Die Erde ist uns anvertraut. Leonardo Boff
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Dies ist nur eine oberflächliche, ich würde sogar sagen dürftige Beschreibung. In Wirklichkeit ist die Erde viel mehr: Sie ist das Zusammenleben und die gegenseitige Vernetzung all dieser Faktoren, die stets voneinander abhängig und auf eine solche Weise miteinander verbunden sind, dass sie aus unserem Planeten ein lebendiges und dynamisches System machen, das stets in Bewegung und in Entwicklung begriffen ist.
Während ihrer ganzen langen Geschichte hat sich die Erde im geologischen Sinn als äußerst aktiv erwiesen. Immer wieder brachen Vulkane aus oder es schlugen riesige Meteoriten ein, die riesige Krater auf der Erdoberfläche hinterließen, aber auch beträchtliche Mengen von Wasser und mineralischen Stoffen mit sich brachten. Einigen Forschern zufolge haben wir diesen Meteoriten die Moleküle zu verdanken, die die Grundlage für das Entstehen des Lebens bildeten (Collins 2007, 94 – 100).
3. Wie die Kontinente entstanden
Die Geologen und Paläontologen sagen uns, dass im Archaikum (das ist die älteste Epoche der Erdgeschichte von ihrer Entstehung vor etwa 4,4 Milliarden Jahren bis 2,7 Milliarden Jahre) die Kontinente noch nicht existierten. Vielmehr bedeckte das Wasser die gesamte Erdoberfläche, nur da und dort gab es riesige Vulkaninseln.
Vor etwa 3,8 Milliarden Jahren tauchten da und dort verstreut liegende große Landflächen auf, die ständig in Bewegung waren. Diese Landflächen vereinigten sich und produzierten so große Brüche, Seebeben und Verwerfungen. Eine Milliarde Jahre später hatten sich auf diese Weise bereits große Teile des Festlandes gebildet. Sie glitten auf einer Basaltschicht, veränderten ihre Lage, bis sie sich schließlich zu einem einzigen großen Kontinent vereinigten, dem man den Namen Pangäa gab. Fünfzig Millionen Jahre lang bewegte sich dieser Superkontinent frei über den Globus hinweg. Millionen Jahre später zerfiel Pangäa in Teile, und nach und nach traten an seine Stelle die Kontinente, wie wir sie heute kennen. Unter ihrer Oberfläche befinden sich die tektonischen Platten, die ständig aktiv sind, miteinander zusammenstoßen (und auf diese Weise Gebirge hervorbringen) oder sich überlagern bzw. sich in einer Bewegung, die man „Kontinentaldrift“ nennt, voneinander entfernen. Jedes Mal, wenn die tektonischen Platten aufeinanderstießen, löste das unvorstellbare Katastrophen aus, so wie auch vor 245 Millionen Jahren, als Pangäa auseinanderbrach. Dabei wurden 75 % bis 95 % der damals existierenden Lebewesen vernichtet.
Die Erde hat bereits mehrere große Massenvernichtungen der auf ihr existierenden Lebewesen erfahren. Zwei davon haben zu einer völligen Neuorganisation der Ökosysteme auf dem Festland und im Meer geführt. Die erste dieser Massenvernichtungen haben wir bereits beschrieben: Sie ereignete sich, als Pangäa auseinanderbrach und verschiedene Kontinente bildete. Die zweite fand vor 65 Millionen Jahren statt. Sie wurde von Klimaveränderungen, deutlichen Veränderungen des Meeresspiegels und dem Einschlag eines Meteoriten von etwa 9,6 Kilometern Durchmesser in Yucatan im Südosten Mexikos ausgelöst. Es brachen höllische Brände aus, unvorstellbar heftige Tsunamis (Seebeben) entstanden, zahlreiche giftige Gase breiteten sich aus und verursachten eine lang andauernde Verdunkelung der Sonneneinstrahlung. Die Dinosaurier, die 130 Millionen Jahre lang die Erde beherrscht hatten, verschwanden vollständig und erlitten damit dasselbe Schicksal wie 50 % aller lebenden Arten. Die Erde brauchte zehn Millionen Jahre, um sich zu erholen und ihre immense Artenvielfalt wiederzuerlangen. Doch da sie Gaia ist, das heißt ein lebendiger Großorganismus, verfügt sie über „Resilienz“2, das heißt eine große Fähigkeit, Einflüssen von außen standzuhalten und aus den Katastrophen Chancen entstehen zu lassen, um neue Formen des Lebens hervorzubringen und Anpassungen der Ökosysteme zu bewerkstelligen. Die eben geschilderte Katastrophe war der Ausgangspunkt dafür, dass den Säugetieren das Überleben ermöglicht wurde und dass schließlich der Mensch entstehen konnte.
