Gesammelte Werke (Über 150 Titel in einem Band). Rosa Luxemburg
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Achtes Kapitel.
Die Versuche der Lösung der Schwierigkeit bei Marx
Wir finden daß das völlige Absehen von der Geldzirkulation im Schema der erweiterten Reproduktion, das uns den Akkumulationsprozeß so glatt und einfach erscheinen ließ, zu großen Unzuträglichkeiten führt. Bei der Analyse der einfachen Reproduktion war dieses Verfahren vollkommen gerechtfertigt. Dort, wo die Produktion ausschließlich für die Konsumtion stattfand und auf sie berechnet war, diente das Geld nur als verschwindender Vermittler der Verteilung des gesellschaftlichen Produkts unter die verschiedenen Konsumentengruppen und der Erneuerung des Kapitals. Hier bei der Akkumulation spielt die Geldform eine wesentliche Funktion: Sie dient nicht mehr bloß als Vermittler in der Warenzirkulation, sondern als Erscheinungsform des Kapitals, als Moment in der Kapitalzirkulation. Die Verwandlung des Mehrwertes in Geldgestalt ist die wesentliche ökonomische Voraussetzung der kapitalistischen Akkumulation, wenn auch kein wesentliches Moment der wirklichen Reproduktion. Zwischen der Produktion und der Reproduktion liegen also hier zwei Metamorphosen des Mehrprodukts: die Abstoßung der Gebrauchsform und dann die Annahme der den Zwecken der Akkumulation entsprechenden Naturalform. Es kommt nicht darauf an, daß es sich etwa um Jahresabschnitte handelt, die zwischen den einzelnen Produktionsperioden lägen. Es seien unseretwegen Monate, oder die Metamorphosen einzelner Portionen des Mehrwertes in I und II mögen sich zeitlich in ihrer Reihenfolge kreuzen. Was diese Jahresfolgen in Wirklichkeit bedeuten, sind nicht Zeitabschnitte, sondern Reihenfolge ökonomischer Verwandlungen. Diese Reihenfolge muß aber eingehalten werden, ob sie kürzere oder längere Zeit beansprucht, soll der kapitalistische Charakter der Akkumulation eingehalten werden.
Wir kommen damit wieder auf die Frage: Wer realisiert den akkumulierten Mehrwert?
Marx fühlt selbst die Lücke in seinem äußerlich lückenlosen Schema der Akkumulation und faßt das Problem mehrfach von verschiedenen Seiten an. Hören wir zu:
"Es wurde in Buch I gezeigt, wie die Akkumulation für den einzelnen Kapitalisten verläuft. Durch die Versilberung des Warenkapitals wird auch das Mehrprodukt versilbert, in dem sich der Mehrwert darstellt. Diesen so in Geld verwandelten Mehrwert rückverwandelt der Kapitalist in zuschüssige Naturalelemente seines produktiven Kapitals. Im nächsten Kreislauf der Produktion liefert das vergrößerte Kapital ein vergrößertes Produkt. Was aber beim individuellen Kapital, muß auch erscheinen in der jährlichen Gesamtreproduktion, ganz wie wir gesehn bei Betrachtung der einfachen Reproduktion, daß der sukzessive Niederschlag - beim individuellen Kapital - seiner verbrauchten fixen Bestandteile in Geld, das aufgeschatzt wird, sich auch in der jährlichen gesellschaftlichen Reproduktion ausdrückt."48
Weiter untersucht Marx den Mechanismus der Akkumulation gerade von diesem Standpunkt. d.h. unter dem Gesichtswinkel, daß der Mehrwert, bevor er akkumuliert wird, die Geldform passieren muß:
"Wenn Kapitalist A z.B. während eines Jahrs oder einer größren Anzahl von Jahren die sukzessive von ihm produzierten Mengen von Warenprodukt verkauft, so verwandelt er auch damit den Teil des Warenprodukts, der Träger des Mehrwerts ist - das Mehrprodukt -, also den von ihm in Warenform produzierten Mehrwert selbst sukzessive in Geld, speichert dies nach und nach auf und bildet sich so potentielles neues Geldkapital; potentiell wegen seiner Fähigkeit und Bestimmung, in Elemente von produktivem Kapital umgesetzt zu werden. Tatsächlich aber vollzieht er nur einfache Schatzbildung, die kein Element der wirklichen Reproduktion ist. Seine Tätigkeit besteht dabei zunächst nur im sukzessiven Entziehn von zirkulierendem Geld aus der Zirkulation, wobei natürlich nicht ausgeschlossen ist, daß das zirkulierende Geld, das er so unter Schloß und Riegel sperrt, eben selbst noch - vor seinem Eintritt in die Zirkulation - Teil eines andern Schatzes war ...
