Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen. Hermann Stehr

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Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen - Hermann Stehr

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ich mach' rote Suppe aus Rotznasen«, sprach der Tischler und erhob sich. Deswegen trat ich ein wenig zurück.

      »Und dein Meester macht Darmsaiten aus Eselsohren«, gab ich zurück.

      »Meenst du etwa mich?« fragte er und rückte näher.

      »Nee, den Esel,« erwiderte ich, »und läßt du mich nich zufrieden, so sag' ich's deinem Meester.«

      In diesem Augenblicke fuhr er auf mich los. traf mich aber nicht und lief mir nach, der leichtfüßig, neckend vor ihm hersprang. Bald aber wurde aus der Verfolgung ein lustiges Jägerspiel, und dann saßen wir als gute Freunde auf den Brettern. Es war ein dicker, ziemlich törichter Junge und nicht lange, so hatte ich ihm alle Würmer aus der Nase gezogen. Sein Meister sei am Morgen in der Stube gefallen und habe sich einen solchen Schaden getan, daß er sofort nach Breslau gefahren sei und vielleicht vierzehn Tage unten bleiben müsse. Was für ein Schaden es sei, am Schädel oder am Buckel, wisse keines von den Leuten, denn früh um sechs sei der Meister, der Bucklinski, schon zum Tempel hinausgewesen. Nun machte er seinem Zorn Luft, nannte ihn einen höhnischen Hund, wünschte, er möchte sein Maul gebrochen haben und sagte, es sei nicht zum Aushalten bei ihm. »Warum lachst du denn?« fragte der Junge zuletzt. Ja, wahrhaftig, ich konnte mir nicht helfen, und jetzt, da der Erfolg meines nächtlichen Abenteuers so unzweifelhaft vor mir lag, sprang ich, ohne zu antworten, auf und lief über den Platz, durch die Straßen, sang wie besessen und schwang die Schultasche immer um meinen Kopf. Die ganze Stadt regte ich mit meinem Siegeslied auf. An der Postecke, beim Anblick des gähnenden Torbogens, erlosch plötzlich der Jubel in mir. Sehr langsam und zögernd vor Erwartung betrat ich die Stube. Statt des Schimmers lag sie voll von Lasten und verheimlichtem Kummer. Mein Vater saß gebückt vor seinem Vesperkaffee. Er streifte mich beim Eintritt mit einem gleichgültig vorübergehenden Blick, um seine Augen dann in zweckloser Beharrlichkeit wieder auf das schmale Stück Diele zwischen den auseinandergestellten Beinen zu heften. Die Mutter wagte aus Scheu oder Schonung die Geschirre der beendeten Mahlzeit nicht vom Tisch zu räumen, sondern ging in unruhiger Geschäftigkeit vor dem Ofen auf und nieder, trug Töpfe hinaus und brachte sie leer herein, wand den Hader aus, obwohl er ganz trocken war und beobachtete indessen voll barmherzigen Kummers den Gebeugten. Ein Paarmal war ich im Begriff, auf ihn zuzugehen und ihm von Rinkes Reise nach Breslau zu erzählen. Aber schon nach dem zweiten Schritt, wenn er von dem nahenden Geräusch aufgeschreckt, den Kopf hob und mit unwirschem Erstaunen über mich hinsah, entwich mir der Mut. Verwirrt trat ich ans Fenster und schaute lange hinaus, und jedesmal fühlte ich dann, wie die Augen meines Vaters in trauervoller Freude auf mir ruhten, und zugleich wußte ich auf geheimnisvolle Weise, daß die Nachricht von Rinkes Reise ihn noch tiefer verwunden mußte und schwieg.

      Von diesem stummen Bohren wurde mein Vater einige Tage gebunden, und immer folgten mir seine überlegenden Blicke. An einem Abende, das Dämmern fiel wie ein tiefer Aschenschleier vor den Fenstern nieder, rief er mich vor seine gebeugte Stirn und fragte, ohne das Gesicht zu erheben, ob ich zu Ostern aus der Schule komme. Dann sagte er, ich sei anfällig und so zart gebaut, daß ich unmöglich ein Handwerk ergreifen könne. Das war nun nicht wahr, denn überall ordneten sich nach kurzer Zeit die Knaben willig unter meine umsichtige Kraft. Einen Augenblick kam mir eine Versuchung zum Widerspruch. Doch da hob mein Vater sein Gesicht; es war weiß, und sein Auge packte mich, daß mir das Wort in der Kehle sitzen blieb. »Nun,« sagte er, »aber du scheinst mir nicht auf den Kopf gefallen zu sein. So sollst du Lehrer werden. Das Geschäft geht zwar schlechter, aber ich hoffe, dich durchhalten zu können. Du bist mein Sohn. So weiß ich, daß du mir unmöglich Schande machen kannst. Gib mir deine Hand darauf.« Ich legte zaghaft meine Rechte in seine Hand. Er schüttelte sie heftig, damit ich das Jucken darin nicht wahrnehmen sollte. Aber es arbeitete trotz des festen Griffes so heftig in seinen Fingern, daß ich bestürzt in sein Gesicht sah. Aus seinem Munde kam ein seltsames Blasen, zugleich knirschte er mit den Zähnen, und seine Lippen zitterten. Mit aller Gewalt kämpfte er gegen die Rührung, die ihn zu übermannen drohte. Plötzlich schleuderte er meine Hand aus der seinen und stürmte zur Tür hinaus. Seine Schritte verklangen auf der knarrenden Stiege in die Werkstatt. Langsam löste sich die Beklemmung von meiner Brust. Ich fiel der Mutter um den Hals und gestand ihr unter Tränen, ich wollte nicht Lehrer, sondern Schiffskapitän werden. »Kind,« sagte sie. »denk' doch, das große Wasser, und wie weit es is!« »Wenn's aber ginge. Mutter«, schmeichelte ich. »Der Vater will's nich.« antwortete sie. »und Vaters Segen baut den Kindern Häuser.«

