Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen. Hermann Stehr

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Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen - Hermann Stehr

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sprang aus meiner Schmerzdämmerung in eine blühend überhitzte, phantastisch-heroische, abenteuerliche Welt, in die Welt der deutschen Vorjünglinge. Alles Nützliche heißt ledern, alle Pflicht Sklaverei. Die Rücksichtnahme ist Unmännlichkeit; noch nichts ist entdeckt, noch nichts erfunden, alles muß neu geschaffen werden, von Gott angefangen bis zur Stiefelsohle. Es ist ein Bohren, Fliegen, Überschlagen, Kobolzschießen; alles übertrieben, seltsam, gewalttätig, noch nie dagewesen, und jeder hält den bunten Flicken, den er sich angeheftet, für das Letzte, allein Berechtigte. – Gleich am andern Tage stellte mich auf dem Nachhausewege der Kapitän Gläsner. Er war ein Schüler des Oberkursus, der die Absicht hatte, seinem Vater ein Schnippchen zu schlagen und, anstatt »den Bakel zu retten, über der Midgartschlange mähniges Haupt zu fahren«, das heißt, Seemann zu werden. Er übte sich in der freien Zeit in allen Gewohnheiten der Schiffer, schwamm und tauchte, saß nächtelang am Wasser, um Strandwache zu halten, trieb sich in den Spelunken umher, ging breitbeinig und schwankend wie ein Bär und spuckte fortwährend geräuschvoll aus. Wir alle waren ihm verächtliche Landratten, er trug klotzig und flämisch seinen Kopf über uns erhaben.

      »Du gefällst mir, Junge,« sagte er zu mir und griff meine Arm- und Beinmuskeln durch, »und ich will sehen, ob ich dich heuern kann. Komm um zwei in meine Bude, wir wollen auf den grauen Stein gehen.« Zur richtigen Zeit war ich bei ihm. Auf dem Tisch standen eine große Flasche und eine Blechdose, nicht länger als ein Finger. Er steckte beides zu sich und ging mir voraus, mit Kopfnicken mich nach sich winkend. Durch niedrigen Buchenwald stiegen wir den niedrigen Berg aufwärts und machten auf seiner freien, etwas eingesunkenen Kuppe Halt. Hier spie er aus, produzierte einen gräulichen Fluch, setzte die Flasche an und gab sie nach einigen unmenschlichen Zügen schweigend mir. Es war ein Schnaps darin, vor dem ich die Zunge sofort zurückzog, so brannte er. Aber ich schluckte zum Scheine lange und laut. Der Kapitän sagte schmunzelnd, ich sei ein »richtiger Hund«, riß sie mir vom Munde und stellte sie in den Schatten. Dann suchte er aus dem Versteck eine schwere Spitzhaue und begann wütend in das Steingeröll einzuschlagen. Es sollte eine Mole errichtet werden, und als sein Gesicht in Schweiß gebadet war, setzte er sich in den Schatten und trank Schnaps. Ich war die Matrosenkompagnie und mußte nun die angefangene Arbeit vollenden, vielfältig regiert und unterbrochen von groben Lästerungen. Dazwischen malträtierte er fortwährend die Flasche, erhitzte sich, warf die Arme in die Luft, schrie und tobte wie ein Berserker. Endlich erklärte er, ich sei müde und müsse zur Muskelstärkung einen Priem nehmen. Das verhindere außerdem Skorbut und Seekrankheit. Er kam mit dem geöffneten Blechdöschen auf mich zu, in dem die schwarzen, speckigen Raupen lagen. Weil ich zögerte, schob er lachend ein solch abscheuliches Ding neben die Zähne. Aber mir graute dennoch. Deswegen stieß er mich »jämmerlichen Gossenfahrer« zur Seite und begann an meiner Stelle weiter an der Mole zu schuften. Die Steine flogen nur so, rechts und links ergossen sich braune Strähnen aus seinem Munde. Plötzlich wurde er papierweiß im Gesicht, auf seiner Stirn standen dicke Schweißperlen, die Haue zitterte in seinen Händen. Eine Weile sah er noch mit großen, stieren Augen umher, spie den Priem aus und murmelte dann, er müsse in seine »Koje« gehen. Torkelnd verschwand er im Gebüsch, die Äste krachten, und nicht lange, so hörte ich, wie bei meinem Kapitän die Seekrankheit ausbrach. Ich wartete noch ein wenig, und als er zu schnarchen anfing, lief ich nach Hause. Er nahm mich nicht wieder mit auf die Mole, ließ aber in seinem Seemannsdienst nicht nach und erlebte das Glück, daß seine Nase immer röter wurde.

