Nebra. Thomas Thiemeyer

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Nebra - Thomas Thiemeyer страница 22

Nebra - Thomas Thiemeyer Hannah Peters

Скачать книгу

      »Ziemlich starker Tobak«, sagte Hannah. »Für meinen Geschmack fast ein bisschen zu monumental.«

      »Sie sollten sich mal die Opernversion anhören«, sagte er. »Mussorgski hat das Stück später in seinen Jahrmarkt von Sorotschinzy eingearbeitet, mit großem Chor. Das ist erst unheimlich.«

      »Erzählen Sie mir nicht, Sie seien Musikkritiker.«

      Er lachte. »Nein. Die Musik in allen Ehren, aber so weit geht die Liebe dann doch nicht. Ich fürchte, Sie werden ziemlich enttäuscht sein. Ich bin Rechtsanwalt. Meine Kanzlei hat ihren Sitz in Berlin. Strafrecht. Hauptsächlich Wirtschaftskriminalität.«

      »Ein Anwalt?« Hannahs Blick wanderte unwillkürlich zu der Narbe in seinem Gesicht. Sie hatte kurz zuvor weitere Narben an Händen und Unterarmen entdeckt. Vermutlich doch ein Unfall.

      »Und was machen Sie so weit weg von Ihrem Arbeitsplatz?«

      Er griff in die Schale mit Erdnüssen. »Urlaub. Die letzten Monate waren so angefüllt mit Arbeit, dass ich mir eine Auszeit verordnet habe.«

      Hannah musste lächeln. Noch so ein Kandidat.

      »Ich war fast ein Jahr lang ununterbrochen unterwegs«, fuhr er fort. »Sie können sich gar nicht vorstellen, wie das an die Substanz geht.«

      »Und ob«, sagte sie und nahm einen Schluck. Es war ewig her, dass sie Schwarzbier getrunken hatte.

      »Ich besitze ein Haus ganz in der Nähe«, fuhr er fort. »In Bad Harzburg, um genau zu sein. Nichts Großartiges. Nur ein Ort, an dem ich die Seele baumeln lassen kann.«

      »Bad Harzburg?« Hannah fiel es schwer, sich vorzustellen, wie jemand, der jung und – wie es schien – erfolgreich war und der obendrein so gut aussah, freiwillig hierherziehen konnte. Als sie ihm das sagte, schmunzelte er. »Sie haben offenbar die falschen Gegenden besucht. Da geht es Ihnen wie Heinrich Heine. Wissen Sie, was er nach seinem ersten Besuch auf dem Brocken gesagt hat? Große Steine, müde Beine, saure Weine – Aussicht keine

      »Ich mochte Heine schon immer«, sagte sie und lächelte. »Und was genau reizt Sie am Harz?«

      Er zuckte die Schultern. »Die frische Luft, die dichten Wälder, die mystische Atmosphäre, wer weiß? Wissen Sie, ich bin besessen von Geschichten und Geschichte. Beides findet sich hier in Hülle und Fülle. Vielleicht hätte ich lieber Autor werden sollen. Kein Wunder, dass man mich so oft in Buchhandlungen antrifft.«

      »Lassen Sie mich raten: Vermutlich hat Ihren Eltern die Vorstellung vom brotlosen Schriftsteller nicht behagt, habe ich recht?«

      »Meine Eltern sind früh gestorben«, sagte er.

      »Oh, das tut mir leid.«

      Hannah biss sich auf die Unterlippe. Was war sie doch für eine Meisterin darin, immer ein Fettnäpfchen zu finden. Fehlte nur noch, dass er sich jetzt nach ihrer Familie erkundigte. Wenn dieses Thema zur Sprache kam, war der Abend so gut wie beendet. Schon der Gedanke an ihre Familie war schmerzhaft. Menschen, mit denen sie seit ewigen Zeiten im Streit lag, die sie seit Jahren nicht gesehen hatte. Hannah duckte sich innerlich. Doch er schien ihre Verkrampfung zu bemerken und umschiffte die Klippe mit dankenswerter Sensibilität. »Haben Sie das Leuchten vorhin über dem Brocken bemerkt?«

