wüssten, wer Leith ist, hätten Sie es kaum nötig, ihn zu bestechen. Ein Matrose, der ihn nachts über Bord stösst, ist billiger. Das weiss auch Leith.“
Eine heftige Woge schlug gegen die Schiffswand, und durch das immer noch offene Fenster spritzte Wasser herein. Prochorow stand auf und schraubte das Fenster zu.
„Und ... was dachten Sie bei der ganzen Sache zu tun?“ fragte er.
„Wenn Sie mir den zehnten Teil Ihrer Steine geben, sorge ich dafür, dass weder diese noch ähnliche Funknachrichten des Inspektors London erreichen.“
Prochorow dachte nach. Nein, es war ihm sofort klar, dass dies allein nicht genügte. Ohne Zweifel gab es einen zweiten Funker, der Toole ablöste. Auch diesen müsste man kaufen. Fürs erste mochte das genügen. Dann würde es schon notwendig sein, dem Inspektor falsche Nachrichten aus London in die Hände zu spielen. Möglich, dass für solche Nachrichten ein Kennwort vereinbart war, von dem sie nichts wussten. Dann half nichts mehr. Der Inspektor konnte ihn jederzeit verhaften lassen, und er würde es bestimmt tun, sobald ihm etwas verdächtig erschien. Nein, nein, es musste etwas ganz anderes unternommen werden, etwas viel Entscheidenderes.
Aufatmend blieb er vor Toole stehen und sah ihn durchdringend an.
„Ich habe einen Plan“, sagte er langsam. „Wir müssen das ganze Schiff haben, und es dann an die Küste eines neutralen Landes bringen ...“
„Eine Meuterei?“ fragte der Funker entsetzt.
„Man kann es auch so nennen. Ja, natürlich: eine Meuterei ... Jeder Matrose, jeder Heizer, kurz: jeder der mitmacht, soll soviel Steine bekommen, dass er für sein Leben ausgesorgt hat ...“
„Vor fünf Monaten meuterte die Mannschaft der ‚Aberdeen’“, sagte Toole leise. „Es war Geld an Bord, und das wollten die Leute haben. Die Meuterei gelang. Der Dampfer war drei Tage lang in den Händen der Meuterer, dann ...“
„Dann?“
„Dann gab es eine zweite Meuterei. Ein Kriminalbeamter, den niemand kannte, hatte im geheimen einen Teil der Meuternden überredet, wieder Ordnung zu schaffen. Er sagte ihnen Straffreiheit zu, und die Leute hatten Angst.... Sie legten die Anführer in Ketten und brachten den Dampfer nach Portsmouth. Die Hauptschuldigen wurden hingerichtet, die übrigen kamen ins Zuchthaus.... Ich glaube nicht, dass Ihre Steine die Mannschaft zum Meutern bringen werden, solange sie nicht weiss, wer dieser Leith ist ...“
Prochorow stöhnte verzweifelt.
„Immer dieser Leith!“ rief er. „Aber wir brauchen doch nicht denselben Fehler zu machen, den die Leute auf der ‚Aberdeen‘ begingen. Wir werden diesen Inspektor finden. Ich stehe dafür ein. Sobald der Dampfer in unserem Besitz ist, werden wir es feststellen. Und — wenn alle Mittel versagen, bringen wir die Kassala mit Gewalt zum Sprechen ...“
In den Augen des Funkers leuchtete es auf.
„Das ist es!“ sagte er. „Richtig. Wenn man Gewalt anwendet, wird sie es sagen. Das werden auch die Leute begreifen ... Ich werde mit ihnen sprechen. Aber ... erst muss ich meine Steine haben ... sonst ...“
„Sie bekommen Ihre Steine“, versetzte Prochorow böse. „Morgen ...“ Bis morgen würde er die weniger wertvollen Stücke ausgesucht haben.