      Danach trat ich in den Geheimbund »Die Brüder des ewigen Waldes« ein. Wir waren nichts als die Fortsetzung eines früheren Ordens, von dem unter den Schülern nur noch halbverlorene, geheimnisvolle Sagen gingen. Unter entsprechenden Zeremonien erfolgte meine Aufnahme. Eines Tages führte mich ein blasser Junge mit tiefliegenden, großen Augen auf wirren Steigen weit in den Wald hinein und verschwand dann plötzlich von meiner Seite mit der Warnung, mich nicht von der Stelle zu rühren, wenn mir mein Leben lieb sei. Ich kauerte mich geduldig nieder. Es mochte eine halbe Stunde vergangen sein. Nichts als das Sieden der Nadeln war über mir, und dann und wann fiel ein Fladen Sonnenlicht durch die Wipfel wie ein goldenes Eichhörnchen und lief über das Moos. Auf einmal schoß fern ein hoher Singruf durch das Dämmern des Waldes, da und dort antwortete es, rundumher. Und kam immer näher. »Amozim!« rief es von allen Seiten. Es war, als schieße man mit dem Wort auf mich. Plötzlich, als blase jemand ein Licht aus, erlosch das Getöse, und ich hörte nichts als das Knacken dürrer Zweige unter eilenden Füßen. Im nächsten Augenblick stand eine Schar Knaben im Kranz um mich, und ich hörte nur ihren keuchenden Atem. Sie hatten alle ihr Gesicht mit Ruß schwarz gefärbt, wie Bergleute, die von der Schicht kommen. Ihre Augen rollten, und die roten Lippen sahen aus wie die Lefzen von Raubtieren. Jeder trug ein Stearinlicht in der Hand, stoßbereit gefaßt, als sei es ein Dolch. Ich erhob mich. Da ließen alle wieder den Ruf los, den ich eben gehört hatte: »Amozim!« Ihre Stimmen waren jetzt gewaltsam gedämpft. Denn es sollte klingen wie das Zusammenschlagen von Schilden. Dann ordneten sie sich zu Paaren. Mit einem sanften Griff dirigierte mich ein ewiger Bruder, der durch ein weißes Kreuz an der Stirn als Haupt des Bundes kenntlich gemacht war, an die Spitze des Zuges, und schweigend setzten wir uns in Bewegung. Ohne Weg, quer durch den Hochwald, über eine Schlucht ging es dem geheimnisvollen Ziele zu. Nachdem wir uns durch die peitschenden Äste einer Schonung gewunden hatten, standen wir endlich vor dem Klubgebäude. Es war eine aus Stangen, Steinen und Moos errichtete Hütte, die mit einem Ofenrohr eine dünne Peitschenschnur von Rauch in die Luft blies; drinnen war sie so niedrig, daß die Größeren fast an die Decke stießen. Ein kleines Reisigfeuer brannte auf niedrigem Steinherd. Um den gruppierten sich die Brüder, schoben mich in die Mitte und entzündeten an dem Feuer ihre Lichter. Die Tür war zugeschlossen worden, und da kein Fenster vorhanden war, standen wir bald in dicker, qualmender Nacht. Es war eine Szene aus der Unterwelt, und ich muß sagen, daß mein Herz mit furchtvollen Schlägen darüber quittierte. »Amozim!« murmelten alle wieder. Auf diesen Ruf trat das Oberhaupt an mich heran und entfaltete ein altes, schwarzes Buch. Rechts und links, wie bei einem Pontifikalamt, stellten sich Kerzenträger auf. Nun begann der Häuptling die Beschwörungsformel abzulesen: »Ich, der redende Brunnen, Herr und Meister der Brüder des ewigen Waldes, beschwöre dich, rufe und befehle dir, durch die Macht des Fleisch gewordenen Wortes, durch die Macht des ewigen Vaters, wie auch durch die Kraft dieser Worte: Messias, Satan, Emanuel, Sabaoth, Adonai, Athanatos, Tetragrammatron, Elohim, Heloi, El, Sadai, Jehovah, Jesus, Alpha und Omega, daß du mir gehorsam und beantwortest alle an dich gerichteten Fragen und Befehle.«

      Dann legte er mir allerhand seltsame Fragen vor, und jedesmal mußte ich antworten: »Ich will und schwöre!« Die Befehle lauteten furchtbar, mir wurde fast übel davon. Darauf erhielt ich den Namen »der reißende Bär«. Am Ende drohte mir »der redende Brunnen« mit dem schrecklichen Bannfluch des heiligen Adalbert, wenn ich Verrat an der Brüderschaft üben sollte. Er verfluchte mein Bett, mein Weib, meine Kinder, Felder, Scheunen, Haus, Vieh und alles, was an mir lebte. Ich geriet in einen Taumel und trieb wie in einer schwatzenden Turbine rundum. Nachdem ich von »wilden« Tieren zerrissen, verbrannt, gehenkt und erwürgt worden war, gehörte ich der Brüderschaft an. Jeder berührte mit dem Zeigefinger seine Lippen und legte mir ihn auf den Mund. Danach stießen alle ihr Licht in der Herdasche aus, wobei sie abermals »Amozim« murmelten, setzten sich nieder und aßen die mitgebrachten Butterschnitten. Gespräche, als wohnten wir im Mittelpunkt der Erde, als trüge uns der Wind, als wären wir jeder ein Asmodis, würzten das Mahl. Bald redete »der Totenvogel«, bald »das Einhorn«. Aber es kam dabei doch gar nichts Reales heraus. Wir liefen eigentlich nur alle vierzehn Tage ein paar Stunden mit geschwärzten Gesichtern im Walde herum und aßen unser Butterbrot, sammelten Reisig, riefen fleißig »Amozim« und hatten eigentlich alle eine Heidenangst vor dem »grünen Teufel«, dem Förster. So ging das einige Monate hin, und es gewährte mir eine ungemeine Lust, von Zeit zu Zeit aus meinem Leben austreten zu dürfen, alles hinter mir lassend, in einer anderen Welt, als fremdes Wesen, zugleich groß und verborgen vor mir, am Anfange der Dinge zu stehen. Oft, wenn ich mit weißgewaschenem Gesicht dem Walde enteilte und wieder durch die Straßen ging, empfand ich das Leben der Leute und auch mein eigenes Dasein als eine Vermummung, einen Spuk. Das Reden und Sichgebaren der Menschen kam mir ungemein zwecklos vor. Ganz genau erinnere ich mich eines Gedankens, der mich wie eine Erleuchtung überfiel, als ich einst sah, wie ein Mann seine eingespannten Ochsen durch die Straßen führte. Ich erkannte, wie der Mensch dem Tier ebenso

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