Nebra. Thomas Thiemeyer

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Nebra - Thomas Thiemeyer Hannah Peters

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so sehr war er sich der tatsächlichen Situation bewusst. Langsam schüttelte er den Kopf. »Ich wünschte, es wäre so.«

      Cynthia blickte ihn fragend an. »Warum bist du nur so pessimistisch? Es gibt doch keinen Grund dazu.«

      Karl seufzte. »Es muss schrecklich unfair klingen, aber ich hätte es gerne allein geschafft, verstehst du? Aber so ist es nicht. Ohne ihn säße ich wahrscheinlich immer noch auf der Straße – und du noch im Knast.«

      »Da hast du verdammt noch mal recht«, sagte sie. »Aber statt ihm Vorwürfe zu machen, solltest du ihm dankbar sein. Soweit es mich betrifft, hat er nie irgendwelche Forderungen gestellt.«

      »Bei mir auch nicht. Aber ich wünschte, er hätte. Vielleicht würde ich mich dann nicht ganz so beschissen fühlen.«

      »Ich bin jedenfalls froh, wieder draußen zu sein«, sagte Cynthia. »Du ahnst nicht, wie es ist, wenn man wie ein Tier hinter Gittern lebt. Es ist mir scheißegal, wie er es gedeichselt hat. Ich bin frei, das ist alles, was zählt. Und ich finde es nicht in Ordnung, dass du ihm das anlastest. Und wenn er schon keine Forderungen stellt, so sind wir ihm doch einigen Dank schuldig, verstehst du?«

      Brummig trank er noch einen Schluck aus seinem Glas. »Hast ja recht. Ich wünschte bloß, wir bekämen mal eine Gelegenheit, uns bei ihm zu revanchieren. Ich glaube, dann würde ich mich besser fühlen.«

      »Nur keine Eile«, sagte Cynthia. »Irgendwann ist es so weit. Glaub mir.« Sie stand auf, legte ihre Jacke ab und streckte sich. Karl konnte die Augen nicht von ihr lassen. Sie sah einfach zum Anbeißen aus.

      »Hast du eigentlich gerade eine Freundin oder einen Freund?«, fragte sie mit schelmischem Blick.

      »’ne Menge«, antwortete er. »Sie werden dir gefallen, sind echt schräge Typen dabei. Wenn du willst, stelle ich sie dir bei Gelegenheit vor.«

      Cynthia lächelte geheimnisvoll. »Du hast mich missverstanden. Ich meine nicht solche Freunde.«

      Karl runzelte die Stirn. »Meinst du, ob ich mit jemandem zusammen bin?« Er schüttelte den Kopf. »Momentan nicht. Mit mir hält es niemand lange aus.«

      »Gut.«

      »Wieso?«

      »Zwölf Jahre sind eine verdammt lange Zeit … so ganz ohne Lover …«

      Karl war froh, dass er sein Glas inzwischen abgestellt hatte, er hätte es sonst vielleicht fallen lassen.

      Ihm begann warm zu werden unter seinem Pullover. »Du hast doch nicht etwa vor, mich zu verführen?«

      Cynthia stellte sich vor ihn, nahm seine Brille ab und küsste ihn auf den Mund. Ihre Hand wanderte hinab zum Gürtel seiner Jeans. Er fühlte, dass ihm der Alkohol zu Kopf stieg. Oder war es etwas anderes?

      »Langsam, langsam«, sagte er und trat einen Schritt zurück. »Nicht, dass ich keine Lust hätte, aber wie lange kennen wir uns jetzt? Fünfundzwanzig Jahre? Eine halbe Ewigkeit. In der ganzen Zeit hatte ich nie den Eindruck, dass du dich sonderlich für mich interessierst.«

      »Vielleicht hast du nur die Signale nicht erkannt.« Mit einem Lächeln setzte sie sich auf die Tischkante und begann, die Stiefel aufzuschnüren. »Du bist ein guter Freund. Wir sind beide frei und ungebunden, können tun und lassen, was wir wollen.« In ihren Augen war ein aufreizendes Glitzern zu erkennen. »Wie sieht’s aus: Hast du da oben ein Bett?«

      Karl hielt den Kopf schief. »Klar.«

      »Gut.«

      »Nur noch eine Frage: Habe ich eine Wahl?«

      Sie grinste. »Nein.«

       [home]

      10

      Kurz hinter Halle, auf der A 14 Richtung Norden fahrend, sah Hannah bereits die ersten Ausläufer des Harzes am Horizont auftauchen. Die Buckel wuchsen aus dem dunstigen Blau des Mittags wie eine Kette riesiger Maulwurfshügel, eingebettet in die endlosen Ebenen des Norddeutschen Tieflandes. Die Berge wirkten seltsam fremd in diesem Meer aus Rapsfeldern, Äckern und Windkraftanlagen, deren Rotoren den nie enden wollenden Wind verwirbelten.

