Befreite Schöpfung. Leonardo Boff
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Die Veränderung der Arbeit und der Geschlechterrollen muss auch mit einer tiefgreifenden Veränderung der Art und Weise einhergehen, wie wir die Wirklichkeit wahrnehmen. Vandana Shiva betont: „Der ‚rationale‘ Mann des Westens hat sich demaskiert: Er ist ein Ausbund an Irrationalität und bedroht selbst das Überleben der Menschheit.“ (Shiva 1989 a, 234) Sie hält daran fest: „Die Rückgewinnung des weiblichen Prinzips heißt: den Respekt für das Leben der Natur und das Leben der Gesellschaft wieder ins Leben zu rufen. Das ist der einzige mögliche Weg, der in die Zukunft führt.“ (Shiva 1989 a, 235)
Wenn das weibliche Prinzip bei den Frauen und in der Natur untergraben wird, dann wird es zu einem Prinzip der Passivität entstellt. Bei Männern bewirkt derselbe Prozess „eine Veränderung der Auffassung von Aktivität von Schöpfung zu Zerstörung und der Auffassung von Macht von Ermächtigung zu Beherrschung“. Wenn das weibliche Prinzip zugleich in den Männern, den Frauen und der Natur abstirbt, dann werden „Gewalt und Aggression die männlichen Modelle von Aktivität, und Frauen und die Natur werden zu passiven Objekten der Gewalt“ (Shiva 1989 b, 53).
Um diesen Prozess umzukehren, plädiert der von der Jung-Schule herkommende Theoretiker Gareth Hill für die Wiedererlangung des „dynamisch Weiblichen“ innerhalb der Gesellschaft. In diesem Zusammenhang bezieht sich „weiblich“ nicht auf die Frauen als Geschlecht, sondern vielmehr auf ein Ensemble von Werten oder Eigenschaften, die vom Patriarchat systematisch negiert wurden. Das dynamisch Weibliche weist über das statische Bild von Ernähren und mütterlicher Fürsorge hinaus, obwohl es mit Sicherheit Eigenschaften wie Mitleid und den Wunsch, Leben zu erhalten, mit umfasst. Doch gleichzeitig hat das dynamisch Weibliche eine spielerische, vitale Seite an sich. Es ist zugleich aktiv und reaktiv, fruchtbar und beständig. Es erinnert an das Kapitel im Tao Te King, in dem von der Kraft des Wassers die Rede ist:
Nichts in der Welt
ist so sanft und ertragreich wie das Wasser.
Doch im Auflösen des Harten und Starren
ist es unübertroffen.
Das Weiche überwindet das Harte;
das Geschmeidige überwindet das Starre.
Jeder weiß, dass dies wahr ist,
doch nur wenige können das in ihrem Tun verwirklichen.
(§ 78)
Das dynamisch Weibliche ist auch schöpferisch und hat etwas von Chaos und Überraschendem an sich, das unvorhersehbar hervorbricht. Es steht in scharfem Gegensatz zu Herrschaft und Kontrolle (Gomes/Kanner 1995). Letztlich fordert uns die Integration des dynamisch Weiblichen in unser wirtschaftliches, politisches und kulturelles Handeln dazu heraus, Macht auf eine völlig andere Weise zu begreifen und auszuüben: nicht als Herrschaft, Ausbeutung und Kontrolle, sondern als etwas Positives und Schöpferisches.
Macht neu denken
Solange Macht in der Form von Herrschaft und Ausbeutung ausgeübt wird, wird das Patriarchat weiterhin verheerenden Schaden anrichten und die ökologischen und gesellschaftlichen Systeme untergraben, die das Leben erhalten. Wir bauchen ein völlig neues Verständnis und eine neue Praxis von Macht, damit das weibliche Prinzip in unserer Zeit erneuert werden und wiedererstarken kann.
Das Wort Macht ruft viele unterschiedliche Gedanken und Bilder hervor. In einigen Kreisen hat es einen rein negativen Klang bekommen. Macht wird schlicht als die Durchsetzung des Willens eines Einzelnen oder einer Gruppe auf Kosten der anderen gesehen. Doch im Gegensatz dazu ist die Wurzel des englischen Wortes power das lateinische Verb posse, das „können“ heißt. Auch das spanische Substantiv poder lässt diese Herkunft noch erkennen. Vom Wesen her ist Macht also das, was befähigt. Das Bild, das in dieser sprachlichen Wurzel enthalten ist, ist also nicht so sehr zerstörerisch, sondern vielmehr etwas Produktives oder sogar Schöpferisches.
