Gesammelte Werke (Über 150 Titel in einem Band). Rosa Luxemburg
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Gesammelte Werke (Über 150 Titel in einem Band) - Rosa Luxemburg страница 59
Versuchen wir jetzt in derselben Weise das Schema der erweiterten Reproduktion nachzuprüfen.
Stellen wir uns eine sozialistische Gesellschaft vor, und legen wir der Nachprüfung das Schema des zweiten Marxschen Beispiels zugrunde. Vom Standpunkt der geregelten Gesellschaft muß die Sache natürlich nicht von der Abteilung I, sondern von der Abteilung II angefaßt werden. Denken wir uns, daß die Gesellschaft rapid wächst, woraus sich ein wachsender Bedarf nach Lebensmitteln für Arbeitende und Nichtarbeitende ergibt. Dieser Bedarf steigt so rasch, daß - die Fortschritte der Produktivität der Arbeit vorläufig beiseite gelassen - eine stets wachsende Menge Arbeit zur Herstellung von Lebensmitteln notwendig wird. Die erforderliche Menge Lebensmittel, ausgedrückt in der in ihnen steckenden gesellschaftlichen Arbeit, steige von Jahr zu Jahr, sagen wir, im Verhältnis 2.000 - 2.215 - 2.399 - 2.600 usw. Um diese wachsende Menge Lebensmittel herzustellen, sei technisch eine wachsende Menge von Produktionsmitteln erforderlich, die, in gesellschaftlicher Arbeitszeit gemessen, im folgenden Verhältnis von Jahr zu Jahr wachse: 7.000 - 7.583 - 8.215 - 8.900 usw. Ferner sei, nach Annahme, zu dieser Erweiterung der Produktion eine jährliche Arbeitsleistung von 2.570 - 2798 - 3030 - 3284 (die Zahlen entsprechen den respektiven Summen von (v + m) I + (v + m) II) erforderlich. Und endlich sei die Verteilung der jährlich geleisteten Arbeit derart, daß die Hälfte davon jedesmal zur Erhaltung der Arbeitenden selbst, ein Viertel zur Erhaltung der Nichtarbeitenden, ein letztes Viertel zur Erweiterung der Produktion des nächsten Jahres verwendet werden. Wir erhalten dann für die sozialistische Gesellschaft die Proportionen des zweiten marxschen Schemas der erweiterten Reproduktion. In der Tat ist eine Erweiterung der Produktion in jeder Gesellschaft, so auch in der geregelten, nur dann möglich, 1. wenn die Gesellschaft über eine wachsende Anzahl Arbeitskräfte verfügt, 2. wenn die unmittelbare Erhaltung der Gesellschaft in jeder Arbeitsperiode nicht ihre ganze Arbeitszeit in Anspruch nimmt, so daß ein Teil der Zeit der Sorge für die Zukunft und ihre wachsenden Anforderungen gewidmet werden kann, 3. wenn von Jahr zu Jahr eine genügend zunehmende Menge von Produktionsmitteln angefertigt wird, ohne die eine fortschreitende Erweiterung der Produktion nicht bewerkstelligt werden kann.
Von diesen allgemeinen Gesichtspunkten behält also das Marxsche Schema der erweiterten Reproduktion - mutatis inutandis - seine objektive Gültigkeit auch für die geregelte Gesellschaft.
Prüfen wir jetzt die Gültigkeit des Schemas für die kapitalistische Wirtschaft. Hier haben wir vor allein zu fragen: Was ist der Ausgangspunkt für die Akkumulation? Von diesem Standpunkte haben wir die gegenseitige Abhängigkeit des Akkumulationsprozesses in beiden Abteilungen der Produktion zu verfolgen. Zweifellos ist auch kapitalistisch die Abteilung II insofern auf I angewiesen, als ihre Akkumulation an eine entsprechende Menge verfügbarer zuschüssiger Produktionsmittel gebunden ist. Umgekehrt ist die Akkumulation in der Abteilung I an eine entsprechende zuschüssige Menge von Lebensmitteln für zuschüssige Arbeitskräfte gebunden. Daraus folgt nun aber durchaus nicht, daß es genügt, beide Bedingungen einzuhalten, damit die Akkumulation in beiden Abteilungen auch tatsächlich vonstatten geht und von Jahr zu Jahr sich ganz automatisch vollzieht, wie das nach dem Marxschen Schema den Anschein hat. Die angeführten Bedingungen der Akkumulation sind eben nur Bedingungen, ohne die die Akkumulation nicht stattfinden kann. Auch der Wille zur Akkumulation mag in I wie in II vorhanden sein. Allein der Wille und die technischen Vorbedingungen der Akkumulation genügen in einer kapitalistischen Warenwirtschaft nicht. Damit tatsächlich akkumuliert, d.h. die Produktion erweitert wird, dazu ist noch eine andere Bedingung notwendig: eine Erweiterung der zahlungsfähigen Nachfrage nach Waren. Wo rührt nun die ständig wachsende Nachfrage her, die der fortschreitenden Erweiterung der Produktion im Marxschen Schema zugrunde liegt?
