Erlösung und Utopie. Michael Löwy

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Erlösung und Utopie - Michael Löwy

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wir uns Klarheit verschaffen über seine besonderen Eigenschaften, auch über die Möglichkeiten, die es uns bietet. Wahlverwandtschaft, so wie wir sie hier verstehen, ist nicht gleichzusetzen mit ideologischer Affinität zwischen verschiedenen Varianten derselben sozialen und kulturellen Strömung, z. B. zwischen ökonomischem und politischem Liberalismus, zwischen Sozialismus und Egalitarismus usw. Die Wahl, Entscheidung füreinander setzt Distanz voraus, einen geistigen Abstand, der überwunden werden muß, eine Art von ideologischer Heterogenität. Andererseits ist Wahlverwandtschaft keinesfalls identisch mit »Korrelation«; ein vager Begriff, der lediglich besagt, daß es zwischen zwei verschiedenen Phänomenen eine Beziehung gibt. Wahlverwandtschaft bezeichnet ein ganz bestimmtes sinnvolles Verhältnis, es hat nichts zu tun mit einer statischen Korrelation, wie beispielsweise der zwischen Wirtschaftswachstum und Abnahme der Geburtenziffern. Wahlverwandtschaft ist auch kein Synonym für »Einfluß«. Sie beinhaltet ein Verhältnis, das viel aktiver ist und von beiden Seiten getragen wird, das zur Verschmelzung führen kann. Es ist ein Begriff, der uns erlaubt, Interaktionsprozesse zwischen Elementen darzustellen, deren Verhältnis weder unmittelbar kausal noch »expressiv« wie das zwischen Form und Inhalt ist. (Zum Beispiel ließe sich die Form der Religionsausübung als Ausdruck eines politischen oder sozialen Inhalts deuten).

      Unser Begriff kann andere Paradigmen nicht ersetzen, soweit sie der Analyse, der Erklärung und dem Verständnis dienlich sind. Aber er öffnet uns eine neue, bisher kaum bekannte Sicht auf Fragestellungen der Kultursoziologie.

      Übrigens ist es erstaunlich, daß seit Max Weber so wenig unternommen wurde, ihn zu überprüfen und im Rahmen konkreter Forschungsaufgaben anzuwenden.

      1Vgl. Joannis Conradi Barchusen: Pyrosophia, Lugduni Batavorum (Leiden), Impensis Cornelii Bautestein, 1698, Buch I, Kap. 3.

      2Herman Boerhaave: Elementa chemiae, Lugduni Batavorum (Leiden), Apud Isaacum Severinum, 1732, Part II: »De Menstruis«. Siehe außerdem La Grande Encyclopédie, Art. »Affinité, I. Chimie«, und De Morveau: (Art.) La Chymie, Encyclopédie méthodique, Band 1, Paris 1786, S. 535.

      3De Morveau: La Chymie, S. 570, und Torbern Olof Bergman: Traité des affinités chimiques ou attractions électives, Paris 1788, S. 5.

      4Johann Wolfgang Goethe: Die Wahlverwandtschaften, DTV Gesamtausgabe Band 19, München 1963, S. 29, 34.

      5Max Weber: Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Einleitung, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Tübingen 1922, S. 257.

      6Max Weber: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, Tübingen 1922, S. 153.

      7Max Weber: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. in: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Band 1, Tübingen 1920, S. 83.

      8Max Weber: The Protestant Ethic and the Spirit of Capitalism, London 1957, S. 91–92.

      9Karl Mannheim: Das konservative Denken (1927), Wissenssoziologie, Berlin 1964, S. 458. Der Begriff wird auch von Troeltsch verwendet: Vgl. Jean Séguy, Christianisme et Société. Introduction à la sociologie de Ernst Troeltsch, Paris 1980, S. 247–251. Werner Stark, ein Soziologe aus dem Umfeld der Schule von Weber, hat den Begriff untersucht, aber nur hinsichtlich des zweiten Typus der Wahlverwandtschaft, von dem Max Weber sprach (nämlich dem zwischen Weltanschauungen und sozialen Klassen). Vgl. Werner Stark: Die Wissenssoziologie, Stuttgart 1960, S. 215–248.

      10Siehe hierzu die Untersuchung von Alfred von Martin: Kultursoziologie des Mittelalters. In: Handwörterbuch der Soziologie (Hg: Alfred Vierkandt), Stuttgart 1959, S. 370–390.

      11Vgl. Charles Baudelaire: Oeuvres complètes, Paris, Seuil, 1968, S. 471, 350.

      12Siehe Danièle Hervieu Léger: Apocalyptique écologique et »retour« de la religion, Archives de Sciences Sociales des Religions, Nr. 53/1, Januar–März 1982, S. 66.

      13Siehe hierzu unsere Untersuchung Marx et Weber: notes sur un dialogue implicite, Dialectique et révolution. Essais de sociologie et d’histoire du marxisme, Paris 1973.

      KAPITEL 2

      Jüdischer Messianismus und libertäre Utopie – Von den »Korrespondenzen« zur »attractio electiva«

      Was kann der jüdische Messianismus mit den libertären Utopien des 20. Jahrhunderts gemeinsam haben? Eine religiöse Tradition, politisch indifferent, Übernatürlichem und Sakralem zugewandt, und eine sozialrevolutionäre, im allgemeinen atheistische und materialistische Gedankenwelt? Es scheint eindeutig, daß die messianische, traditionelle und rituelle Religiosität der Rabbiner und Talmudisten mit den subversiven anarchistischen Ideen eines Bakunin oder Kropotkin nichts zu tun hat. Dies um so mehr, als der kulturelle Ethnozentrismus der jüdischen Religion mit dem militanten Universalismus der revolutionären Utopie nicht zu vereinbaren ist. Dennoch hat die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend aktive Rolle jüdischer Intellektueller bei der Produktion subversiver Ideen zum Versuch ermuntert, die Utopien des Sozialismus in ihrem Ursprung auf jüdische Religiosität zurückzuführen.

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