Gesammelte Werke (Über 150 Titel in einem Band). Rosa Luxemburg
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Doch halt! Die Gesellschaft besteht - auch unter der Herrschaft des Kapitalismus - nicht bloß aus Kapitalisten und Lohnarbeitern. Außer diesen beiden Klassen gibt es noch eine große Masse der Bevölkerung: Grundbesitzer, Angestellte, liberale Berufe: Ärzte, Rechtsanwälte, Künstler, Wissenschaftler, es besteht noch die Kirche mit ihren Dienern, der Geistlichkeit, und endlich der Staat mit seinen Beamten und dem Militär. Alle diese Bevölkerungsschichten sind weder den Kapitalisten noch den Lohnarbeitern im kategorischen Sinne beizuzählen. Sie müssen aber von der Gesellschaft ernährt und erhalten werden. Es werden also wohl diese außer den Kapitalisten und Arbeitern bestehenden Schichten sein, deren Nachfrage die Erweiterung der Produktion erforderlich macht. Doch ist dieser Ausweg bei näherem Zusehen nur ein scheinbarer. Die Grundbesitzer sind als Verzehrer der Rente, d.h. eines Teils des kapitalistischen Mehrwerts, augenscheinlich der Kapitalistenklasse zuzuzählen, ihre Konsumtion ist hier, wo wir den Mehrwert in seiner ungeteilten, primären Form betrachten, in der Konsumtion der Kapitalistenklasse bereits berücksichtigt. Die liberalen Berufe bekommen ihre Geldmittel, d.h. ihre Anweisungen auf einen Teil des gesellschaftlichen Produkts, meist direkt oder indirekt aus der Hand der Kapitalistenklasse, die sie mit Splittern ihres Mehrwerts abfindet. Soweit sind sie als Verzehrer des Mehrwerts mit ihrer Konsumtion der Kapitalistenklasse beizuzählen. Dasselbe gilt von der Geistlichkeit, nur daß diese zum Teil ihre Mittel auch von den Arbeitenden, also aus den Arbeiterlöhnen bezieht. Endlich der Staat mit seinen Beamten und dem Militär wird aus den Steuern erhalten, diese aber liegen entweder auf dem Mehrwert oder auf Arbeiterlöhnen. Überhaupt kennen wir hier - in den Grenzen des Marxschen Schemas - nur zwei Quellen des Einkommens in der Gesellschaft: Arbeiterlöhne oder Mehrwert. So können alle die außer den Kapitalisten und den Arbeitern angeführten Bevölkerungsschichten nur als Mitverzehrer dieser beiden Einkommensarten gelten. Marx selbst lehnt den Hinweis auf diese "dritten Personen" als Abnehmer als eine Ausflucht ab: "Alle nicht direkt in der Reproduktion, mit oder ohne Arbeit, figurierenden Gesellschaftsglieder können ihren Anteil am jährlichen Warenprodukt - also ihre Konsumtionsmittel - in erster Hand nur beziehn aus den Händen der Klassen, denen das Produkt in erster Hand zufällt - produktiven Arbeitern, industriellen Kapitalisten und Grundbesitzern. Insofern sind ihre Revenuen materialiter abgeleitet von Arbeitslohn (der produktiven Arbeiter), Profit und Bodenrente und erscheinen daher jenen Originalrevenuen gegenüber als abgeleitete. Andrerseits jedoch beziehn die Empfänger dieser in diesem Sinn abgeleiteten Revenuen dieselben vermittelst ihrer gesellschaftlichen Funktion als König, Pfaff, Professor, Hure, Kriegsknecht etc., und sie können also diese ihre Funktionen als die Originalquellen ihrer Revenue betrachten."42 Gegenüber Verweisen auf die Verzehrer von Zins und Grundrente als Abnehmer sagt Marx: "Ist aber der Teil des Mehrwerts der Waren, den der industrielle Kapitalist als Grundrente oder Zins an andre Miteigentümer des Mehrwerts abzutreten hat, auf die Dauer nicht realisierbar durch den Verkauf der Waren selbst, so hat es auch mit der Zahlung von Rente oder Zins ein Ende, und können daher Grundeigentümer oder Zinsbezieher durch deren Verausgabung nicht als dei ex machina dienen zu beliebiger Versilberung bestimmter Teile der jährlichen Reproduktion. Ebenso verhält es sich mit den Ausgaben sämtlicher sog. unproduktiver Arbeiter, Staatsbeamte, Ärzte, Advokaten etc., und was sonst in der Form des 'großen Publikums' den politischen Ökonomen 'Dienste' leistet, um von ihnen Unerklärtes zu erklären."43
