Die Tugend des Egoismus. Ayn Rand

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Die Tugend des Egoismus - Ayn Rand

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– sie können diesen Brennstoff aber nicht erlangen. Um ihn zu erlangen, brauchen die höheren Organismen die Fähigkeit des Bewusstseins. Eine Pflanze kann ihre Nahrung aus der Erde ziehen, in der sie wächst. Ein Tier muss sie jagen. Der Mensch muss sie produzieren.

      Eine Pflanze hat keine Handlungsfreiheit; die von ihr verfolgten Ziele sind automatisch und angeboren und durch ihre Natur bestimmt. Nahrung, Wasser und Sonnenlicht sind die Werte, die zu suchen sie die Natur anhält. Ihr Leben ist der Wertmaßstab, der ihre Handlungen bestimmt. Es gibt Alternativen in den Bedingungen, die sie in ihrer Umwelt antrifft – wie Hitze oder Kälte, Dürre oder Überschwemmung – und es gibt bestimmte Handlungen, die sie ausüben kann, um widrigen Bedingungen zu trotzen, etwa die Fähigkeit einiger Pflanzen, unter einem Stein hervorzuwachsen und zu kriechen, um das Sonnenlicht zu erreichen. Doch wie auch immer die Bedingungen aussehen mögen, es gibt keine Alternative in den Funktionen einer Pflanze: Sie handelt automatisch, um ihr Leben zu fördern. Sie kann nicht als ihr eigener Zerstörer handeln.

      Der Aktionsradius, den die höheren Organismen zum Überleben brauchen, ist größer: Er ist proportional zur Spanne ihres Bewusstseins. Die niederen der bewussten Arten besitzen nur die Fähigkeit der Sinneswahrnehmung, welche ausreicht, um ihre Handlungen zu leiten und ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Eine Sinneswahrnehmung wird produziert durch die automatische Reaktion eines Sinnesorgans auf einen Reiz aus der Außenwelt; sie hält nur solange an, wie der Reiz dauert und nicht länger. Sinneswahrnehmungen sind eine automatische Reaktion, eine automatische Form des Wissens, die ein Bewusstsein nicht suchen und der es nicht ausweichen kann. Ein Organismus, der nur die Fähigkeit der Sinneswahrnehmung besitzt, wird geleitet durch den Freude-Leid-Mechanismus seines Körpers, d.h. durch automatisches Wissen und einen automatischen Wertekanon. Sein Leben ist der Wertmaßstab, der seine Handlungen bestimmt. Innerhalb seines Aktionsradius handelt er automatisch um sein Leben zu fördern und kann nicht als sein eigener Zerstörer handeln.

      Die höheren Organismen besitzen eine leistungsfähigere Form des Bewusstseins: Sie besitzen die Fähigkeit, Sinnesdaten abzuspeichern, ein Wahrnehmungsvermögen. Eine „Wahrnehmung“ ist eine Gruppe von Sinnesdaten, die automatisch gespeichert und im Gehirn eines lebenden Organismus integriert wird, was ihm die Fähigkeit verleiht, nicht nur bestimmten Reizen, sondern Entitäten, Dingen, gewahr zu werden. Ein Tier wird nicht nur geleitet von direkten Sinneseindrücken, sondern von Wahrnehmungen. Seine Handlungen sind nicht einzelne, direkte Antworten auf einzelne, separate Reize, sondern werden geleitet von einem integrierten Erkennen der wahrnehmbaren Realität, die es konfrontiert. Es kann die unmittelbar anwesenden wahrnehmbaren Gegenstände begreifen und automatische Wahrnehmungsverknüpfungen bilden – doch kann es nicht darüber hinausgehen. Es kann bestimmte Fähigkeiten für spezifische Situationen lernen, etwa zu jagen oder sich zu verstecken, was die Eltern höherer Tiere ihren Jungen beibringen. Doch ein Tier hat keine Wahl in Bezug auf das Wissen und die Fähigkeiten, die es erwirbt; es kann sie nur Generation für Generation wiederholen. Außerdem hat ein Tier keine Wahl in Bezug auf den Wertmaßstab, der seine Handlungen leitet: Seine Sinne stellen ihm einen automatischen Wertekanon zur Verfügung, ein automatisches Wissen darüber, was gut oder böse ist, was seinem Leben nützt oder es gefährdet. Ein Tier hat nicht die Fähigkeit, sein Wissen zu erweitern oder ihm auszuweichen. In Situationen, in denen sein Wissen unzureichend ist, stirbt es – wie z.B. ein Tier, das wie gelähmt vor einem herannahenden Zug auf den Schienen stehen bleibt. Doch solange es lebt, handelt ein Tier nach seinem Wissen, mit automatischer Gewissheit und ohne Entscheidungsfreiheit: Es kann sein eigenes Bewusstsein nicht aussetzen, es kann sich nicht entscheiden, nicht wahrzunehmen, es kann seinen Wahrnehmungen nicht ausweichen, es kann sein eigenes Wohl nicht ignorieren, es kann sich nicht entscheiden, das Böse zu wählen und als sein eigener Zerstörer zu handeln.