Geologen und Biologen behaupten, dass eine weitere große Katastrophe in Gang sei. Ihnen zufolge habe sie vor 2,5 Mio. Jahren ihren Anfang genommen: Große Eisflächen begannen den Planeten zu bedecken und veränderten so das Klima und den Meeresspiegel. In dieser Zeit sei der homo habilis entstanden, der den Werkzeuggebrauch erfand (ein Stein, ein Stock …), um effektiver ins Naturgeschehen eingreifen zu können. Später, als er sich bereits zum homo sapiens sapiens weiterentwickelt hatte, legte er nicht nur eine unglaubliche schöpferische Kraft, sondern zugleich auch eine Zerstörungskraft von solchem Ausmaß an den Tag, dass er mit einem gewaltigen Meteoriten verglichen werden kann.
In den letzten drei Jahrhunderten hat der Mensch aufgrund eines verantwortungslosen und gedankenlosen Konsums eine systematische Zerstörung der Ökosysteme praktiziert. Er beschleunigt deshalb den Prozess der massenhaften Auslöschung der lebenden Arten in einem Tempo, das selbst den unerbittlichen Rhythmus der Natur bei Weitem übersteigt. Die „Treibhausgase“ (Kohlendioxid, Methan, Stickoxid, Wasserdampf und Ozon) sind die Hauptverursacher der globalen Erwärmung und der Klimaveränderungen, unter denen die Erde spürbar leidet.
Wir sind also von einigen Kräften abhängig, die sich unserer Kontrolle entziehen und die unsere Gattung vernichten können, so wie sie in der Vergangenheit bereits so viele andere Arten vernichtet haben. Doch das Leben selbst wurde niemals ausgelöscht. Nach jeder Vernichtung fand eine neue Genesis statt. Da die Intelligenz in erster Linie im Universum selbst angelegt ist und erst sekundär eine Qualität von uns Menschen ausmacht, kann man davon ausgehen, dass sie in anderen Lebewesen weiter existieren wird, die hoffentlich ein besseres Verhalten an den Tag legen als wir. Peter Ward, Geologe an der Universität Washington, meinte:
„Was spricht dagegen, dass einige Arten, die heute unbedeutend sind, zu Vorläufern irgendeiner großen Intelligenz werden, die Größeres vollbringt, und mehr Weisheit und Weitsicht an den Tag legt als wir? Wer hätte es denn vorhergesehen, dass die kleinen auf Bäumen lebenden Säugetiere, die vor 75 Millionen Jahren vor den Dinosauriern aus Furcht zitterten, eines Tages uns hervorbringen würden?“ (Ward 1997, 289) Hier liegt ein Grund dafür, warum wir alle Arten erhalten sollten: nicht, weil sie wirtschaftlich, medizinisch und wissenschaftlich für uns wertvoll sind, sondern wegen ihres evolutiven Potenzials, das sie möglicherweise enthalten. Die Zukunft der Intelligenz und des Bewusstseins kann anfanghaft in ihnen vorhanden sein.
Schließlich haben wir die Erde in ihrer bereits reifen Gestalt mit ihren heutigen Merkmalen vor uns: mit ihren Ozeanen und Flüssen, ihren Vulkanen, ihrer Atmosphäre, ihrer Flora und Fauna mitsamt deren immenser Artenvielfalt. Die verschiedenen Bestandteile (Felsen, Berge, Gewässer, Pflanzen, Tiere, Menschen und Mikroorganismen) sind einander nicht entgegengesetzt, sie alle sind vielmehr eng miteinander verknüpft und voneinander abhängig, sodass sie ein einziges komplexes und lebendiges System bilden. Dieses System ist Gaia; es weist ein so fein abgestimmtes Gleichgewicht seiner verschiedenen Bestandteile auf (Sauerstoffgehalt der Luft, Stickstoff im Boden, der Salzgehalt der Ozeane und die Gesamtheit der übrigen physisch-chemischen Elemente), wie es nur ein Lebewesen aufweisen kann. Innerhalb dieses komplexen und weitergehenden Prozesses bildet das Leben das erstaunlichste Phänomen, das auf unserem Planeten und möglicherweise innerhalb unserer Galaxie, der Milchstraße insgesamt, entstanden ist.
4. Die schönste Ausdrucksgestalt: das Leben3
Bis vor einiger Zeit hat man sich das Leben als etwas außerhalb des Entstehungsprozesses des Kosmos vorgestellt, als etwas Mirakulöses, das direkt von Gott kommt.