Das Erbe des Professors Pirello. Arno Alexander

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Das Erbe des Professors Pirello - Arno Alexander

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starke Schmerzen beschweren müssen“, erklärte der Assistenzarzt. „Das fiel mir auf.“

      „Warum haben Sie mir nicht gesagt, daß Sie die Sache untersuchen wollten?“

      „Sie hätten mich ausgelacht, Professor, denn zweifellos haben Sie schon dasselbe erwogen und verworfen.“ Der junge Mann wurde plötzlich rot.

      Riquet lächelte. „Das stimmt“, sagte er. „Mir fiel zwar auch auf, daß sich die Geschwulst hier ganz ungewöhnlich schnell entwickelt haben mußte. Aber dann sagte ich mir, daß mein — daß Monsieur de Saint-Roch ein Mann von Eisen war, ein Mann von einer ganz ungewöhnlichen Selbstbeherrschung, der wahrscheinlich nur viel später zu uns gekommen ist, als jeder andere es getan hätte.“

      Er schob abermals die Brille auf die Stirn und betrachtete das Gewebestück. Dann murmelte er: „Aber das hier —“

      Der junge Arzt schwieg. Riquet erhob sich nach einer schweigsamen Minute und begann, im Zimmer hin und her zu wandern. Einmal blieb er stehen und zählte an den Fingern einer Hand. Der Assistenzarzt folgte aufmerksam und begriff, daß Riquet noch einmal genau die Zahl der Tage nachrechnete, die seit der Operation verstrichen waren. Es war noch nie geschehen, daß eine Krebsgeschwulst in so unheimlicher Geschwindigkeit wuchs, wie an dem Gewebestück in diesem Standglas.

      Riquet blieb stehen. Seine Stimme klang verändert. „Zuweilen hat unser Beruf etwas Unheimliches“, sagte er. „Der Patient wurde vor zwei Tagen begraben. Aber hier lebt ein Stück von ihm weiter.“

      „Es lebt nicht nur, es erzählt sogar“, sagte der Assistent.

      Riquet drehte sich um. „Was erzählt es? Haben Sie eine Vorstellung? Verstehen Sie?“

      Der junge Mann zuckte ablehnend mit den Schultern.

      „Haben Sie so etwas schon einmal gesehen?“ fragte der Professor und zeigte auf das Glas.

      „Nein, Chef.“

      Langsam ging Riquet ans Fenster und sah in den Garten des Krankenhauses hinaus. Dann sagte er leise und rätselhaft: „Aber ich.“

      Der junge Mann hinter ihm zog die Augenbrauen hoch. „So? Ist denn ein derartiger Fall schon einmal in der Literatur beschrieben worden?“

      Riquet gab keine Antwort. Erst nach einer Weile sagte er: „Bitte machen Sie Aufnahmen und reichen Sie mir Kopien herein. Und beobachten Sie weiter.“ Er wandte sich nicht um, als der Arzt mit dem Standglas davonging.

      *

      Professor Riquet und Dr. Jules Fauve waren fast gleichaltrig, beide knapp über die Vierzig hinaus. Beide waren Assistenten des Krebsforschers Pirello gewesen und zählten seither zu den ersten Kennern dieser Krankheit, und beide waren in relativ jungen Jahren zu großem medizinischen Ruf gelangt. Das aber war alles, was sie verband. Aus der früheren Zusammenarbeit war nie eine rechte Freundschaft geworden, wahrscheinlich waren ihre Temperamente zu verschieden dazu. Auch Fauve dozierte zwar, aber im Grunde lag ihm die akademische Laufbahn mit ihrer Regelmäßigkeit und ihrem beamtenhaften Zwang nicht. Deshalb war der Professorentitel bisher auch nur seinem stetigeren Kollegen zuteil geworden.

      Als Assistenten bei Pirello hatten sie sich geduzt, jetzt aber, wenn sie sich trafen, verwendeten sie ein höfliches und herzliches Sie. Sie hatten nichts gegeneinander und waren beide klug genug, um eine zuvorkommende Bekanntschaft für nützlicher zu halten, als eine Freundschaft, die wahrscheinlich doch zu Unstimmigkeiten geführt hätte.

      Jules Fauve hielt in seiner vornehmen Praxis am Quai Voltaire nur an zwei Tagen der Woche je zwei Stunden allgemeine Sprechstunde ab. Zu ihm wagten sich gewöhnlich nur Patienten, die ein außergewöhnliches Honorar auf den Tisch legen konnten, obwohl es bekannt war, daß Fauve auch schon an armen Schluckern die schwierigsten Operationen ausgeführt hatte, ohne einen Sou zu nehmen.

