Befreite Schöpfung. Leonardo Boff
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Im Gegensatz zur derzeitigen krankhaften Ökonomie, die die finanzielle „Hyper-Ökonomie“ über alles andere stellt und das Nichtmenschliche sowie Subsistenzwirtschaften einfach ignoriert, anerkennt dieses Modell, dass die nichtmenschliche Ökonomie an erster Stelle kommt. Dann kommt die menschliche Tätigkeit, die der Erhaltung des Lebens dient, wie etwa die Kindererziehung und die Subsistenzlandwirtschaft (beides wird gegenwärtig weigehend von Frauen ohne Bezahlung geleistet). Dies wird als die Grundlage für alle weiteren wirtschaftlichen Aktivitäten des Menschen betrachtet. Dann kommt der Beitrag des öffentlichen Sektors und der Sozialökonomie. Dazu gehören viele Tätigkeiten von Volksbewegungen und Nichtregierungsorganisationen. Zum Schluss kommen der private Sektor (dazu zählen Genossenschaften, kleine Unternehmen und auch größere Konzerne) und der Finanzsektor (er soll den anderen Schichten dienen, doch er hat an sich nicht viel Substanz).
Der Grundgedanke dieses Modells ist es, die herrschende Ökonomie vom Kopf auf die Füße zu stellen. Anstelle einer Wirtschaft, die vom Finanzsektor und den Konzernen beherrscht ist und Leben aus den darunter liegenden Schichten saugt, sind der Finanzsektor und das Unternehmertum dazu da, der umfassenderen Gemeinschaft zu dienen. Die Gemeinschaft der Menschen wiederum trägt ihrer Abhängigkeit von der umfassenderen Erdgemeinschaft Rechnung und ist sich dessen bewusst, dass das Ökosystem die Grundlage allen Lebens und aller menschlichen Tätigkeiten ist. Allgemein gesprochen, wird ein ökonomischer Wert daran gemessen, inwiefern eine Tätigkeit zu gesunden Beziehungen und zur Erhaltung des Lebens beiträgt, und nicht am finanziellen Ertrag.
Praktisch gibt es viele Arten von Politik, die uns zu dieser Art einer erneuerten Praxis der oikonomia hinführen können. Die derzeitige Pathologie verstetigt sich selbst weitgehend dadurch, dass sie Tätigkeiten belohnt, die Schaden anrichten und zugleich die wahren Kosten der Zerstörung verschleiern. Es ist nicht schwer, sich politische Maßnahmen vorzustellen, die das Gegenteil bewirken, zum Beispiel:
– Unsere Wirtschaftsindikatoren im Sinne des oben erwähnten „echten Fortschrittsindex“ reformieren, damit der Verbrauch von natürlichem Kapital als Kostenfaktor sichtbar wird und nicht als Einkommen gewertet wird. Gleichzeitig kann man den alternativen Index heranziehen, um den Wert von nichtbezahlten menschlichen Tätigkeiten und den Beitrag des Ökosystems zur Erhaltung des Lebens abzubilden.
– Arbeit und Einkommen weniger besteuern, im Gegenzug aber den Ressourcen“durchsatz“ stärker besteuern. Im Allgemeinen tragen die Arbeiter die Hauptlast der Steuern. „Grüne“ Steuern wären eine viel sinnvollere Alternative. Einerseits sollten Energie, Wasserverbrauch in der Industrie, Verschmutzung, Pestizide und verschwenderische Verpackung besteuert werden, um einen Ansporn zur Erhaltung zu geben und schädliche Produktion zu vermeiden. Auf der anderen Seite sollte erneuerbare Energie, öffentlicher Transport, ökologischer Landbau und Techniken, die der Erhaltung dienen, subventioniert werden, um sie zu fördern. Auch eine geringe Besteuerung von Finanztransaktionen (sie wird oft auch nach dem Wirtschaftswissenschaftler, der diese Idee zuerst äußerte, als Tobin-Steuer bezeichnet) würde die Spekulation in hohem Maß eindämmen und gleichzeitig die finanziellen Mittel bereitstellen, um die Armut zu bekämpfen, Schulden zu streichen und Umweltschäden zu beheben.
– Die Schulden der ärmsten Länder streichen und Wege finden, wie man die Schulden der Länder mit „mittlerem Einkommen“ verringern und tilgen kann. Wie wir gesehen haben, stellen die Verschuldung und die mit ihr einhergehenden Strukturanpassungsmaßnahmen einen entscheidenden Hebel für eine fehlgeleitete Entwicklung dar. Viele der Schulden, um die es hier geht, sind bereits mehrfach wieder zurückgezahlt worden (und viele waren von Anfang an ungerecht oder illegitim). Wenn man bloß Geld von den Militärausgaben abzweigt oder eine Finanztransaktionssteuer einführt, wäre das wahrscheinlich bereits mehr als genug, um die Armen von ihrer Schuldenlast zu befreien.
