77 versteckte Orte in Berlin. Johannes Wilkes

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      Schloßbrücke Charlottenburg und überall entlang der schönen Spreeufer

      4 Wohnhaus von Elisabeth Caland (Charlottenburg)

      Ehemaliges Wohnhaus von Elisabeth Caland in der Nithackstraße

      »Um besondere Tonfülle bei Akkorden und markig hervortretende Accente, die einzelne Stellen dieser oder jener Komposition verlangen, zu erzielen und wiederzugeben, ist es notwendig, die federleichte Hand, vom Rücken und Oberarm getragen, mit festgespannten Fingern über die zu spielenden Töne zu bringen. Man halte die Hand so gespannt und gerundet, als ob sie sich über einen, im Verhältnis zu derselben stehenden, großen Ball ausbreitet. Wenn die Finger, ohne sich in die Tasten zu senken, mit derselben Fühlung erhalten, drücke man die Hand vermittels der Rückenmuskeln plötzlich kraftvoll nieder.«

      Klavierspielen mit Rücken und Schulter, diese zur damaligen Zeit revolutionäre Methode schildert uns Elisabeth Caland in ihren Technischen Ratschlägen für Klavierspieler aus dem Jahre 1912. Die gebürtige Rotterdamerin war 22 Jahre alt, als sie nach Berlin kam, um bei dem fortschrittlichen Musikpädagogen Ludwig Deppe zu studieren. Von ihm übernahm sie zahlreiche Anregungen und entwickelte sie weiter. Etablierte Pianisten waren entsetzt. Mit dem Rücken? Mit den Schultern? Allein mit den Fingern sollten die Töne erzeugt werden, wie beim Cembalospiel, das war gängige Lehre. Die Ideen der jungen Künstlerin aber fanden bald zahlreiche Nachahmer. Ungemein kraftvoll, ungemein farbig konnte die Musik klingen, wenn man aus dem ganzen Oberkörper heraus spielte. »Besonders betont werde hierbei, dass der ganze Arm, vom Schultergelenk aus, wie aus einem Stück, also gewissermaßen ohne Gelenke, gedacht werden soll.« Auf diese Weise gelang es der willensstarken Pianistin, allein durch Schüttelbewegungen der Schultern Tremolofiguren und Triller zu erzeugen.

      Elisabeth Caland wohnte von 1909 bis 1913 in der Nithackstraße 22, in Sichtweite des Charlottenburger Schlosses. In diesen Jahren entstanden ihre einflussreichsten musikpädagogischen Schriften. Nach Jahren als Klavierlehrerin in Gehlsdorf und Rostock starb sie am 26. Januar 1929 in Berlin, ihre Lehre aber lebt durch ihre zahlreichen Anhänger fort: »Bleiben sämtliche Gliedmaßen in der vorgeschriebenen Stellung, so wird derselbe [musikalische Eindruck] um so größer und schwebender sein und eine so volle, reiche Tonfärbung haben, dass er dem Klang der Orgel zu vergleichen ist.«

      Gedenktafel am Haus Nithackstraße

      Wohnhaus Elisabeth Caland

      Nithackstraße 22

      10585 Berlin

      5 Carl-Schuhmann-Sporthalle (Charlottenburg)

      Turnhalle Schloßstraße 56

      Seien wir ehrlich: Die meisten Turnhallen sind reine Zweckbauten, eckige Kästen, deren wenige Fenster meist aus Glasbausteinen bestehen, damit sie nicht von umherfliegenden Bällen zerschlagen werden. Dass es auch anders geht, zeigt die Sporthalle in einer der vornehmsten Gegenden der Stadt, der Schloßstraße von Charlottenburg. Dem Architekten Hinrich Baller gelang das Kunststück, in die bestehende Häuserzeile eine transparente Halle zu integrieren, besser gesagt, zwei übereinander angeordnete Hallen mit organisch wirkenden Fenstern und sich verzweigenden Metallstäben. Mintgrün lackiert wirken sie wie oxidiertes Kupfer. Ihren Namen trägt die Sporthalle nach Carl Schuhmann (1869–1946), dem erfolgreichsten Teilnehmer der Olympischen Spiele von Athen im Jahre 1896. Vier Goldmedaillen hat er dort errungen, und das im wörtlichen Sinnen, gewann er doch nicht nur die Mannschaftswettbewerbe am Barren und Reck, sowie den Einzelsprung am Pferd, sondern zugleich das Ringen. Nach Berlin zurückgekehrt aber wurde er nicht gefeiert, sondern von der offiziellen Turnerschaft verhöhnt, welche das Streben nach Höchstleistungen ablehnte und auch die übrigen englischen Sportarten. Carl Schuhmann hat sich in der Zeit des »Dritten Reichs« vergeblich für seinen Freund und Trainer Alfred Flatow eingesetzt. Weil Flatow jüdischen Glaubens war, wurde er von den Nazis umgebracht.