Da auf diese Weise innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft schlechterdings keine ersichtlichen Abnehmer für die Waren zu entdecken sind, in denen der akkumulierte Teil des Mehrwertes steckt, so bleibt nur noch eins übrig: der auswärtige Handel. Mehrere Einwände entstehen jedoch gegen diese Methode, den auswärtigen Handel als eine bequeme Abladestätte für Produkte zu betrachten, mit denen man sonst im Reproduktionsprozeß nichts anzufangen weiß. Der Hinweis auf auswärtigen Handel kommt nur auf die Ausflucht hinaus, die Schwierigkeit, der man in der Analyse begegnet ist, aus einem Lande in ein anderes zu verlegen, ohne sie aber zu lösen. Die Analyse des Reproduktionsprozesses bezieht sich überhaupt nicht auf ein einzelnes kapitalistisches Land, sondern auf den kapitalistischen Weltmarkt, für den alle Länder Inland sind. Marx hebt dies schon im ersten Bande des "Kapitals" bei der Behandlung der Akkumulation ausdrücklich hervor: "Es wird hier abstrahiert vom Ausfuhrhandel, vermittelst dessen eine Nation Luxusartikel in Produktions- oder Lebensmittel umsetzen kann und umgekehrt. Um den Gegenstand der Untersuchung in seiner Reinheit, frei von störenden Nebenumständen aufzufassen, müssen wir hier die gesamte Handelswelt als eine Nation ansehn und voraussetzen, daß die kapitalistische Produktion sich überall fortgesetzt und sich aller Industriezweige bemächtigt hat."44
Die Analyse bietet dieselbe Schwierigkeit, wenn wir die Sache noch von einer anderen Seite betrachten. In dem Marxschen Schema der Akkumulation ist vorausgesetzt, daß der zu kapitalisierende Teil des gesellschaftlichen Mehrwertes von vornherein in der Naturalgestalt zur Welt kommt, die seine Verwendung zur Akkumulation bedingt und gestattet: "Mit einem Wort: der Mehrwert ist nur deshalb in Kapital verwandelbar, weil das Mehrprodukt, dessen Wert er ist, bereits die sachlichen Bestandteile eines neuen Kapitals enthält."45 In den Ziffern des Schemas ausgedrückt:
I. 5.000 c + 1.000 v + 1.000 m = 7.000 Produktionsmittel. II. 1.430 c + 285 v + 285 m = 2.000 Konsummittel. |
Hier kann der Mehrwert im Betrage von 570 m kapitalisiert werden, denn er besteht von vornherein in Produktionsmitteln; dieser Menge Produktionsmittel entspricht aber eine überschüssige Menge von Lebensmitteln im Betrage von 114 m, zusammen also können 684 m kapitalisiert werden. Aber der hier angenommene Vorgang der einfachen Übertragung der entsprechenden Produktionsmittel in das konstante Kapital, der Lebensmittel in das variable Kapital widerspricht den Grundlagen der kapitalistischen Warenproduktion. Der Mehrwert kann, in welcher Naturalgestalt er auch stecken mag, nicht direkt zur Akkumulation in die Produktionsstätte übertragen, sondern er muß erst realisiert, in Geld ausgetauscht werden.46 Der Mehrwert des I im Belaufe von 500 könnte kapitalisiert werden, er muß aber zu diesem Zwecke erst überhaupt realisiert werden, er muß seine Naturalgestalt erst abstreifen und seine reine Wertgestalt annehmen, ehe er wieder zum produktiven Kapital geschlagen wird. Das bezieht sich auf jeden Einzelkapitalisten, trifft aber auch auf den gesellschaftlichen Gesamtkapitalisten zu, denn die Realisierung des Mehrwertes in reiner Wertgestalt ist eine der Grundbedingungen der kapitalistischen Produktion, und bei gesellschaftlicher Betrachtung der Reproduktion "muß man nicht in die von Proudhon der bürgerlichen Ökonomie nachgemachte Manier verfallen und die Sache so betrachten, als wenn eine Gesellschaft kapitalistischer Produktionsweise, en bloc, als Totalität betrachtet, diesen ihren spezifischen, historisch ökonomischen Charakter verlöre. Umgekehrt. Man hat es dann mit dem Gesamtkapitalisten zu tun."47 Der Mehrwert muß also unbedingt die Geldform passieren, er muß die Form des Mehrprodukts erst abstoßen, ehe er sie wieder zum Zwecke der Akkumulation annimmt. Was und wer sind aber die Abnehmer des Mehrprodukts von I und II? Um nur den Mehrwert von I und II zu realisieren, muß nach dem Vorhergehenden schon ein Absatz außerhalb I und II vorhanden sein. So wäre aber der Mehrwert erst in Geld verwandelt. Damit dieser realisierte Mehrwert auch noch zur Erweiterung der Produktion, zur Akkumulation verwendet werden kann, dazu ist eine Aussicht auf noch größeren künftigen Absatz erforderlich, der gleichfalls außerhalb I und II selbst liegt. Dieser Absatz für