Das Erbe des Professors Pirello. Arno Alexander

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Das Erbe des Professors Pirello - Arno Alexander

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und von Monsieur Fauve auch nicht, obwohl ich ihn durch mein Jagdglas angestarrt habe, bis mir die Augäpfel eintrockneten. Links von ihm saß ...“

      „Moment!“ ließ sich plötzlich Kommissar Siloque vernehmen. „Zunächst interessiert nur: Sie wurden nicht angesprochen, Monsieur Fauve?“

      „Nein“, sagte Fauve.

      „Nicht daß ich wüßte“, ergänzte Lieuwe.

      „Und in den Pausen? Und überhaupt?“

      „Es hat sich nichts abgespielt. Gar nichts“, erklärte Fauve. Und Rechtsanwalt Lieuwe schüttelte den Kopf: „Ich habe ihn natürlich auch in den Pausen und hinterher nicht aus den Augen gelassen.“

      „Ich denke mir“, flocht Fauve ein, „die Burschen haben trotz aller Vorsicht gesehen, daß ich mir Rückendeckung verschafft hatte, und haben die Finger von der Sache gelassen. Ich war darüber sogar stolz und wertete es als klaren Abwehrsieg für mich.“

      „Und dann?“ fragte Siloque.

      „Dann? — Nichts. Seither habe ich nichts weiter davon gehört. Ich hatte die Sache schon vergessen. Bis gestern. Da lebte sie in mir auf. Aus Gründen, die Sie sich jetzt selbst zusammenreimen können.“

      Man hörte deutlich das leise Knistern in einer der Kerzenflammen. Jeder der Herren schien auf eigene Rechnung bemüht, die Stille zu überbrücken und nicht als erster zu sprechen. Die Folgerungen aus Fauves Erzählungen waren zwar klar, aber ungeheuerlich. Lieuwe ergriff wortlos eine kleine Messingschere und begann, die Kerzen zu putzen. Fauve tötete den Rest seiner Zigarette und nahm sofort eine neue aus dem geschnitzten Kästchen, das auf dem Tisch stand. Siloque brachte eine keulenförmige Tabakspfeife zum Vorschein und fing an, sie gedankenverloren aus einer verbeulten Blechschachtel zu stopfen. Nur Riquet blickte vor sich auf den Boden. Sein Ausdruck verriet angestrengtes Nachdenken.

      „Sie können alle Dokumente jederzeit einsehen“, sagte Lieuwe endlich.

      „Alle?“ fragte Siloque. „Noch mehr Dokumente?“

      „Erlauben Sie —“ unterbrach Riquet. Er hob den Kopf und gleichzeitig eine Hand. Seine Sätze kamen jetzt so akzentuiert und klar, als setze er seinen Studenten einen Lehrsatz auseinander. „Ich halte es für richtig, wenn wir deutlich ausdrücken, um was es sich handelt.“ Wenn das wirklich seine Absicht war, so zeigte der Professor erstaunliche Kühnheit, denn schließlich betraf die Angelegenheit ihn am meisten: Er sagte: „Saint-Roch ist an einer ungewöhnlich rapiden Art von Krebs verstorben. Nach unserer Kenntnis kommt dieser galoppierende Krebs nur zustande, wenn Saint-Roch den von Pirello entdeckten Stoff aufgenommen hat. Es ist aber beinahe unvorstellbar, daß er diesen seltenen Stoff durch einen Zufall aufgenommen hat. Folglich müßte er ihm absichtlich beigebracht worden sein. Das würde aber Mord bedeuten. — Folgen Sie mir?“

      „Hm!“ brummte Fauve und nickte. Riquet fuhr sogleich fort: „Nach unserer Kenntnis ist diese Substanz aber nur Doktor Fauve und mir bekannt. Ein etwaiger Mordverdacht fällt in erster Linie auf uns beide.“

      Riquet sah triumphierend von einem zum andern, als sei ihm soeben ein glänzender wissenschaftlicher Beweis gelungen. Lieuwe fuhr sich erregt über das silberne Haar. Kommissar Siloque aber sagte mit fast teilnahmsloser Ruhe: „Kompliment zu Ihrem Mut, Professor! Dann lassen Sie uns auch gleich erwähnen, daß Saint-Roch sehr reich war und daß Sie mit seiner Tochter verlobt sind, nicht wahr? Danach würden Sie zuerst ins Kreuzfeuer geraten.“