Geld wird der Zirkulation entzogen und als Schatz aufgespeichert durch Verkauf der Ware ohne nachfolgenden Kauf. Wird diese Operation also als allgemein vorsichgehend aufgefaßt, so scheint nicht abzusehn, wo die Käufer herkommen sollen, da in diesem Prozeß - und er muß allgemein aufgefaßt werden, indem jedes individuelle Kapital sich in Akkumulationsprozedur befinden kann - jeder verkaufen will, um aufzuschatzen, keiner kaufen.
Stellte man sich den Zirkulationsprozeß zwischen den verschiednen Teilen der jährlichen Reproduktion als in gerader Linie verlaufend vor - was falsch, da er mit wenigen Ausnahmen allzumal aus gegeneinander rückläufigen Bewegungen besteht -, so müßte man mit dem Gold- (resp. Silber-) Produzenten beginnen, der kauft, ohne zu verkaufen, und voraussetzen, daß alle andren an ihn verkaufen. Dann ginge das gesamte jährliche gesellschaftliche Mehrprodukt (der Träger des gesamten Mehrwerts) an ihn über, und sämtliche andre Kapitalisten verteilen pro rata unter sich sein von Natur in Geld existierendes Mehrprodukt, die Naturalvergoldung seines Mehrwerts; denn der Teil des Produkts des Goldproduzenten, der sein fungierendes Kapital zu ersetzen hat, ist schon gebunden und darüber verfügt. Der in Gold produzierte Mehrwert des Goldproduzenten wäre dann der einzige Fonds, aus dem alle übrigen Kapitalisten die Materie für Vergoldung ihres jährlichen Mehrprodukts ziehn. Er müßte also der Wertgröße nach gleich sein dem ganzen gesellschaftlichen jährlichen Mehrwert, der erst in die Form von Schatz sich verpuppen muß. So abgeschmackt diese Voraussetzungen, so hülfen sie zu weiter nichts, als die Möglichkeit einer allgemeinen gleichzeitigen Schatzbildung zu erklären, womit die Reproduktion selbst, außer auf Seite der Goldproduzenten, um keinen Schritt weiter wäre.
Bevor wir diese scheinbare Schwierigkeit lösen, ist zu unterscheiden" usw.49
Hier nennt Marx die Schwierigkeit in der Realisierung des Mehrwertes eine scheinbare. Die ganze weitere Untersuchung bis zu Ende des zweiten Bandes des "Kapitals" dient aber der Überwindung dieser Schwierigkeit. Zuerst versucht Marx die Frage zu lösen durch den Hinweis auf die Schatzbildung, die sich bei der kapitalistischen Produktion unvermeidlich ergibt aus dem Auseinanderfallen in dem Zirkulationsprozeß verschiedener konstanter Kapitale. Da sich verschiedene individuelle Kapitalanlagen in verschiedenem Alter befinden, ein Teil der Anlagen aber immer erst nach einer längeren Periode erneuert wird, so sehen wir, daß zu jedem Zeitpunkt irgendwelche Einzelkapitalisten bereits ihre Anlagen erneuern, während andere dafür nur aus dem Verkauf ihrer Waren Rücklagen machen, bis diese die nötige Höhe zur Erneuerung des fixen Kapitals erreicht haben. So geht auf kapitalistischer Basis die Schatzbildung stets parallel mit dem gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß als Äußerung und Bedingung des eigenartigen Umschlags des fixen Kapitals. "A verkaufe z.B. 600 (= 400 c + 100 v + 100 m) an B (der mehr als einen Käufer repräsentieren mag). Er hat für 600 Waren verkauft, gegen 600 in Geld, wovon 100 Mehrwert darstellen. die er der Zirkulation entzieht, sie aufschatzt als Geld; aber diese 100 Geld sind nur die Geldform des Mehrprodukts, das der Träger eines Werts von 100 war. (Um das Problem rein aufzufassen, nimmt Marx hier an, der gesamte Mehrwert werde kapitalisiert, sieht also von dem zur persönlichen Konsumtion des Kapitalisten verwendeten Teil des Mehrwertes ganz ab; zugleich gehören hier sowohl die A', A'', A''' wie die B', B'', B''' der Abteilung I an. - R. L.) Die Schatzbildung ist überhaupt keine Produktion, also von vornherein auch kein Inkrement der Produktion. Die Aktion des Kapitalisten dabei besteht nur darin, daß er das durch Verkauf des Mehrprodukts von 100 ergatterte Geld der Zirkulation entzieht, festhält und mit Beschlag belegt. Diese Operation findet nicht nur statt auf seiten des A, sondern auf zahlreichen Punkten der Zirkulationsperipherie von andren A', A'', A''' ...
A vollbringt diese Schatzbildung aber nur, sofern er - mit Bezug auf sein Mehrprodukt - nur als Verkäufer, nicht hintennach als Käufer auftritt. Seine sukzessive Produktion von Mehrprodukt - dem Träger seines zu vergoldenden Mehrwerts - ist also die Voraussetzung seiner Schatzbildung. Im gegebnen Fall, wo die Zirkulation nur innerhalb