      Höher und höher wuchsen die Hügel, als Hannah die Autobahn verließ und auf der B 6 Richtung Westen abbog. Ihr Ziel war Wernigerode, eine lauschige Kleinstadt am Fuße des Brockens, der höchsten Erhebung im Harz. Der Ort war genau richtig gelegen, um von dort aus zu Streifzügen ins Umland aufzubrechen. Sie hatte beschlossen, die Arbeit in Halle erst mal ruhen zu lassen, ein paar Tage Auszeit zu nehmen und der Spur zu folgen, die John ihr gewiesen hatte. Sie war sich zwar sicher, dass sie nichts finden würde, aber in ihrer jetzigen Situation war alles besser, als daheimzusitzen und Trübsal zu blasen.

      Ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht, als sie an all die kleinen Geschichten und Anekdoten dachte, die sich um dieses deutscheste aller deutschen Mittelgebirge rankten. Natürlich fielen einem sofort die Hexen ein, die angeblich bis auf den heutigen Tag auf dem Blocksberg ihr Unwesen trieben. Es gab Geschichten von Bergwerksstollen, in denen sich Grubenunholde herumtrieben, während nächtens die Nebelfrau aus dem Moor emporstieg, unschuldige Wanderer packte und in ihr feuchtes Grab zog. Die Kornmuhme war hier ebenso zu Hause wie die Feen und Kobolde, die in den tiefen Schluchten zwischen Moosen und Farnen darauf warteten, Unheil zu stiften. Es gab wohl kein Gebirge, um das sich so viele Mythen und Legenden rankten wie um den Harz. Und keines, das so von Dichtern und Denkern heimgesucht worden war. Goethe war hier gewesen, Heine und Eichendorff, Andersen und Klopstock, Löns, Novalis, und wie sie alle hießen, und sie alle hatten es als ihre Pflicht angesehen, der Nachwelt von all dem zu berichten, was es hier an Geheimnisvollem gab. Ziemlich viel Literatur über einen Landstrich, der nicht mehr als viertausend Quadratkilometer umfasste. Seinen Reiz als Ausflugsziel hatte der Harz erst mit der Errichtung der innerdeutschen Grenze verloren, die das Gebirge wie eine Festtagstorte sauber zerteilt hatte. Danach wurde es still am Brocken, ganz im Sinne der Grenztruppen der DDR, die hier oben auf elfhundert Metern Höhe einen Horchposten errichteten und ihm den bezeichnenden Namen Urian gaben. Frei nach dem Teufel im Faust, der ja hier oben sein Unwesen getrieben haben sollte.

      Urian – das war eine Verbindung von Sendemast und überkuppeltem Hauptgebäude und erinnerte entfernt an ein muslimisches Gotteshaus. Ein Grund, warum der Volksmund das Gebäude Brocken-Moschee nannte. Wie groß musste die Enttäuschung einiger muslimischer Besucher gewesen sein, die hier anreisten, in froher Erwartung, auf dem höchsten Berg Norddeutschlands ihre Gebete verrichten zu dürfen? Heute war das Gebäude zu einem Hotel und einem Museum mit moderner Multimediatechnik umfunktioniert worden. Von dort aus konnte man den Nationalpark Hochharz auf elektronischem Weg erkunden und sich anschließend bei einem gutbürgerlichen Mittagstisch mit Schlachtplatte und Schwarzbier den Magen verderben. Besonders Mutige genehmigten sich anschließend einen Schierker Feuerstein, einen Kräuterschnaps, den der Apotheker Willy Drube Ende des neunzehnten Jahrhunderts in dem kleinen Örtchen Schierke erfunden hatte, um die Verdauungsprobleme der dort ansässigen Kurgäste zu lösen.

      Hannah hatte sich geschworen, um all das einen weiten Bogen zu machen. Sie wollte die Geheimnisse des Harzes auf herkömmlichem Wege erkunden. Zu Fuß und mit einer Karte in der Hand.

      Das Hotel in Wernigerode war klein, gemütlich und bezahlbar. Nur wenige Gehminuten vom Marktplatz, dem Herzen der Stadt, entfernt, bot es einfache Zimmer und einen umso schöneren Blick auf

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