Die Erde ist uns anvertraut. Leonardo Boff

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die Erde ist uns anvertraut - Leonardo Boff страница 8

Die Erde ist uns anvertraut - Leonardo Boff

Скачать книгу

Prozess erreichte seinen Höhepunkt in der Mitte des 20. Jahrhunderts mit der hegemonialen Ausbreitung der USA. Technik und Wissenschaft, die so viele Erleichterungen mit sich brachten, werden nun als Instrument der Beherrschung und Bereicherung eingesetzt. Die transnationalen Konzerne kontrollieren die nationalen Märkte. Eine westliche Einheitskultur löst die regionalen Kulturen auf. Eine einzige Produktionsweise, nämlich die kapitalistische, gewinnt die Oberhand. Ihre Grundlage ist das Konkurrenzprinzip, und so zerstört sie die gesellschaftlichen Bindungen und die Formen der Kooperation. Das einzig gültige, neoliberale Denken breitet sich über alle Teile der Welt aus und entwertet jede Andersheit und jede Alternative. Das Schlimmste daran ist, dass aus der Erde eine Handelsbank gemacht wird, die alles zur Ware macht. Metalle, Pflanzen, Saatgut, Wasser, Gene – alles wird verkauft und zu etwas gemacht, aus dem man Profit schlagen kann. Die Eigenständigkeit und Subjektivität Gaias werden nicht respektiert. Unsere eigenen irdischen Wurzeln und unser Ursprung werden verleugnet, denn als Menschen kommen wir aus der Erde, aus dem Humus, der fruchtbaren Erde. Als Söhne und Töchter Adams (der Name „Adam“ bedeutet Sohn der Erde) entstammen wir dem fruchtbaren Ackerboden (auf hebräisch adamah).

      Dies ist das Eisenzeitalter der Globalisierung, das wir auch nach dem Tyrannosaurus benennen können. Wir bezeichnen es als solches, weil es in seiner Vernichtungstendenz eine Analogie zum Tyrannosaurus aufweist, dem gefräßigsten aller Dinosaurier. Tatsächlich prägt die Wettbewerbslogik des Marktes ohne jede Spur von Kooperation dem herrschenden Globalisierungsprozess den Stempel der Gnadenlosigkeit auf. Sie grenzt etwa die Hälfte der Menschheit aus. Sie saugt das Blut der Ökonomien der schwachen und rückständigen Länder aus und gibt Abermillionen von Menschen dem Hunger und der Ohnmacht preis. Sie richtet ökologischen Schaden in solchem Maße an, dass sie die Biosphäre gefährdet, denn sie verschmutzt die Luft, vergiftet die Böden, kontaminiert die Gewässer und durchsetzt die Lebensmittel mit Chemikalien. Sie legt ihrer dinosauriergleichen Gefräßigkeit keine Zügel an und stellt sich nicht der Realität, dass das Projekt Mensch auf dem Planeten nicht mehr möglich sein wird. Sie nimmt lieber das Risiko des Todes in Kauf als den Rückgang ihres materiellen Gewinns. Der französische Genetiker Albert Jaquard hat dies treffend angeprangert: „Das Ziel einer Gesellschaft ist der Austausch. Eine Gesellschaft, deren Hauptantriebskraft der Wettbewerb ist, ist eine Gesellschaft, die mir den Selbstmord nahelegt. Wenn ich gegen den anderen in Wettbewerb trete, kann ich mich mit ihm nicht austauschen, ich muss ihn eliminieren, zerstören.“ (2004)

      Dieser skandalöse und perverse Prozess hat dazu geführt, dass nur 20 % der Menschheit 80 % der Ressourcen und natürlichen Reichtümer konsumieren. Fünfhundert große Unternehmen vereinigen 52 % des Reichtums des Planeten auf sich. Das entspricht dem Bruttoinlandsprodukt der 135 ärmsten Länder. Niemals hat man auf der Erde ein solches Übermaß an Ungleichheit und sozialer Ungerechtigkeit gesehen. Jedes Jahr vermehrt sich die Zahl der Slumbewohner um 25 Millionen. Sie geben dem ganzen Planeten nach und nach ein elendes, heruntergekommenes und „verslumtes“ Aussehen (Davis 2006). Dieses auf Ausgrenzung beruhende Modell von Globalisierung (in Brasilien gibt es 120.400 Millionäre neben mehr als 50 Millionen Armen!) läuft Gefahr, die Menschheit in zwei Teile aufzuspalten: Auf der einen Seite sind die Nationen, die im Überfluss leben, im materiellen Konsum ersticken und gleichzeitig im spirituellen und menschlichen Sinne erschreckend arm sind. Sie nehmen alle Wohltaten der Technik und Wissenschaft für sich in Anspruch. Auf der anderen Seite gibt es die großen Massen, die ihrem eigenen Schicksal überlassen und der Barbarei ausgeliefert werden. Sie dienen der Produktionsmaschine als Brennstoff, sind zu einem Tod vor der Zeit verdammt, leiden unter chronischem Hunger, unter den Krankheiten der Armen und unter der allgemeinen Verschlechterung des Zustandes der Erde.

      Das alles zeigt, dass dieses System ökonomisch gesehen gescheitert ist und von einer stärker integrierenden Alternative abgelöst werden muss. Es gibt tausend Gründe, uns dieser Art von Globalisierung zu widersetzen. Sie darf nicht von Dauer sein, wenn es uns um die Zukunft der Menschheit geht.