In patriarchalischen Gesellschaften wurde Macht herkömmlicherweise als etwas gesehen, was eine Gruppe oder ein Individuum auf Kosten der anderen besitzt. Dies ist eine von Grund auf verzerrte Auffassung. Michel Foucault vertritt die Ansicht, dass Macht nichts Statisches oder etwas, das man besitzen kann, ist. Es ist eher etwas, das durch ein Cluster netzförmiger Beziehungen hindurchfließt. Macht ist eher etwas wie Fäden, die Seinsformen miteinander verbinden. „Individuen sind die Vehikel von Macht, nicht diejenigen, die sie gebrauchen.“ (Foucault 1980, 98)
Wie wir schon früher bemerkt haben, bringt Shiva die Ausübung männlicher Macht in Verbindung mit der gesellschaftlichen Konstruktion der Natur und des Weiblichen als passiv. Da Macht relational ist, hängt Erstere von Letzterem ab. Die Herausforderung besteht nun darin, Macht neu zu bestimmen: Sie soll keine Beziehung mehr sein, in der das Aktive über das Passive, der Unterdrücker über die Unterdrückten, der Ausbeuter über die Ausgebeuteten herrscht, sondern eine neue Beziehung auf der Grundlage von Gegenseitigkeit und Kreativität. Um zu sehen, wie dies verwirklicht werden kann, bedürfen wir einer eher praktischen Analyse von Macht.
Analyse der Macht
In ihrem Buch Truth or Dare (1987) arbeitet die ökofeministische Autorin, Aktivistin und Psychologin Starhawk drei Grundtypen oder Formen heraus, in denen sich Macht ausdrückt: „Macht über“, „Macht von innen heraus“ und „Macht mit“.
Die „Macht über“ wird wohl am besten als Macht beschrieben, die einschränkt oder kontrolliert. So wird Macht üblicherweise in unseren gegenwärtigen patriarchalischen Gesellschaften aufgefasst und ausgeübt. Sie ist im vorherrschenden mechanistischen Paradigma verwurzelt, das später noch näher untersucht wird. „Macht über“ tendiert dazu, sich selbst eine hierarchische Struktur zu geben; sie entfaltet sich über Systeme von Autorität und Herrschaft. Dies ist jene Art von Macht, die es dem patriarchalischen Kapitalismus ermöglicht, sich die Produktion durch Ausbeutung anzueignen.
Wir sind an die „Macht über“ und ihre impliziten Drohungen in unserem Leben so gewöhnt, dass sie weitgehend auf einer unbewussten Ebene wirkt – so, als ob wir den Gefängniswärter in unseren Köpfen hätten. Im Allgemeinen werden wir uns der „Macht über“ nur in ihren extremsten Formen bewusst, wie zum Beispiel im Fall offener Gewalt. Doch während Macht mithilfe von Waffengewalt oder Zwangsmaßnahmen das deutlichste Beispiel für „Macht über“ ist, entfaltet sie üblicherweise ihre Wirkung mittels subtilerer Mechanismen von Druckausübung, Manipulation und Kontrolle, die in einem gewissen Maß von Furcht motiviert ist.
Es ist bemerkenswert, dass „Macht über“ in gewissem Sinne tatsächlich „befähigt“. „‚Macht über‘ versetzt Individuen und Gruppen in die Lage, Entscheidungen zu fällen, die andere betreffen, und Kontrolle zu verstärken.“ (Starhawk 1987, 9) Doch „Macht über“ ist in ihrem Wesen negativ. Es ist Macht, die dazu benutzt wird, die Macht anderer niederzudrücken oder zurückzudrängen.
Eine zweite Art von Macht, welche für Starhawk das genaue Gegenteil der „Macht über“ darstellt, ist diejenige, welche sie „Macht von innen heraus“ nennt. „Macht von innen heraus“ ist die Macht, die alles Leben erhält: die Macht der Kreativität, die Kraft zu heilen und zu lieben. Sie wird in besonderem Maße erfahren, wenn Menschen gemeinsam handeln, um sich der Kontrolle der „Macht über“ zu widersetzen. Von daher ist klar, dass „Macht von innen heraus“ das Zentrum dessen bildet, was oft mit dem Wort „Befähigung“ (empowerment) bezeichnet wird. Somit ist sie auch ein zentraler Begriff für viele befreiende Modelle von Erziehung und politischem Handeln.
Es ist interessant, dass das Tao möglicherweise die reinste und auf das Wesentliche konzentrierte Form dieser Art von Macht ist: die innere Macht, die sich im Herzen des Kosmos selbst