Erlösung und Utopie. Michael Löwy

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Erlösung und Utopie - Michael Löwy

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anderer Aspekt, der berücksichtigt werden muß, ist die ungeheure Macht und Autorität der orthodoxen Rabbiner und der chassidischen Zaddikim innerhalb der traditionalistischen Gemeinden des Ostens, die in Mitteleuropa nichts Gleichwertiges kennt. Daraus erwächst ein offener Konflikt zwischen der rebellischen Jugend, die dem Bund angehörte, sozialistisch oder anarchistisch war, und dem religiösen Establishment. »Da sie sich bedroht fühlten, reagieren die traditionellen Kreise oft mit offener oder heimtückischer Gewalttätigkeit, versuchen, ihre Sache mit allen Mitteln zu verteidigen, üben moralischen Druck und intellektuellen Terror aus … Vom kulturellen Erbe der religiösen Traditionen ist die Jugend durch und durch geprägt … Aber sie will frei werden von den Gesetzen, will die Fesseln nicht mehr tragen. Sie wirft es gewaltsam ab und setzt diesem Erbe ihre eigene Kultur entgegen. Es ist ihr innerer Feind.«33

      In diesem Zusammenhang entwickelt sich bei den progressiven jüdischen Intellektuellen ein heftiger »Antiklerikalismus«, von dem polemische Artikel, autobiographische Werke und Romane unerschöpflich Zeugnis ablegen.

      Da er direkt mit einem Traditionalismus konservativster und autoritärster Prägung konfrontiert wird, kann der junge rebellische Jude aus Rußland oder Polen nicht diesen »romantisieren«, wie das in Deutschland oder Österreich möglich wäre. Diese Distanz, die eine im Benjaminschen Sinne auratische Wahrnehmung der Religion begünstigt, ist in Osteuropa nicht vorhanden.

      Dieses Zitat macht die Motive der osteuropäischen revolutionären Intelligenz deutlich und zeigt, daß sich aus ihrer Mitte niemals eine geistige Strömung hätte entwickeln können, die jener in Mitteleuropa vergleichbar war.

      Der einzige jüdische Intellektuelle des Zarenreichs, dem Religion und Spiritualität am Herzen liegen, konvertiert zum orthodoxen Christentum: Nikolai Maximowitsch Minski (N. M. Vilenkin) engagiert sich in der mächtigen Bewegung religiöser und revolutionärer Renaissance, die sich in St. Petersburg um die Jahrhundertwende um D. S. Mereschkowski, Zinaida Gippus, Nikolai Berdjajew und S. N. Bulgakow entwickelt hat. (Die »Konstrukteure Gottes« der bolschewistischen Partei, Bogdanow und Lunatscharski, sind im Zusammenhang mit dieser religiösen Renaissance ebenfalls von Bedeutung.)

      1Vgl. Pierre Guillen: L’Allemagne de 1848 à nos jours, Paris 1970, S. 58ff.

      2Zum Begriff, seiner soziologischen Bedeutung und seiner verschiedenen Erscheinungsformen verweise ich auf meine Publikationen: Marxisme et Romantisme révolutionnaire. Essais sur Lukács et Rosa Luxemburg, Paris, Ed. du Sycomore, 1979; Pour une sociologie des intellectuels révolutionnaires, Paris, PUF, 1976.

      3Vgl. Fritz Ringer: Die Gelehrten. Der Niedergang der deutschen Mandarine 1890–1933, Stuttgart 1983, S. 12f.

      4Vgl. Gershom Scholem: »Zur Sozialpsychologie der Juden in Deutschland 1900–1933«, Judaica IV, Frankfurt am Main 1984, S. 232.

      5Vgl. Walther Rathenau: Ein preussischer Europäer. Briefe, (Hg: M. von Eynern), Berlin 1955, S. 146.

      6Vgl. Gershom Scholem: »Zur Sozialpsychologie …«, S. 239.

      7Vgl. Franz Rosenzweig: Briefe, Berlin 1935, S. 474.

      8Vgl. Moritz Goldstein: Deutsch-jüdischer Parnaß, Der Kunstwart (Hg: Ferdinand Avenarius), 25. Jahrgang, 2. Viertel, Erstes Märzheft 1912, Heft 11, S. 286, 291.

      9Vgl. Max Weber: Grundriß der Sozialökonomik, III. Abt.: Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1947, S. 282.

      10Vgl. Hannah Arendt: The Jew as Pariah: Jewish Identity and Politics in the Modern Age, New York 1978, S. 68.

      11Vgl. Friedrich Paulsen: Die deutschen Universitäten und das Universitätsstudium, Berlin 1902, S. 149f.

      12Vgl. Ismar Elbogen: Die Geschichte der Juden in Deutschland, Berlin 1935, S. 302f.

      13Vgl. Ismar Elbogen: op. cit., S. 303 und Erich Rosenthal: Trends of the Jewish Population in Germany (1910–1939), Jewish Social Studies, VI, Juni 1944, S. 257.

      14Vgl. das noch unveröffentlichte Manuskript des ungarischen Wissenschaftlers Zador Tordai: Wie kann man in Europa Jude sein? Walter Benjamin, Budapest 1979, S. 35, 48.

      15Siehe die Analyse dieses Phänomens in dem vor kurzem veröffentlichten Werk von Frederic Grunfeld über die deutsch-jüdische Kultur: »But parents and grand parents were almost always unfathomable to the German – or Austrian – Jewish intelligentsia: the gulf between father Mahler’s small-town grog shop and his son’s cosmic Resurrection Symphony hardly seemed bridgeable in a single generation … The shoe-factory generation regularly produced and nurtured a brood of scribes, artists, intellectuals. Else Lasker-Schüler was the daughter of an investment banker … Walter Benjamin of an antique dealer … Stefan Zweig of a textile manufacturer, Franz Kafka of a haberdashery wholesaler … Often this pattern involved the sons in a double

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