      Hannah atmete auf. »Allerdings. Sah aus wie ein Feuerwerk. Sehr stimmungsvoll.«

      Er schüttelte den Kopf. »Ein Feuerwerk war das gewiss nicht. Die Brockenspitze ist eine Trockenzone, da herrscht ein absolutes Brandverbot. Lagerfeuer, Campinggrills oder Knallkörper – alles strengstens untersagt. Aber egal.« Er hob den Kopf. »Wie war Ihre Wanderung?«

      Versonnen drehte sie das Bierglas zwischen ihren Händen. »Sagen wir mal so: Sie war – lehrreich.«

      »So schlimm also?«

      »Schlimmer. Es war …«, sie zögerte. »Nein, das werde ich jetzt lieber nicht sagen, schließlich hängt Ihr Herz ja an dieser Gegend.«

      »Wo waren Sie denn?«

      »Oben auf dem Brocken, wo sonst?«

      Michael von Stetten verschluckte sich beinahe an seinem Bier. »Heute? So kurz vor Walpurgis? Sind Sie noch zu retten? Von wo aus sind Sie denn gestartet?«

      »Von Schierke.«

      »Großer Gott. Sie haben mein vollstes Mitgefühl.«

      Hannah kam sich mit einem Mal schrecklich dumm vor. »Hätten Sie einen besseren Vorschlag gehabt?«

      »Ob ich …?« Er wischte sich einen Tropfen aus dem Mundwinkel. »Aber natürlich hätte ich. Wenn mir klar gewesen wäre, was Sie vorhaben, hätte ich Sie gewarnt und Ihnen einen Weg empfohlen, der nicht so überlaufen ist.«

      »Also gut, ich gebe es zu, ich habe einen Fehler gemacht. Was hätten Sie mir empfohlen? Vielleicht den Hexenplatz in Thale?«

      Das Entsetzen auf seinem Gesicht wirkte nicht gespielt. »Das wird ja immer schlimmer«, sagte er. »Haben Sie denn aus dem heutigen Desaster nichts gelernt?« Er überlegte kurz, dann sagte er: »Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Zuerst mal lassen Sie uns zum Du wechseln. Ich komme mir mit dem förmlichen Sie immer so spießig vor.«

      »Sehr gern … Michael.« Sie hielt den Kopf schief. »Und dann?«

      »Dann möchte ich dich zu einer Wanderung einladen. Gleich morgen früh. Es gibt hier eine Menge Orte, an die man als Normalsterblicher nicht so einfach gelangt. Wäre doch gelacht, wenn ich dich nicht vom Zauber dieser Gegend überzeugen könnte.«

       [home]

      13

      Mittwoch, 23. April

      Der Nebel ließ die umliegenden Felsbrocken in den frühen Morgenstunden wie gewaltige Trolle erscheinen. Finster und bedrohlich ragten sie rechts und links des Weges in die Höhe. Nass glänzende Moospolster hingen wie zottige Bärte an ihnen herab, und die Flechten wirkten wie Haare an einer Wasserleiche.

      Die Feuchtigkeit schien förmlich aus dem Boden zu kriechen. Sie stieg aus jeder Öffnung, jedem Spalt und jedem Loch. Sie strich um die mächtigen Stämme der Buchen und ließ sich auf Blättern, Gräsern und Kräutern nieder wie der kalte Atem eines mächtigen Riesen.

      Während Hannah den Pfad erklomm, musste sie darauf achten, nicht auf einen jener glitschigen, von Moos bedeckten Steine zu treten, die ihr immer wieder den Weg versperrten. Sie war bereits einmal abgerutscht und hatte sich trotz ihrer halbhohen Wanderschuhe den Knöchel angeschlagen. Nicht noch einmal. Zudem packte sie der Ehrgeiz, als sie sah, mit welcher Leichtigkeit Michael den Pfad erklomm. Er bewegte sich so geräuschlos und geschmeidig, als wäre er ein Teil dieses Waldes.

      Zu Beginn ihrer Wanderung, am Fuß der Steinernen Renne, hatten sie noch ihre Taschenlampen gebraucht. Mittlerweile war es so hell geworden, dass es ohne sie ging. Das Licht war zwar immer noch schummerig, aber es reichte aus, um zu erkennen, in was für eine wilde Gegend sie geraten waren. Nach weiteren fünfzehn Minuten blieb sie stehen. »Warte mal einen Augenblick«,

Скачать книгу