Erlösung und Utopie. Michael Löwy

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Erlösung und Utopie - Michael Löwy

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Religion erst über die Vermittlung der deutschen Neuromantik entdecken. Ihr Weg zum Propheten Jesaja führt über Novalis, Hölderlin und Schelling. Mit anderen Worten, ihre Assimilation und Akkulturation wird zur Vorbedingung und zum Ausgangspunkt für den Prozeß der Dissimilation und An-Akkulturation. Es ist kein Zufall, daß Buber vor der Konzeption seiner chassidischen Schriften19 über Jakob Böhme geschrieben hat und Franz Rosenzweig sich fast zum Protestantismus bekehrt hätte, bevor er zum Erneuerer der jüdischen Theologie wurde. Gustav Landauer hat die mystischen Schriften Meister Eckharts übersetzt, bevor er sich der jüdischen Tradition zuwandte, und Gershom Scholem hat die Kabbala dank der Werke des deutschen Romantikers Franz Joseph Molitor wiederentdeckt. Das Erbe der jüdischen Religion wird wahrgenommen durch die Gläser einer von der Romantik blau getönten Brille, was die Empfänglichkeit für ihre irrationalen Züge natürlich erhöht, ihren jeder Institutionalisierung feindlich gesonnenen Impetus und ihre mystischen, explosiven, apokalyptischen Aspekte. In seinem ersten, 1919 veröffentlichten Artikel über die Kabbala verwendet Scholem ganz gezielt den Begriff »antibürgerlich«. Der Messianismus konzentriert wie ein Brennspiegel das gesamte Sturm- und Drang-Potential des Judentums in sich, was natürlich voraussetzt, daß auf seine liberale, neukantianische und aufklärerische Interpretation verzichtet wird, die das messianische Zeitalter in der allmählich fortschreitenden Vervollkommnung der Menschheit verwirklicht sieht. Das Judentum entdeckt dieses Lebensgefühl nun für sich. Was hier neu betont wird ist die ungeheure eschatologische Kraft der originären Tradition, von den Propheten bis zur Kabbala und vom Alten Testament bis hin zu Sabbatai Zwi. So wird der jüdische Messianismus mit seinen beiden Antriebskräften Restauration und Utopie zum Schibboleth der religiösen Rückbesinnung der um das Jahr 1880 geborenen jüdischen Romantiker. Und daß aus der romantischen Explosivität dieses neuen Messianismus eine größere Bereitschaft zur politischen Veränderung entsteht als aus dem rabbinischen Messianismus des orthodoxen Judentums, das sich in politischen Dingen vor allem ruhig verhielt und niemals Bereitschaft zur aktiven Parteinahme zeigte, ist evident.

      Wie geht die politische Aktivierung dieser jungen jüdischen Intellektuellen vor sich? Wie läßt sich ihre Anhängerschaft an revolutionäre Utopien erklären?

      Die Bedeutung dieses Aspekts darf man nicht unterschätzen. Dennoch habe ich den Eindruck, daß die revolutionäre Radikalisierung einer Vielzahl jüdischer Intellektueller in Ungarn und Deutschland nicht reduziert werden darf auf Probleme des Arbeitsmarktes oder der Berufsaussichten. Wenn man verstehen will, warum der Sohn eines jüdischen Bankiers, Georg Lukács, Volkskommissar der Ungarischen Räterepublik wurde oder der Sohn eines reichen jüdischen Geschäftsmannes, Eugen Leviné, Führer der Münchner Räterepublik, müssen andere Überlegungen berücksichtigt werden.

      Laqueurs Analyse ist sicherlich nicht falsch und legt Rechenschaft ab von der großen Zahl jüdischer Intellektueller, die sich in Deutschland und vor allem in Österreich zur Sozialdemokratie bekannten. Aber sie reicht bei weitem nicht aus, die Radikalisierung einer ganzen Generation jüdischer Romantiker zu erklären, die allem Mißtrauen entgegenbringen, was Rationalismus, industrieller Fortschritt und politischer Liberalismus heißt – und keiner von ihnen sympathisiert mit den Sozialdemokraten.

      Alle diese jungen Leute sind erfüllt von revolutionärer Begeisterung und vom Bedürfnis, ein sozialistisches Gesellschaftsmodell zu gestalten, das den Kapitalismus ablösen soll. Was hat sie auf diesen Weg gebracht? Wie läßt sich zum Beispiel erklären, daß vom Max-Weber-Kreis in Heidelberg, in dem die neuromantische Weltanschauung vorherrschte, ausgerechnet die Juden – Lukács, Bloch, Toller – für die Revolution gestimmt haben?

      Mit Sicherheit ist es ihre Paria-Situation, von der bereits die Rede war, ihr Außenseitertum und ihre Entwurzelung, die die jüdischen Intellektuellen empfänglich machte für eine Ideologie, die in radikalem Gegensatz steht zur bestehenden Ordnung. Aber hier im romantisch-antikapitalistischen Milieu kommen noch andere Motive ins Spiel. Der nationalen und kulturellen Romantik der Juden dient eigentlich der Zionismus. Aber seine Anhängerschaft bleibt gering. Die Assimilation ist zu diesem Zeitpunkt bereits zu weit fortgeschritten, als daß der Gedanke an eine jüdische Nation noch große Identifikationsbereitschaft auszulösen vermöchte. Für Mitteleuropäer ist diese Vorstellung zu abstrakt, in Osteuropa mochte das anders aussehen. Also ist es verständlich, daß die Mehrheit der jüdischen Intellektuellen

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