Erlösung und Utopie. Michael Löwy

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Erlösung und Utopie - Michael Löwy

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Feld der Korrespondenzen (Baudelaire), das unterirdische Netz von Analogien, Ähnlichkeiten, Äquivalenzen zwischen mehreren Elementen der beiden kulturellen Konfigurationen haben wir bisher nur markiert. Für sich allein betrachtet konstituieren diese Korrespondenzen noch keine wirkliche Beziehung: Der Anarchismus Proudhons oder Bakunins, die – nebenbei bemerkt – beide Antisemiten waren, hat mit der religiösen Tradition des Judentums nichts zu tun. Nur zu einem konkreten historischen Zeitpunkt (der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts) und innerhalb eines konkreten soziokulturellen Milieus wurden sie dynamisch und entwickelten sich im Werk bestimmter jüdischer Intellektueller zu einer wirklichen Wahlverwandtschaft von Messianismus und libertärer Utopie.

      Mit anderen Worten: Es bedurfte einer bestimmten Konstellation sozialer, historischer und kultureller Faktoren, damit dieser Prozeß entstehen konnte, diese attractio electiva oder »kulturelle Symbiose«, die von wechselseitiger Befruchtung und Stimulierung beider spiritueller Figuren bis zu ihrer Vereinigung und Verschmelzung reicht, und die die Weltanschauung der wichtigsten deutschsprachigen jüdischen Intellektuellen entscheidend geprägt hat.

      Der Charakter der Verbindung und die Frage, aus welchen Elementen sie besteht, hängt vom jeweiligen Autor ab. Eine Vermischung wie eine Legierung aus zwei Metallen wäre denkbar, oder ein Ineinandergreifen zweier Element wie bei einem Gelenk. Eine oder mehrere der »Korrespondenzen«, die wir ermittelt haben, können beteiligt sein.

      Die einfachste, jedermann sofort einleuchtende Erklärung des Phänomens wäre die Interpretation des jüdischen Messianismus als »Quelle«, aus der die libertäre Utopie der jüdischen Intellektuellen ihre Kraft bezog.

      Die Hypothese ist nicht völlig zu verwerfen und enthält wahrscheinlich »ein Körnchen« Wahrheit, läßt aber neue Probleme entstehen: a) Ein Einfluß allein reicht als Erklärung nicht aus und müßte selbst wiederum erklärt werden. Warum hat diese Lehre, und keine andere, ausgerechnet jenen Autor beeinflußt? Die Frage stellt sich um so mehr, als fast alle hier zur Debatte stehenden Autoren eine Erziehung genossen haben, die sie den religiösen Traditionen des Judentums weitgehend entfremdet hat. In Osteuropa sah die Sache anders aus. Die deutschsprachigen jüdischen Intellektuellen hingegen kamen durchweg aus einem assimilierten Milieu, bezogen ihre kulturelle Orientierung aus der deutschen Literatur und Philosophie und verehrten die Schriften Goethes, Schillers, Kants und Hegels. Der Talmud und die Kabbala galten als atavistische, obskurantistische Relikte der Vergangenheit.

      b)Die messianische Idee hat im Judentum ganz unterschiedliche Deutungen erlangt. Neben der konservativen Lesart der Rabbiner und der rationalistischen Deutung durch Maimonides finden wir die Auslegung Hermann Cohens, die vom liberalen, fortschrittsgläubigen Geist der Aufklärung und ihrer jüdischen Entsprechung, der Haskala, beeinflußt ist. Warum ist von einer bestimmten Gruppe jüdischer Intellektueller ausgerechnet die apokalyptische, sowohl restaurative als auch utopische Interpretation gewählt worden?

      Umgekehrt ließe sich argumentieren, die utopische Orientierung dieser Intellektuellen habe sie für die messianische Tradition ihrer Vorfahren sensibilisiert. Auch dieser Erklärungsversuch ist einseitig, während wir unter Zuhilfenahme von Wahlverwandtschaft als Begriff jede einseitige Bestimmung zugunsten eines dialektischen Verständnisses des Phänomens vermeiden können.

