Erlösung und Utopie. Michael Löwy

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Erlösung und Utopie - Michael Löwy

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      Es handelt sich um eine äußerst fruchtbare Hypothese, die aber zu allgemein bleibt: Sie erlaubt nicht, im heterogenen Ensemble moderner Revolutionstheorien diejenigen auszumachen, die eine wirkliche Affinität zur jüdischen Tradition haben könnten. Für viele Autoren (Max Scheler, Karl Löwith, Nikolai Berdjajew usw.) – einige waren Webers Schüler – konstituiert das Denken von Marx den typischen Ausdruck des säkularisierten biblischen Messianismus. Aber es handelt sich um eine fragwürdige, ziemlich einseitige Interpretation der marxistischen Geschichtsphilosophie.

      Gibt es im jüdischen Messianismus also Aspekte, die mit einer revolutionären, vor allem anarchistischen Weltanschauung in Verbindung treten könnten?

      Diese Bemerkung ist aufschlußreich, aber unsere These lautet, daß die Analogie (oder »Korrespondenz«) zwischen messianischer und libertärer Utopie über dieses Element hinausgeht und sich in mehreren anderen entscheidenden »Momenten« der beiden kulturellen Konfigurationen zeigt. Wir untersuchen diese Korrespondenz und beziehen uns dabei auf das theoretische Paradigma – den Idealtyp des jüdischen Messianismus – von Gershom Scholem und auf einige Ausführungen Karl Mannheims zum radikalen Anarchismus.

      1. Im jüdischen Messianismus finden wir zwei Tendenzen, die eng miteinander verbunden und dennoch gegensätzlich sind: Eine restaurative Kraft, die auf die Wiederherstellung eines vergangenen Idealzustands, eines Goldenen Zeitalters und einer verlorenen paradiesischen Harmonie gerichtet ist, und eine utopische Kraft, die eine völlig neue Zukunft und einen Stand der Dinge erstrebt, der noch nie da war. Die Proportion zwischen diesen beiden Kräften ist variabel, aber die messianische Idee kristallisiert sich nur aus ihrer Verbindung heraus. Sie sind unauflöslich ineinander verschlungen und stehen in einem dialektischen Verhältnis, das Scholem folgendermaßen beschreibt:

      Es läßt sich nicht leugnen, daß fast alle bedeutenden anarchistischen Philosophen im tiefsten Herzen eine Sehnsucht nach der Vergangenheit in sich tragen.

      Weitere Übereinstimmungen ließen sich aufzeigen. Ein zeitgenössischer Kritiker, der antimilitaristische Schriftsteller Georges Darien, beklagt sich 1904 in einem Artikel über den »religiösen Charakter des Anarchismus«, dessen Lehre er folgendermaßen charakterisiert:

      a) Es war einmal ein Goldenes Zeitalter. Es ist verschwunden, als die Autorität entstand.

      b) Zu diesem Goldenen Zeitalter wollen wir zurück; deshalb ist eine Revolution wünschenswert.

      c) Ist die Revolution erst einmal durchgeführt, wird das Leben auf diesem Planeten für eine Weile unterbrochen sein.

      Tatsächlich finden wir eine romantische, nostalgische Dimension bei allen revolutionären und antikapitalistischen Denkern. Auch die Marxisten sind nicht frei davon – obwohl gemeinhin das Gegenteil behauptet wird. Allerdings wird dieser romantische Aspekt bei Marx und seinen Schülern durch die Bewunderung relativiert, die sie der Industrialisierung und dem wirtschaftlichen Wachstum entgegenbringen. Bei den Anarchisten jedoch, die jeden technologischen Fortschritt ablehnen, manifestiert er sich mit einer Intensität, die spezifisch und einzigartig ist. Der Anarchismus ist zweifellos (mit dem russischen Narodnikitum) die revolutionäre Bewegung der Neuzeit, deren Utopie das mächtigste romantische und restitutionistische Potential enthält. Das Werk Gustav Landauers darf in dieser Hinsicht als unübertrefflicher Ausdruck des romantischen Geistes der libertären Utopie gelten.

      Dieser Gesichtspunkt ist vielleicht der signifikanteste, der grundsätzlichste, der entscheidendste, was die Analogie zwischen jüdischem Messianismus und Anarchismus betrifft; er allein schon dürfte genügen, um zwischen beiden eine ganz besondere geistige Beziehung zu vermuten. Wir werden darauf zurückkommen.

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