      Am späten Vormittag eines dieser Maitage fuhr sein Finger noch einmal prüfend über eine junge, sehr appetitliche Schulter. „Also“, sagte seine stets ein wenig heisere Stimme, „es wäre wirklich beängstigend —“

      Zwei kreisrunde blaue Augen starrten ihn entsetzt an und füllten sich mit Tränen. „Mon Dieu, Docteur, es ist doch nicht etwa ...“

      „... wenn Sie sich erkälten würden, gnädige Frau“, vollendete Fauve, und die tiefen Falten auf seiner gebräunten Stirn vollführten einen vergnügten Tanz. „Deshalb ziehen Sie sich bitte wieder an.“

      Wie ein geängstigtes Hühnchen flatterte die Patientin hinter einen Wandschirm. Von dort kam ihre verschüchterte Stimme: „Und Sie meinen wirklich, es ist eine harmlose Sache, Doktor?“

      Fauve hatte sich an den Schreibtisch gesetzt und kritzelte auf seinem Rezeptblock. „Ich glaube kaum, Verehrteste, daß alles an Ihnen so harmlos ist, wie diese kleine Geschwulst“, sagte er. Fauve wußte genau, was er sich als Arzt der Pariser Gesellschaft leisten durfte, ja was er sich an kleinen Frechheiten zuweilen sogar leisten mußte, wenn er in Mode bleiben wollte. Er hatte recht — nicht ein Protest, sondern ein Kichern war hinter dem Wandschirm zu hören.

      „Wir nehmen ganz einfach einen Tee“, dozierte er. „Reinigt das Blut, ohne es abzukühlen. Und in vierzehn Tagen —“

      Er brach ab. Seine Assistentin war auf lautlosen Kreppsohlen eingetreten und hatte eine Visitenkarte vor ihm niedergelegt. Dr. Fauve zog seine ungemein bewegliche Stirnhaut bis in das tief ansetzende dichte schwarze Haar hinauf. Seine Augen sahen dabei aus wie die gemalten Augen eines Clowns. Es waren übrigens seltsam helle, graue Augen. Man hätte bei dem zierlichen, drahtigen, schwarzhaarigen und braunhäutigen Mann eher dunkelbraune Augen erwartet.

      „Riquet? Na sowas!“ sagte Fauve respektlos.

      „Und in vierzehn Tagen?“ flötete eine Stimme, und ein apartes Persönchen schwebte hinter dem Wandschirm hervor.

      „Da sehen wir noch einmal nach. Bonjour, Madam!“ Fauve sprach zerstreut, ohne den Blick von dem Kärtchen zu heben, und so sah er auch nicht die schmollende Oberlippe seiner Patientin, die mit einem giftigen Seitenblick auf die Assistentin davonschwebte.

      Fauve ließ sogleich Riquet bitten; die junge Dame war die letzte Patientin des Tages gewesen.

      Riquets Eintritt verdeutlichte ohne ein Wort die große Verschiedenheit der einstigen Kameraden. Der junge Professor trug einen sehr dezenten dunkelgrauen Anzug. Er behielt einen schweren Spazierstock vorläufig am Arm und legte seinen steifen grauen Hut vorsichtig auf Fauves Schreibtisch. Dieser seriöse Aufzug ließ ihn wie fünfzig erscheinen. Jules Fauve dagegen, der stets in modischen Anzügen und wenn möglich mit einem Strohhut herumlief — oder besser gesagt in einem offenen gelben Jaguar herumfuhr — wurde zuweilen trotz seiner Stirnfalten für fünfunddreißig angesprochen.

      Temperamentvoll sprang der Hausherr auf, um seinen Gast zu begrüßen. „Nun, das ist einmal etwas, Sie hier zu sehen! Sie haben doch das bessere Teil erwählt. Sie haben soviel Zeit, daß Sie sogar alte Knaben wie mich besuchen. Ich dagegen muß versuchen, hysterische junge Damen möglichst lange in ihrer Hysterie zu erhalten. — Louise!“ Er rief übertrieben laut ins Nebenzimmer hinüber. „Gehen Sie nach Hause, die Sonne scheint. Vorher bringen Sie uns einen Whisky. Oder lieber Cognac, Professor? Sie sind so angenehm konservativ.“

      Riquet lächelte über den herzlichen Redeschwall des Kollegen. „In England ist gerade der Whisky konservativ.“

      „So ist es immer. Was in einem Lande gerade letzte Mode ist,

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