Das Erbe des Professors Pirello. Arno Alexander
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Die Erleichterung über diesen ausgezeichneten Vorschlag war so groß, daß für einige Minuten eine beinahe heitere Stimmung aufkam und die lähmende Spannung wich. Lieuwe wurde mit der Durchführung der sonderbaren Abstimmung betraut. Sie tranken und machten Vorschläge wie die Schulbuben.
Nur Riquet war stiller. Er war aufgestanden und betrachtete im Hintergrund des Raumes eine alte Büchse, die an der Wand hing und im Kerzenschimmer funkelte. Lieuwe händigte endlich jedem zwei Karten aus. Jeder erhielt eine weiße Karte und eine, die mit einem Kreuz gezeichnet war. Sie starrten alle auf die Bleistiftkreuze und waren sofort vollkommen ernst. Lieuwe stellte ein Kupfergefäß auf den Tisch. Er sagte:
„Wer für die Exhumierung stimmt, legt die Karte mit dem Kreuz in den Topf. Ich habe mir die Kreuze nicht angesehen. Trotzdem erkläre ich, daß ich diesen Wahlakt als Notar vornehme, nicht als Privatperson. Sie sind also auf alle Fälle durch meine notarielle Schweigepflicht geschützt.“
„Hoffentlich ohne Honorar“, brummte Siloque, aber niemand reagierte.
„Ich lege jetzt meine Karte hinein“, verkündete Lieuwe. „Wollen Sie bitte das Gefäß um den Tisch, gehen lassen. Die nicht benutzten Karten nehmen Sie mit nach Hause und vernichten Sie dort.“
In vollkommener Stille wurde diese Abstimmung vollzogen. Sofort, als er seine Karte abgelegt hatte, erhob sich Professor Riquet abermals und ging lautlos auf dem tiefen Teppich auf und ab. Jeder war ängstlich bemüht, den anderen nicht auf die Finger zu sehen.
Lieuwe nahm mit einer gewissen Feierlichkeit die Karten aus dem Gefäß und legte sie auf den Tisch. Er sprach nicht. Sie blickten jetzt atemlos auf sein Gesicht, dann auf seine Hände. Er deckte die Karten auf. Eine von ihnen war weiß. Die drei anderen zeigten das Kreuz.
Mit einer impulsiven Bewegung griff Fauve über den Tisch und drehte die weiße Karte herum. Aber sie war auch auf der andern Seite weiß.
„Pardon!“ murmelte Fauve, wandte zögernd den Kopf und blickte Riquet an. Auch Lieuwes Blick folgte der gleichen Richtung.
Siloque räusperte sich. „Haben Sie noch eine Flasche Bier?“
Diesmal mußte Lieuwe selbst in die Küche gehen, denn er hatte das Mädchen zu Bett geschickt. Solange er draußen war, sprach niemand ein Wort. Siloque nahm die geöffnete Flasche mit einem dankenden Nicken entgegen.
„Sofern Sie das Urteil dieses Schiedsgerichtes anerkenen sollten —“ sagte er.
Heftig stieß Riquet hervor: „Natürlich!“
Fauve nickte: „Warum nicht?“
Siloque trank gelassen. Dann sagte er: „Dann ist es am einfachsten, wenn Sie gemeinsam als ein ärztliches Konsilium einen entsprechenden Antrag aufsetzen und mir morgen zur Weiterleitung zuschicken.“
Riquet hatte sich erhoben und stand steif da. „Das Einverständnis des Kollegen Fauve vorausgesetzt, ist der Antrag hiermit bereits mündlich gestellt. Die schriftliche Ausfertigung geht Ihnen morgen zu. Doktor Fauve?“
Fauve blieb sitzen und lächelte. „Aber das ist doch selbstverständlich, lieber Kollege —“
*
Die Leiche des Ministerialrates de Saint-Roch wurde exhumiert. Vorher fühlte der Justizminister sich getrieben, den Professor Riquet persönlich anzurufen: „Verehrter, lieber Professor: Ich weiß, daß die Sache für Sie nicht angenehm ist. Ihre Verlobte —“
„Sie ist zum Glück nicht in Paris.“
„Ah! Professor, ich rechne es Ihnen hoch an, daß Sie keinen Antrag auf eine Geheimhaltung der Exhumierung gestellt haben. Ich habe den Fall eingehend nach allen Richtungen geprüft, aber —“
„Ich weiß, daß eine Geheimhaltung nicht möglich ist“, sagte Riquet müde, „aber ich danke Ihnen herzlich.“
Drei Tage später setzten die Ärzte Riquet und Fauve ihre Unterschriften unter ein Gutachten, in dem sie erklärten, daß die tödliche Erkrankung des Ministerialrates zweifellos durch eine Aufnahme des Stoffes Aminyl hervorgerufen worden war. In einer Anmerkung erklärten sie ferner, daß sie den vollständigen wissenschaftlichen Namen dieser Substanz nur auf richterlichen Beschluß und vor besonders zur Geheimhaltung verpflichteten Personen offenbaren würden.