      Häuser von Hinrich Baller finden sich über die ganze Stadt verstreut, man erkennt sie sofort an ihrem typischen Stil, den munter ausschwingenden Balkonen, der Vermeidung des rechten Winkels, der leichten, lichten Bauweise und dem markanten Mintgrün. Wer sich über den Standort seiner Turnhalle mokiert und sagt, das sei doch nichts für die altehrwürdige Schloßstraße, dem sei erwidert: Auch von gekrönten Häuptern ist bekannt, dass sie die Körperertüchtigung lieben. Kaiserin Sissi etwa hatte sich ihr eigenes Fitnessstudio in die Wiener Hofburg bauen lassen. Und wer weiß, würde Sophie Charlotte, die Bauherrin des nahen Schlosses, in unserer Zeit leben, würde man sie vielleicht durch den Schlosspark joggen sehen oder in der Carl-Schuhmann-Halle über den Balken schweben: Gymnastik royale.

      Carl-Schuhmann-Sporthalle

      Schloßstraße 56

      14059 Berlin

      6 Redaktion der Weltbühne (Charlottenburg)

      Sitz der ehemaligen Redaktion der Weltbühne in der Wundtstraße 65

      Kennen Sie Peter Panter? Oder Theobald Tiger? Oder vielleicht Ignaz Wrobel? Hinter all den Pseudonymen steckt ein und derselbe: Kurt Tucholsky. Er war so produktiv, dass er den Großteil der Weltbühne füllte, der Berliner Wochenzeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, und sich hinter anderen Namen versteckte, um nicht zu dominant zu erscheinen. Nach dem Tode des Gründers Siegfried Jacobsohn im Dezember 1926 wurde Tucholsky für kurze Zeit sogar selbst zum Herausgeber. Es war die Zeit der Wirtschaftskrise, des Ruhrkampfs. Mit scharfer Feder kämpfte der gebürtige Berliner gegen Revanchismus und Völkerfeindschaft, suchte den Friedenskurs und die Aussöhnung mit Frankreich. Die Weltbühne hatte nicht die höchsten Auflagen, ihr Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung aber war nicht zu unterschätzen. Gerne gelesen wurden nicht nur die politischen Artikel, sondern auch Tucholskys Glossen. Im Januar 1926, noch Korrespondent in Paris, beschrieb er das Benehmen seiner lieben Berliner im Ausland. Hier einige Auszüge aus der Weltbühne:

      »Es gibt zwei Sorten von Berlinern: die ›Ham-Se-kein-Jrößern?‹-Berliner und die ›Na-faabelhaft‹-Berliner. Die zweite Garnitur ist unangenehmer. Der nörgelnde Berliner ist bekannt. Er vergleicht alles mit zu Hause, ist grundsätzlich nicht begeistert, und, viel zu nervös, um in Ruhe etwas Fremdes auf sich wirken zu lassen, bekleckert er, was er sieht, mit faulen Witzen. Seine Stadt hat das schöne Wort ›meckern‹ erfunden. Dieser Berliner meckert.

      Sein Kollege, der ›Unerhöört‹-Berliner, tut etwas anderes, nicht minder Schauerliches. Ich hab jetzt seit etwa achtzehn Monaten lobende Berliner vor Augen gehabt, und wenn sie anerkennen, machen sie das so:

      Der lobende Berliner hebt sich zunächst selbst, wenn er lobt. Sein Lob, das meist kritiklos

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