Erlösung und Utopie. Michael Löwy

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Erlösung und Utopie - Michael Löwy

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Litwinow (Wallach), Adolph Joffe, Michail Borodin (Grusenberg), Adolf Warsawski, Isaac Deutscher usw. Nicht zu sprechen von den sozialistischen jüdischen Organisationen wie dem Bund und den linken Zionisten sowie den Juden, die, aus dem Osten stammend, in der revolutionären Arbeiterbewegung in Deutschland gewirkt haben. Außer Rosa Luxemburg und Leo Jogiches sind hier Parvus (Israel Helphand), Arkadi Maslow (Isaak Tschereminski), August Kleine (Samuel Haifiz) und andere zu verzeichnen, in England gehören Aron Lieberman und Lazar Goldenberg zu den aktiven Revolutionären, in den Vereinigten Staaten finden wir Emma Goldman, Alexander Berkman und S. Yanofsky.

      Viele Historiker glauben, die Überzeugungen dieser russischen jüdischen Intellektuellen seien säkularisierter Ausdruck des Messianismus, materialistische und atheistische Manifestation von geistigen Strukturen, die das Erbe einer mehrere tausend Jahre alten religiösen Tradition sind. Dies ist eine Hypothese, die sich in mehreren Fällen als richtig herausstellen kann. Aber für die meisten der erwähnten Marxisten und Anarchisten ist sie unwahrscheinlich, denn nach ihrer Erziehung und ihrem sozialen und familiären Milieu waren sie so assimiliert, so wenig religiös, daß man eine konkrete kulturelle Verbindung mit dem messianischen Erbe vergeblich suchen wird. Jedenfalls enthält ihr Denken im Gegensatz zu dem vieler jüdischer Revolutionäre in Mitteleuropa nicht den geringsten Hinweis auf die Religion und nicht die geringste sichtbare Spur einer messianischen, religiösen Dimension.

      Dieser nationale Inhalt der Emanzipation ist sowohl Resultat der Natur des zaristischen Staates – multinational, autoritär und antisemitisch – als auch der Situation der jüdischen Bevölkerung. Ihre Lebensbedingungen weisen alle Merkmale einer typischen Paria-Situation auf: Absonderung, Diskriminierung, Verfolgungen und Pogrome, territoriale Konzentration im Ghetto und im Schtetl, gemeinsame Kultur und gemeinsame Sprache, das Jiddische.

      Natürlich haben viele jüdische marxistische Intellektuelle eine Bezugnahme auf jüdische Nationalität und Kultur strikt abgelehnt. Beim Bund und den sozialistischen Zionisten sah das anders aus. Es genügt, sich an die berühmte Antwort Trotzkis auf die Anfrage des Bundisten Medem beim Kongreß der russischen sozialdemokratischen Arbeiterpartei im Jahre 1903 zu erinnern: »Ich gehe davon aus, daß Sie sich entweder als Russe oder als Jude betrachten?« »Nein«, antwortete Trotzki, »Sie irren sich. Ich bin einzig und allein Sozialdemokrat …«

      Die jüdische Identität, ob sie nun akzepiert oder abgelehnt wird, ist zumindest seit den schrecklichen Pogromen im Jahre 1881 eine nationale und kulturelle Identität, nicht mehr eine ausschließlich religiöse. Im Gegensatz zu Deutschland gibt es im Zarenreich sehr wenig Juden, die sich als »russische Staatsbürger jüdischen Glaubens« betrachten.

      Um die atheistische und weltliche Orientierung der revolutionären Intelligenz Osteuropas besser zu verstehen, sollte man ebenfalls den im eigentlichen Sinne religiösen Aspekt der Haskala und seine Konsequenzen etwas genauer untersuchen. In Deutschland ist es der Haskala offensichtlich gelungen, die jüdische Religion »aufzuklären«, zu modernisieren, zu rationalisieren und zu »germanisieren«. Die jüdische Reformbewegung, angeführt von dem Rabbiner Abraham Geiger (1810–1874) und die »historische Schule«, eine etwas gemäßigtere Strömung des Rabbiners Zacharias Frankel (1801–1875), gewannen in den religiösen Institutionen der jüdischen Gemeinden die Oberhand. Sogar die neoorthodoxe Minderheit unter Rabbiner Samson Raphael Hirsch (1808–1888) akzeptierte bestimmte Reformen und Wertvorstellungen der deutschen Säkularisierung.

      Die jüdische Religion wurde in Deutschland und bis zu einem gewissen Grad in ganz Mitteleuropa reformiert. Sie erwies sich als geschmeidiger und aufgeschlossener solchen äußeren Einflüssen gegenüber, die vom Neukantianismus (Hermann Cohen) oder von der Neuromantik (Martin Buber) an sie herangetragen wurden. Demgegenüber blieb die Welt der religiösen Traditionen im östlichen Teil Europas weitgehend intakt und verschlossen. In unbeugsamer Strenge wurde jede Bereicherung durch eine andere Kultur zurückgewiesen. Dieser quietistische Messianismus des orthodoxen, rabbinischen oder chassidischen Milieus, der der politischen Sphäre nur Gleichgültigkeit entgegenbrachte, konnte zu einer weltlichen Utopie keinerlei Verbindung aufnehmen und lehnte sie wie einen Fremdkörper ab. Man mußte sich erst von dieser Art von Religion emanzipieren, atheistisch werden und »aufgeklärt«, um sich Zugang zu verschaffen zur »veräußerlichten« Welt revolutionärer Ideen. Demnach ist es nicht erstaunlich, daß sich diese vor allem innerhalb jüdischer Ansiedlungsgebiete entwickelten, die von jeder religiösen Praxis

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