      „So ist es wohl“, entgegnete Riquet etwas unruhig, aber ohne Rückhalt. Rechtsanwalt Lieuwe räusperte sich und sagte leise, indem er sein Glas erhob: „Eine Gesellschaft von vier Herren, in der mit solchem Freimut gesprochen wird, werde ich kaum ein zweites Mal erleben, und ich bin glücklich, dabei sein zu dürfen.“ Er trank. Fauve verzog spöttisch die Lippen. War das Pathos dieses Mannes eine Art Kundendienst, oder kam es aus ehrlicher Ergriffenheit? Die Lage war allerdings einzigartig. Zwei weitbekannte Ärzte, die hier vor Zeugen dabei waren, aus ärztlicher Verantwortung Peinlichkeiten gegen sich selbst auszuhecken! Nur Siloque blieb trocken bei der Sache:

      „Monsieur Fauve, haben Sie irgendeine Vermutung, wer Ihnen das Wort ‚Pirello‘ auf den Rezeptblock geschrieben haben kann?“

      „Die Vernehmungen beginnen“, seufzte Fauve. „Es kann nur einer der Patienten des Tages gewesen sein. Es waren acht. Eine Liste ihrer Namen liegt ebenfalls bei Monsieur Lieuwe. Vier von ihnen sind mir näher bekannt und kommen höchstens in zweiter Linie in Frage.“

      „Und Ihre Sprechstundenhilfe?“

      „Theoretisch auch sie. Praktisch scheint es mir ausgeschlossen.“

      „Hm. Wissen Sie, wer im Theater in Ihrer Nähe saß?“

      „Links von mir eine ältere Dame mit einem Lorgnon und Spitzenschal, prädestiniert zur gestrengen Schwiegermutter; rechts ein Turteltaubenpärchen, das sich beunruhigend oft schnäbelte. Ich habe darüber eine Notiz gemacht, die bei Monsieur Lieuwe liegt und von ihm nach seinen Beobachtungen ergänzt und bestätigt wurde. Über die Namen weiß ich natürlich nichts.“

      „Enorm!“ sagte Siloque. „Ihre Sicherheitsvorkehrungen sind erstaunlich.“

      Fauve sah den Kommissar stirnrunzelnd an. „Wundert Sie das bei einer Sache von solchem Gewicht? Ich sagte Ihnen ja, was ich befürchtete.“

      Kommissar Siloque lächelte freundlich. „Trugen Sie früher einen Schnurrbart?“

      „Wie bitte?“ Fauve sah entgeistert aus.

      „Es ist noch nicht lange her, daß Sie ihn abschneiden ließen, nicht wahr?“

      „Ja; aber kennen Sie mich denn von früher?“ fragte Fauve verwirrt.

      Siloque lachte polternd. „Mir fiel nur auf, daß Sie so oft nach der Oberlippe greifen.“

      Fauve stimmte in das Lachen ein, aber es klang nicht ganz echt. Siloque war der einzige, an dessen breitschultrigem Phlegma die quälende Spannung dieser Lage abzuprallen schien. Er stocherte mit einem abgebrannten Streichholz in seinem Pfeifenkopf herum und fragte: „Können Sie nachweisen, ob die Krankheit durch den Pirelloschen Stoff hervorgerufen wurde?“

      Die Ärzte wechselten einen Blick. Ja, das war die entscheidende Frage, vor der sie sich fürchteten, obwohl sie ja im Grunde hierher gekommen waren, um sie zu erörtern. Und Siloque sprach sie gelassen aus. Endlich sagte Riquet: „Vielleicht.“

      „Was heißt vielleicht?“

      Fauve schaltete sich ein: „Ich nenne diesen Reizstoff Aminyl, ohne dadurch sein Geheimnis zu verraten. Wenn wir Aminyl im Körper nachweisen, gibt es keinen Zweifel. Wenn wir es nicht nachweisen, hat es sich vielleicht schon zersetzt.“

      „Das heißt“, sagte Siloque, „wenn Sie es nachweisen können, ist der Mordverdacht unbezweifelbar und amtlich?“

      „Ja, Monsieur“, sagte Riquet starr.

      „Man müßte ihn exhumieren?“

      Niemand sprach. Die Kerzen auf den silbernen Leuchtern flackerten etwas. Die Ärzte blickten stumm auf die Tischplatte. Siloque erriet ihre Gedanken. Die Entscheidung war schwierig, der Skandal kaum zu vermeiden. Er sagte: „Meine Herren, ich mache Ihnen einen Vorschlag. Wir wollen diesen Kreis als ein Schiedsgericht betrachten und eine Abstimmung herbeiführen. Eine geheime Abstimmung.

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