      – – – – – – –

      Man müßte Menschen, die uns enttäuschen, aus sich entfernen, wie man einen Schluck lauen Wassers ausspeit, sie abtun, wie man den Schweiß von seinen Fenstern wischt. Aber nur die Wertlosen und die Heiligen können das. Für den großen Menschen bedeutet dieser Betrug einen Speerstoß, dessen Wunde nie mehr zuheilt. Denn ich bin gerade so tief in anderen als in mir. So kam mein Vater über den Schimpf und die Schande, die ihm der Tischler Rinke angetan hatte, nicht hinweg und brachte es doch auch nicht über sich, diesen Treubruch und mit ihm eine Menschenbeziehung, die wohl einst seine ganze Seele erfüllt hatte, durch die Gerichtsstuben zu schleifen. Hastig trieb er sein Werk; bitter spornte er seine Leute. Das Essen verschlang er ohne zu kosten, und seine Ruhe war ein Versinken, aus dem er mit dem Lächeln des Selbsthohnes erwachte, meine Mutter, die ihn zu Vergeltungsmaßregeln stachelte, sah er auf das Höchste erstaunt an und ließ sie stehen. Einmal aber, als sie zu sehr in ihn drang, faßte er mit flachen Händen ihren Kopf, als wolle er sie so emporheben und schüttelte ihn leidenschaftlich. Sein Gesicht trug dabei einen Zug bitterster Überreizung, und er rief fortwährend:

      »Wach auf, Weib! Wach auf, Weib!«

      Und doch hätte er aufwachen sollen. Denn nachdem Rinke zurückgekehrt war, stürzte er sich in ein turbulentes Leben. Wo eine Fiedel klang oder sich eine Maste drehte, an den Tischen angesehener Zechbrüder, oder wo die Karten ihr buntes Rad schlugen, war er dabei. Er nahm die Gepflogenheit törichter Müßiggänger an, mit Alkohol sich auf das Mittagsmahl und den Schlaf vorzubereiten, und bildete er bei den Veranstaltungen der Honoratioren auch nur ein geduldetes Anhängsel, so überbrückte der sonst so melancholisch Gedankenvolle die Kluft durch laute Witzeleien und aufdringliche Vertraulichkeit. Wie oft hörte ich nicht sein trunkenes, schrilles Lachen tief in der Nacht an unserm Hause vorbeitorkeln, und mir war es dann, als wiehere er vor Hohn über meinen Vater. Den aber lockte dies herausfordernde Leben nicht in Rache hinein. Den frechen Augenaufschlag des vorübergehenden ungetreuen beantwortete er mit einem langen Blick trauervollen Mitleides. Das war alles. Im übrigen stand er in klaren Nächten lange am Fenster oder unter der Haustür, betrachtete hingegeben das Spiel des unruhigen Frühlingsgewölkes und lauschte den Stimmen des Windes, die oft wie die Schreie unerlöster Geister über die Dächer hinfuhren. Trat er dann wieder unter uns, so trug sein Antlitz einen tiefen Glanz, eine schimmernde Verfinsterung, die zuletzt notvollem Frieden wich. Sein Blick aber war noch lange nachher in einer sprechenden Gebärde jenen Weiten zugewendet, aus denen die Schatten ihn geschreckt, die rätselhaften Rufe ihn getroffen hatten. Meine Mutter rang an solchen Abenden doppelt inbrünstig in ihrem Gebete zu dem Christusbilde empor, als gelte es, daß Leben meines Vaters einer feindlichen Macht zu entreißen.

      Das alles wirkte, wie ein uneingestandener Wirbel, ein verderbliches Sieden, das den Bau unseres Familienlebens lockerte. Meinen Bruder Peter, der in der Werkstatt meines Vaters die Sattlerei erlernt hatte, trieb es in die Fremde. In verdrossenem Gleichmut verließ er uns, und kaum war er einige Tage fort, so konnte ich mich schon nicht mehr genau an die Umstände seines Wegganges erinnern. Resa, die immer an tausend bunten Bändern allerhand leichten Hoffnungen nachgegaukelt war. zwitscherte sich eines Tages auch über die Schwelle und fuhr davon, in irgendeine Stadt des Südwestens, ich weiß nicht, war es Frankfurt am Main oder Straßburg. Sie ist mir seitdem nicht mehr zu Gesicht gekommen.

      Nun der endlose Kleinkrieg der beiden nicht mehr unser Haus erfüllte, empfand ich doch, wieviel sie mir gewesen waren. Hilf- und schutzlos bebte meine Jugend in der schweren Luft, die von dem Leben meiner Eltern ausging. Bei dem Gedanken an den Lehrerberuf sah ich mich in dem Schlund einer engen Gasse vor einem

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