      Trotz der aufgezeigten Widersprüche leistet die Globalisierung des Eisenzeitalters einen unverzichtbaren Beitrag zur Globalisierung in einem weiteren Sinne. Sie schafft die Infrastruktur und die materiellen Voraussetzungen für die anderen Formen der Globalisierung: Sie hat die großen weltweiten Kommunikationskanäle hervorgebracht, sie hat das Netz von Handels- und Finanzbeziehungen geschaffen, sie hat den Austausch zwischen allen Völkern, Kontinenten und Nationen gefördert. Ohne diese Voraussetzungen wäre es unmöglich, von Globalisierungen ganz anderer Art zu träumen. Sie gingen immer mit der Ökonomie einher, ohne jedoch die Hegemonie innezuhaben. Nun, nachdem die materielle Globalisierung geschaffen ist, muss sich die menschliche Globalisierung ihrer innerhalb eines größeren und umfassenderen Rahmens bedienen und die Vorherrschaft anstreben. Sie vollzieht sich gleichzeitig auf mehreren Ebenen: der anthropologischen, der politischen, der ethischen und der spirituellen. Dies sind die anderen Formen der Globalisierung, die zur Zeit nicht die Oberhand haben. Doch unser Überleben auf der Erde hängt davon ab, ob es uns gelingt, dafür zu sorgen, dass diese anderen Formen der Globalisierung den Verlauf unserer Geschichte bestimmen und die gemeinsame Zukunft von Erde und Mensch garantieren.

      Immer mehr breitet sich die – vom Westen ausgehende, aber keineswegs ausschließlich westliche – Überzeugung aus, dass jede Person, sofern sie Mensch ist, heilig und mit Würde ausgestattet ist (res sacra homo). Der Mensch ist ein Zweck an sich und kann niemals zum bloßen Mittel für irgendetwas degradiert werden. Er stellt ein unendliches Projekt dar, das sichtbare Antlitz des Mysteriums der Welt, Sohn und Tochter Gottes. Im Namen dieser Würde wurden die grundlegenden Menschenrechte, die Rechte der Person und die sozialen Rechte, kodifiziert. Sie wurden präziser gefasst als Rechte der Völker, der Minderheiten, der Frauen, der Homosexuellen, der Kinder, der Alten und der Kranken. Zuletzt wurde die dignitas terrae explizit ausformuliert. Sie umfasst die Rechte der Erde als eines lebendigen Superorganismus, der Ökosysteme, der Tiere und alles dessen, was lebt. Diese Rechte wurden unübertrefflich in der Erdcharta dargelegt. (Erdcharta, 2001)

      Die Demokratie als universaler gelebter Wert auf allen Ebenen – in den Familien, den Schulen, den Gemeinden, den sozialen Bewegungen und Regierungsformen – durchdringt nach und nach die politischen Vorstellungen weltweit. Das heißt, jeder Mensch hat das Recht zur Teilhabe an der gesellschaftlichen Wirklichkeit, der er angehört und die er mit seiner Persönlichkeit und Arbeitskraft mitzugestalten hilft. Die Macht muss der Kontrolle unterworfen werden, damit sie nicht zur Tyrannei verkommt. Der Weg zu dauerhaften Lösungen ist der unermüdliche Dialog, die beständige Toleranz und die permanente Suche nach Übereinstimmungen in den Unterschieden, und nicht die Gewalt. Der Friede ist zugleich Methode (der Imperativ, stets friedliche oder die am wenigsten zerstörerischen Mittel zu gebrauchen) wie auch Ziel. Er ist die Frucht der Fürsorge eines jeden für alle, für das Gemeinsame Haus und für die unverzichtbare gesellschaftliche Gerechtigkeit. Die Institutionen, so sehr sie sich auch voneinander unterscheiden mögen, müssen ein Mindestmaß an Gerechtigkeit, Gleichheit und Transparenz verwirklichen.

      Ein Minimalkonsens für eine globale Ethik konzentriert sich auf die humanitas (Humanität); wir alle und jeder Einzelne von uns sind deren Träger. Die humanitas ist mehr als ein Begriff; sie ist das tiefe Empfinden dessen, dass wir Brüder und Schwestern sind, denselben Ursprung haben, dieselbe natürliche Ausstattung in physikalisch-chemischer, biologischer, soziokultureller und spiritueller Hinsicht haben und dasselbe Schicksal miteinander teilen. Wir müssen alle der Goldenen Regel entsprechend menschlich behandeln: „Handle am anderen so, wie du selbst von ihm behandelt werden willst.“

      Die Ehrfurcht vor dem Leben, die unbedingte Achtung den Unschuldigen gegenüber, die Wahrung der physischen und psychischen Integrität der Personen und aller Schöpfung, die Anerkennung des Rechtes des Anderen, in seiner jeweiligen Besonderheit zu leben – das sind die Grundpfeiler, auf denen die Gesellschaftsfähigkeit des Menschen, die Werte und der Sinn unserer kurzen Reise auf diesem Planeten ruhen.

      Es begegnen einander die spirituellen Erfahrungen aus Ost und West, der Ureinwohner und der heutigen Kulturen, und es kommt zu einem Austausch ihrer Weltsichten. Durch sie macht sich der Mensch

Скачать книгу