      Es verbleibt uns noch die Erläuterung eines Begriffes, der oft benutzt wird, um Beziehungen zwischen Religion und sozialen bzw. politischen Ideologien darzustellen. Wir meinen den Begriff der Säkularisierung. Für unser Phänomen ist er von begrenztem Interesse, denn die religiöse, messianische Dimension verschwindet bei den jüdischen Intellektuellen keineswegs, sondern bildet vielmehr einen zentralen Gesichtspunkt ihrer Weltanschauung. Tatsächlich läßt sich in ihren Werken ebensoviel Sakralisierung des Profanen wie Säkularisierung des Religiösen beobachten; eine enge, wechselseitige Beziehung verbindet beide Sphären miteinander, ohne daß eine die andere beeinträchtigte. Die Säkularisierung aber weist nur in eine Richtung, bei ihr wird das Sakrale vom Profanen absorbiert.

      Sinnvoller als diese begrifflichen Erklärungsversuche erscheint uns die Methode, Messianismus und libertäre Utopie in den Rahmen eines breiter gefaßten sozio-kulturellen Kontextes zu stellen.

      Vor diesem Hintergrund der Neuromantik wird das Wiedererwachen des jüdischen Messianismus in seiner restitutionistischen, utopischen Version und seine wahlverwandtschaftliche Annäherung und (manchmal) Übereinstimmung und Verschmelzung mit der libertären Utopie verständlich. Sie wurzeln im selben ethisch-kulturellen, sprich »ideologischen« Boden und entwickeln sich im selben geistigen Klima – dem romantischen Antikapitalismus der deutschen Intelligenz. Und tatsächlich konnte dieser vor allem in der Spielart der Revolutionären Romantik eine restaurative und utopische Interpretation sowohl des Messianismus als auch der Revolution (den Anarchismus) nur begünstigen.

      In den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts finden wir eine Anzahl jüdischer Intellektueller in Mitteleuropa, die ein gemeinsames Anliegen eint: das Interesse an den Traditionen der Religion, die ihre Eltern längst vergessen haben, und die Begeisterung für den Anarchismus. Einige der bedeutendsten Köpfe des Jahrhunderts sind darunter: Dichter und Philosophen, Revolutionäre und religiöse Führer, Volkskommissare, Theologen, Schriftsteller und Kabbalisten, und solche, die alles in sich vereinigen. Franz Rosenzweig und Martin Buber gehören dazu, Gershom Scholem, Gustav Landauer, Franz Kafka, Walter Benjamin, Ernst Bloch, Ernst Toller, Erich Fromm, Manès Sperber, Georg Lukács und viele andere.

      Über diese Autoren ist viel veröffentlicht worden, aber bis heute kam niemand auf die Idee, eine gemeinsame Grundlage eigne ihrem Denken. Und auf den ersten Blick erscheint es ja auch paradox und willkürlich, so unterschiedliche Persönlichkeiten mit stark markierter eigener Werkintention unter einem gemeinsamen Aspekt untersuchen zu wollen.

      Zwar standen sie untereinander in Verbindung, es gab ein komplexes Netz sozialer Beziehungen, wenn auch von einer Gruppe im eigentlichen Sinn nicht die Rede sein kann. Gustav Landauer und Martin Buber waren eng befreundet und respektierten einer des anderen intellektuelle und politische Redlichkeit. Das gleiche gilt für Gershom Scholem und Walter Benjamin, Ernst Bloch und Georg Lukács, Martin Buber und Franz Rosenzweig, Gustav Landauer und Ernst Toller. Scholem interessiert sich für Buber und Landauer, Buber korrespondiert mit Kafka, Bloch und Lukács, Erich Fromm studiert bei Scholem. Im Mittelpunkt dieses Netzes: Walter Benjamin. Bei ihm laufen alle Fäden zusammen, er integriert die entgegengesetztesten Meinungen und Standpunkte. Eng befreundet mit Scholem, steht er zu gleicher Zeit mit Bloch in Kontakt, ist stark beeinflußt von Lukács, Rosenzweig und Kafka

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