Soviel ist zunächst klar: Sie kann unmöglich von den Kapitalisten I und II selbst, d.h. von ihrem persönlichen Konsum herrühren. Im Gegenteil, die Akkumulation besteht gerade darin, daß sie einen - und zwar mindestens absolut wachsenden - Teil des Mehrwerts nicht selbst konsumieren, sondern dafür Güter schaffen, die von anderen verwendet werden. Die persönliche Konsumtion der Kapitalisten wächst zwar mit der Akkumulation, sie mag selbst dem verzehrten Wert nach wachsen. Immerhin ist es nur ein Teil des Mehrwerts, der für die Konsumtion der Kapitalisten verwendet wird. Grundlage der Akkumulation ist gerade die Nichtkonsumtion des Mehrwerts durch die Kapitalisten. Für wen produziert dieser andere, akkumulierte Teil des Mehrwerts? Nach dem Marxschen Schema geht die Bewegung von der Abteilung I aus, von der Produktion der Produktionsmittel. Wer braucht diese vermehrten Produktionsmittel? Das Schema antwortet: Die Abteilung II braucht sie, um mehr Lebensmittel herstellen zu können. Wer braucht aber die vermehrten Lebensmittel? Das Schema antwortet: eben die Abteilung I, weil sie jetzt mehr Arbeiter beschäftigt. Wir drehen uns offenbar im Kreise. Lediglich deshalb mehr Konsummittel herstellen, um mehr Arbeiter erhalten zu können, und lediglich deshalb mehr Produktionsmittel herstellen, um jenes Mehr an Arbeitern zu beschäftigen, ist vom kapitalistischen Standpunkt eine Absurdität. Für den einzelnen Kapitalisten ist freilich der Arbeiter ein ebenso guter Konsument, d.h. Abnehmer seiner Ware - falls er sie zahlen kann - wie ein Kapitalist oder sonst jemand. Im Preise der Ware, die er dem Arbeiter verkauft, realisiert jeder einzelne Kapitalist seinen Mehrwert genauso wie im Preise jeder Ware, die er einem anderen beliebigen Abnehmer verkauft. Nicht so vom Standpunkte der Kapitalistenklasse im ganzen. Diese gibt der Arbeiterklasse im ganzen nur eine Anweisung auf einen genau bestimmten Teil des gesellschaftlichen Gesamtprodukts im Betrage des variablen Kapitals. Wenn also die Arbeiter Lebensmittel kaufen, so erstatten sie der Kapitalistenklasse nur die von ihr erhaltene Lohnsumme, die Anweisung, bis zur Höhe des variablen Kapitals zurück.
Mehr können sie nicht um einen Deut zurückgeben, eher etwas weniger, nämlich, wenn sie "sparen" können, um selbständig, um zu kleinen Unternehmern zu werden, was jedoch eine Ausnahme ist. Einen Teil des Mehrwerts verzehrt die Kapitalistenklasse selbst in Gestalt von Lebensmitteln und behält in ihrer Tasche das dafür gegenseitig ausgetauschte Geld. Wer aber nimmt ihr die Produkte ab, in denen der andere, kapitalisierte Teil des Mehrwerts verkörpert ist? Das Schema antwortet: zum Teil die Kapitalisten selbst, indem sie neue Produktionsmittel herstellen behufs Erweiterung der Produktion, zum Teil neue Arbeiter, die zur Anwendung jener neuen Produktionsmittel nötig sind. Aber um neue Arbeiter mit neuen Produktionsmitteln arbeiten zu lassen, muß man - kapitalistisch - vorher einen Zweck für die Erweiterung der Produktion haben, eine neue Nachfrage nach Produkten, die anzufertigen sind.
Die Antwort kann vielleicht lauten: Der natürliche Zuwachs der Bevölkerung schafft diese wachsende Nachfrage. Tatsächlich sind wir bei unserer hypothetischen Untersuchung der erweiterten Reproduktion in einer sozialistischen Gesellschaft von dem Wachstum der Bevölkerung und ihrer Bedürfnisse ausgegangen. Aber hier war das Bedürfnis der Gesellschaft die ausreichende Grundlage, wie es der einzige Zweck der Produktion ist. In der kapitalistischen Gesellschaft sieht das Problem anders aus. Um welche Bevölkerung handelt es sich, wenn wir von ihrem Zuwachs reden? Wir kennen hier - im marxschen Schema - nur zwei Bevölkerungsklassen: Kapitalisten und Arbeiter. Der Zuwachs der Kapitalistenklasse ist ohnehin in der wachsenden absoluten Größe des verzehrten Teils des Mehrwertes inbegriffen. Jedenfalls kann er nicht den Mehrwert restlos verzehren, denn dann würden wir zur einfachen Reproduktion zurückkehren. Es bleiben die Arbeiter. Auch die Arbeiterklasse vermehrt sich durch natürlichen Zuwachs. Aber dieser Zuwachs geht die kapitalistische Wirtschaft als Ausgangspunkt wachsender Bedürfnisse an sich nichts an.
Die Produktion von Lebensmitteln zur Deckung von I v und II v ist nicht Selbstzweck, wie in einer Gesellschaft, wo die Arbeitenden und die Befriedigung ihrer Bedürfnisse die Grundlage des Wirtschaftssystems bilden. Nicht deshalb werden in der Abteilung II (kapitalistisch) soviel Lebensmittel produziert, weil die Arbeiterklasse von I und II ernährt werden müsse. Umgekehrt. Es können jeweilig soviel Arbeiter in I und II sich ernähren, weil ihre Arbeitskraft unter den gegebenen Absatzbedingungen verwertet werden kann. Das heißt, nicht eine gegebene Anzahl Arbeiter und ihr Bedarf sind Ausgangspunkt für die kapitalistische Produktion, sondern diese Größen selbst sind ständig schwankende "abhängige Variable" der kapitalistischen Profitaussichten. Es fragt sich also, ob der natürliche