In einem anliegenden Brief an die Staatsanwaltschaft legten sie dar, daß der Ministerialrat den Stoff Aminyl nach menschlichem Ermessen nicht zufällig aufgenommen haben könne. Man müsse befürchten, daß er ihm in böswilliger Absicht gegeben worden sei. Die Substanz könnte recht unauffällig dem Essen zugesetzt werden. Eine zwei- bis dreimalige Gabe würde genügen. Die Eröffnung einer Untersuchung müsse der Staatsanwaltschaft nahegelegt werden.
Das Schreiben schloß mit dem schicksalsschweren Satz: „Die krebserregende Wirkung des Stoffes Aminyl wurde durch Professor Pirello entdeckt und niemals veröffentlicht. Sie ist nach unserer Kenntnis nur den unterzeichneten Ärzten Professor Riquet und Doktor Fauve bekannt.“
Die Untersuchung war von den beiden Ärzten in vollkommen sachlicher, unpersönlicher und reibungsloser Zusammenarbeit durchgeführt worden.
Aber schon am Tage, bevor dieses Gutachten einging, meldete sich Kommissar Siloque bei seinem Vorgesetzten, dem Chefinspektor Daubree, und erstattete ihm einen ausführlichen Bericht. Der Chefinspektor, ein gepflegter Herr von fünfundfünfzig Jahren mit graumelierten Schläfen, wurde blaß. „Wollen wir hoffen, daß sich die Geschichte in Rauch auflöst“, sagte er.
Siloque schüttelte melancholisch den Kopf. „Da können wir auch gleich hoffen, daß der ewige Weltfriede ausbricht. Glauben Sie, Chef, daß Leute wie Riquet und Fauve überhaupt davon anfangen, wenn sie im Grunde ihrer Sache nicht längst sicher sind? Die blamieren sich auch nicht gern.“
„Aber warum beschäftigen Sie sich jetzt schon damit?“
„Mein Pech ist zuverlässig. Seit zwei Jahren sind sämtliche hoffnungslosen Fälle mir übertragen worden. Zweifellos werde ich auch diesen bekommen.“
Daubree schneuzte sich. Er kannte Siloques respektlose Art und schätzte ihn, aber es ging ihm doch immer wieder auf die Nerven. „Warten Sie ab!“
„Ich muß rasch anfangen, wenn ich noch zu Lebzeiten mit der Voruntersuchung fertig werden will. Der betroffene Personenkreis umfaßt halb Paris, und zwar die schwierige Hälfte. Erstens: Nicole de Saint-Roch, die Erbin, und alle, die noch von ihrem Erbe profitieren könnten. Das ist zunächst Riquet, aber wer weiß! Zweitens —“
„Mon Dieu!“ erschrak der Inspektor.
„Zweitens Riquet und Fauve als angeblich einzige Kenner dieser Teufels-Substanz. Drittens alle früheren Mitarbeiter des Professors Pirello, — vielleicht gibt es da doch noch mehr Mitwisser.“
„Siloque, ich meine —“
„Viertens die acht Patienten, die am 21. Januar bei Doktor Fauve waren, dazu seine Sprechstundenhilfe. Fünftens sämtliche Personen, die am 21. Januar abends die Opera besuchten.“
„Kommissar, jetzt hören Sie mal!“
„Sechstens alle Gegner und Feinde des Toten, im Privatleben, in der Wirtschaft