„Nein. Heute, sofort.“
„Aber wenn ich Ihnen doch verspreche ...“
„Gut. Morgen“, unterbrach ihn Toole. „Von dem Augenblick an, wo ich die Steine habe, können Sie auf mich zählen. Bis dahin tue ich natürlich meine Pflicht. Dazu gehört auch, dass ich diese Funknachricht sofort nach London weitergebe ...“
Prochorow sah den Mann prüfend von der Seite an. War das derselbe Mann, der bei seinem Eintritt vor Aufregung kaum hatte sprechen können? Ah, dieser Mann hatte keine Furcht mehr, wenigstens nicht vor Prochorow. Und je länger der Juwelenhändler in das pockennarbige Gesicht sah, um so mehr begriff er, dass er diesem Mann genau den zehnten Teil seiner Steine geben musste. Nicht einen Stein weniger. Es war das eigensinnige Gesicht des verschlagenen irischen Bauern, und den irischen Bauern kannte Prochorow gut.
Da öffnete er seufzend den Koffer, und gleich darauf sah er die gierigen Hände dieses Mannes nach den Steinen greifen.
„Halt!“ schrie Prochorow wütend. „Wie denken Sie sich das? Ich werde Ihnen den zehnten Teil zurechtlegen ...“
„Nein, nein“, sagte Toole. „Die Steine haben verschiedenen Wert. Sie wissen Bescheid, ich nicht. Darum werde ich teilen ...“
„Damit kann ich mich keinesfalls einverstanden erklären“, jammerte Prochorow.
Toole richtete sich auf.
„Wie Sie wünschen. Die Funknachricht ...“
„Hören Sie auf!“ Prochorow hielt sich die Ohren zu. „Also gut, teilen Sie! ...“
Seit fünfundzwanzig Jahren handelte Prochorow mit Juwelen. Nicht immer waren es gestohlene Steine gewesen. Er hatte an Grafen und Fürsten verkauft, die jeden Stein mit jener liebevollen Sorgfalt behandelten, die sofort den Kenner verriet; er hatte aber auch an Neureiche und an Bauern verkauft, die ihre Steine roh und gewalttätig anpackten und ohne viel Umstände in die geräumigen Taschen versinken liessen. Noch nie aber hatte er einen Menschen mit den kostbaren Steinen so umgehen sehen wie diesen Toole. Er hatte alle Steine auf die Bettdecke geschüttet und zählte sie ab wie Kartoffeln oder grüne Äpfel. Neun Steine, ob gross oder klein, flogen aufs Kopfkissen; der zehnte, ob gross oder klein, auf sein daneben ausgebreitetes, schon arg mitgenommenes buntkariertes Taschentuch.
Prochorow war dem Weinen nahe. Er liebte seine Steine. Noch mehr aber liebte er sein Leben und seine Freiheit.
5.
Die Vorbereitungen der Meuterei blieben dem Schiffskommando nicht verborgen. Dass etwas nicht stimmte, erkannte Grady schon nach einigen Tagen an dem düsteren Ernst und der geradezu vorbildlichen Gewissenhaftigkeit, mit der die zum grössten Teil farbige Mannschaft allen seinen Befehlen nachkam, an dem jähen Verstummen der Lieder, die sonst allabendlich aus den Mannschaftsräumen klangen, und an der Tatsache, dass es keinen betrunkenen malaiischen Matrosen oder Heizer mehr gab. Grady kannte diese Leute: Weder durch Strenge noch durch Güte waren sie vom Trinken abzuhalten. Es musste schon etwas Besonderes sein, was sie bewog, plötzlich abstinent zu sein. Meldungen über Zusammenrottungen von Malaien, die sofort auseinandergingen, sobald ein Offizier oder ein weisser Matrose auftauchte, vervollständigten das Bild.
Grady nahm die Sache nicht auf die leichte Achsel. Die Erinnerung an die Vorgänge an Bord der „Aberdeen“ war in ihm noch lebendig, und er hatte vor allem nicht vergessen, dass die spätere Gerichtsverhandlung ergab, die Meuterei wäre nie geglückt, wenn der Kapitän nicht bis zum letzten Augenblick geglaubt hätte, es nur mit einer Verstimmung