– Mithilfe einer Reihe von Maßnahmen die Macht der Konzerne beschränken: Spenden von Konzernen an politische Parteien verbieten; die juridische Fiktion beseitigen, derzufolge Konzerne „Personen“ sind, die mit Rechten wie etwa dem der freien Meinungsäußerung und der politischen Teilhabe ausgestattet sind; Aktionäre gesetzlich haftbar machen für die Schäden, die von Konzernen verursacht werden, und auf diese Weise ethisches Investment fördern; Bedingungen definieren, unter denen einem Konzern die Geschäftsgrundlage entzogen werden kann, wenn er etwa wiederholt gegen Umweltgesetze verstößt, Beschäftigte schädigt oder in kriminelle Machenschaften verstrickt ist.
Es fehlt nicht an guten Ideen im Bereich von Politik und Technik, die uns in die Lage versetzen könnten, eine nachhaltige und gerechtere Zukunft zu schaffen. Und es fehlt auch nicht an ökonomischen Ressourcen. Paul Hawken bemerkt:
„Die USA und die damalige UdSSR gaben mehr als zehn Billionen US-Dollar für den Kalten Krieg aus. Das ist genug Geld, um die Infrastruktur der Welt komplett zu ersetzen: jede Schule, jedes Krankenhaus, jede Straße, jedes Gebäude und jeden landwirtschaftlichen Betrieb. Anders ausgedrückt: Wir kauften und verkauften die gesamte Welt, um eine politische Bewegung zu bekämpfen. Jetzt zu behaupten, wir verfügten nicht über die Ressourcen, um eine neue Wirtschaft aufzubauen, ist absurd. Denn die Bedrohungen, mit denen wir heute konfrontiert sind, werden jetzt schon Realität, während sich die Bedrohungen der nuklearen Pattsituation nach dem Krieg auf die Möglichkeit von Zerstörung bezogen.“ (1993, 58)
Was ist also wirklich nötig, damit die Große Wende stattfinden kann? Wie können wir auf dem Weg zu einer ganzheitlichen Befreiung der Menschheit und der Erde selbst vorankommen? Wir müssen einen Begriff davon bekommen, dass der jetzige Zustand der Dinge alles andere als unvermeidlich ist, dass er von Grund auf irrational und krankhaft ist. Um dieses Verständnis zu erlangen, müssen wir selbst den ersten Schritt tun. Der nächste Schritt wird dann darin bestehen, den Ursprung einiger Glaubenssätze, Haltungen, Sichtweisen und Praktiken zu verstehen, die dem derzeitigen System zugrunde liegen.
4 Die hier angegebenen Zeiträume des kosmischen Jahrhunderts stützen sich auf die Zeittafel aus dem Buch von Swimme/Berry, Die Autobiographie des Universums (1999), 275–283. Eine jüngere Schätzung geht davon aus, dass der Kosmos vor 13,73 Milliarden Jahren entstand.
5 Entsprechend umfasst ein kosmischer Monat 12,5 Millionen Jahre, ein kosmischer Tag 411.000 Jahre, eine kosmische Stunde etwa 17.000 Jahre, eine kosmische Minute ca. 285 Jahre und eine kosmische Sekunde 4,75 Jahre.
6 Die statistischen Angaben in diesem Abschnitt entstammen mehreren Quellen: Sale 1985; Nickerson 1993; Ayers 1998; Berichte des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) 2001; des Worldwatch Institute (1991; 1994; 1997; 2000 und 2005); des International Fund for Agricultural Development (2006).
7 Um die Größenordnung dieser Veränderung deutlich zu machen: Die Erde ist jetzt um 5 bis 7 Grad Celsius wärmer als zur Hälfte der letzten Eiszeit.
8 Der Entwicklungsbericht des UNDP (United Nations Development Programme) aus dem Jahr 1992 schätzte, dass die Kluft zwischen den reichsten 20 % und den ärmsten 20 % der Länder dem Verhältnis von 60 : 1 entsprach. Diese Zahlen beruhen auf einem landesweiten Durchschnittswert. Doch wenn man die tatsächlichen individuellen Einkommen betrachtet, entspricht die Kluft einem Verhältnis von 150 : 1 (Athanasiou 1996). Im Jahr 2005 bezifferte das UNDP die Kluft ausgehend vom Durchschnitt der Länder auf 82 : 1. Dies lässt es als wahrscheinlich erscheinen, dass die Kluft bezogen auf die individuellen Realeinkommen einem Verhältnis von 200 : 1 entspricht.
9 Die statistischen Angaben stammen aus Milanovic 1999, 2.