      Der Mensch hat keinen automatischen Überlebenskodex. Er hat keine automatische Handlungsanleitung, keinen automatischen Wertekanon. Seine Sinne sagen ihm nicht automatisch, was gut oder böse für ihn ist, was sein Leben fördert oder es gefährdet, welche Ziele er verfolgen soll und durch welche Mittel sie erreicht werden können, von welchen Werten sein Leben abhängt oder welches Vorgehen es benötigt. Sein eigenes Bewusstsein muss die Antworten auf all diese Fragen entdecken – doch sein Bewusstsein funktioniert nicht automatisch. Der Mensch, die am höchsten entwickelte lebende Spezies auf Erden – das Wesen, dessen Bewusstsein eine grenzenlose Kapazität für den Erwerb von Wissen hat – der Mensch ist die einzige lebende Entität, die ohne Garantie geboren wird, bewusst zu bleiben. Der besondere Unterschied zu allen anderen lebenden Spezies ist die Tatsache, dass sein Bewusstsein willentlich ist.

      Genauso wie die automatischen Werte, die die Funktionen einer Pflanze leiten, ausreichend für ihr Überleben sind, jedoch nicht für das eines Tieres, genauso sind die automatischen Werte, die ein sinnlich-wahrnehmender Bewusstseinsmechanismus einem Tier gibt, ausreichend, um ein Tier zu leiten – aber nicht ausreichend, um den Menschen zu leiten. Die Handlungen des Menschen und sein Überleben brauchen die Leitung durch begriffliche Werte, abgeleitet von begrifflichem Wissen. Doch begriffliches Wissen erwirbt man nicht automatisch.

      Ein „Begriff“ ist eine geistige Integration von zwei oder mehr wahrgenommenen Gegenständen, welche durch einen Prozess der Abstraktion isoliert und mittels einer spezifischen Definition vereint werden. Jedes Wort der menschlichen Sprache (mit der Ausnahme von Eigennamen) bezeichnet einen Begriff, eine Abstraktion, die für eine unbegrenzte Anzahl von Gegenständen einer spezifischen Art steht. Durch die Organisation seines wahrgenommenen Materials in Begriffe, und dieser Begriffe in weitere und weitere Begriffe ist der Mensch fähig, eine unbegrenzte Menge an Wissen zu begreifen, abzuspeichern, zu identifizieren und zu integrieren – ein Wissen, das über die unmittelbaren Wahrnehmungen eines bestimmten, unmittelbaren Momentes hinausreicht. Die Sinnesorgane des Menschen funktionieren automatisch; das Gehirn des Menschen integriert seine Sinnesdaten automatisch in Wahrnehmungen; doch der Prozess, seine Wahrnehmungen in Begriffe zu integrieren – der Prozess der Abstraktion und der Begriffsbildung – ist nicht automatisch.

      Der Prozess der Begriffsbildung besteht nicht bloß aus dem Begreifen von wenigen simplen Abstraktionen, wie „Stuhl“, „Tisch“, „heiß“, „kalt“ und aus dem Erlernen von Sprache. Er besteht aus einer Methode, sein Bewusstsein zu benutzen, die man am besten mit dem Wort „Begriffsbildung“ ausdrücken kann. Dies ist nicht der passive Zustand des Registrierens zufälliger Eindrücke. Es ist ein aktiv unterstützter Prozess der begrifflichen Identifizierung der eigenen Eindrücke, des Integrierens aller Ereignisse und aller Beobachtungen in einen begrifflichen Kontext, des Begreifens von Zusammenhängen, Unterschieden und Gemeinsamkeiten im eigenen Sinnesmaterial und des Abstrahierens dieser in neue Begriffe, des Herleitens, des Beobachtens, des Schlussfolgerns, des Stellens neuer Fragen, des Entdeckens neuer Antworten und der Erweiterung des Wissens in eine ständig wachsende Summe. Die Fähigkeit, die diesen Prozess leitet, das Vermögen, das mittels Begriffen arbeitet, ist der Verstand. Der Prozess ist das Denken.

      Die Vernunft ist das Vermögen, das das Sinnesmaterial identifiziert und integriert. Sie ist eine Fähigkeit, zu deren Ausübung sich der Mensch entscheiden muss. Denken ist keine automatische Funktion. In jeder Stunde und jedem Bereich seines Lebens kann der Mensch denken oder dieser Anstrengung ausweichen. Denken erfordert einen Zustand der voll fokussierten Aufmerksamkeit. Die Handlung, sein Bewusstsein zu fokussieren, ist willentlich. Der Mensch kann seinen Geist aktiv und zielgerichtet auf die Realität fokussieren – oder er kann diesen Fokus aussetzen, in einem halbbewussten Dämmerzustand treiben, bloß auf irgendeinen Reiz des unmittelbaren Moments reagieren und der Gnade seines ungerichteten sinnlich-wahrnehmenden Mechanismus und zufälliger Assoziationen ausgeliefert sein.

      Wenn der Mensch den Fokus seines Verstandes ausschaltet, kann man ihn in einem nichtmenschlichen Sinn des Wortes bewusst nennen, da er ja Sinnesdaten und Wahrnehmungen erlebt. Doch im Sinn des Wortes, wie es auf Menschen anwendbar ist – im Sinne eines Bewusstseins, welches sich der Realität bewusst ist und mit ihr umzugehen weiß, eines Bewusstseins, das fähig ist, die Handlungen für das Überleben eines menschlichen

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