Zwielicht. Julia Frankau
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"Arbeite, solange du Licht hast" war monatelang mein Credo gewesen, das mich ständig vorwärts getrieben hatte. In diesem Augenblick dämmerte es mir, dass die vor mir liegende Zeit relativ kurz sein könnte. Ich ließ das Feuer und meinen unvollendeten Tee stehen, und instinktiv formten meine Lippen die Worte: "Hier könnte ich schreiben". So oder so ähnlich beurteilte ich jeden Ort – ob ich dort schreiben konnte oder nicht. Als ich in diesem bequemen Sessel saß, fühlte ich sofort, dass mir meine schäbige neue Umgebung gefiel, dass ich dorthin passte und irgendwie zu Hause war.
Ich kam direkt aus einem schmalen Londoner Haus, in dem ich aus meinem Schlafzimmer eine Stallung und vom Wohnzimmer aus andere schmale Häuser auf der gegenüberliegenden Seite einer Straße erblickte. Hier sah ich Anfang März aus dem breiten, niedrigen Fenster auf einen gelben Ginster, der einen ungepflegten Garten zuwucherte. Jenseits des Gartens erkannte ich mehr flammenden Ginster auf hügeligem Land, dahinter Hügel, und dazwischen, unverkennbar, die düstere Finsternis des Meeres. Hier oben war die Luft sehr still, aber eine Brise vom fernen Meer trieb den Geruch des Ginster in meine Nase. Zuerst wünschte ich mir nur Griffel und Papier, dann trieb es mich über diese Wünsche hinaus und ich begann zu träumen, ich wusste nicht, wovon – aber ich fühlte mich glücklicher und zufriedener, als ich es seit langer Zeit gewesen war. Die Luft war heilsam, ebenso die Einsamkeit und die Stille. Aber dann wurde beides unterbrochen, und meine Zufriedenheit fand ein jähes Ende.
"Dr. Kennedy!"
Ich erhob mich nicht, denn in diesen Tagen, als die Neuritis besonders schlimm war, geriet das Aufstehen zu einer wahren Kraftprobe. Ich starrte den Eindringling an, und er starrte zurück. Aber ich erriet binnen einer Minute, worauf seine unwillkommene Anwesenheit zurückzuführen war. Meine ängstliche, geliebte und zappelige Schwester hatte den Namen des bekanntesten Äskulap in der Gegend herausgefunden und ihn von meiner Ankunft unterrichtet, ihm wahrscheinlich sogar einen irreführenden und völlig falschen Bericht über meinen Gesundheitszustand gegeben und ihn sicherlich gebeten, baldigst vorbeizukommen. Wie ich später herausfand, hatte ich mit einer Ausnahme in allen meinen Vermutungen recht: der vor mir stehende Mann war nicht der bekannteste Äskulap der Nachbarschaft, sondern dessen jugendlicher Partner. Dr. Lansdowne war im Urlaub, und Dr. Kennedy hatte den Brief meiner Schwester gelesen und war fest entschlossen, ihre Anweisungen auszuführen. Wie ich schon sagte, starrten wir uns in der zunehmenden Dämmerung an.
"Sie sind gerade erst gekommen?", wollte er wissen.
"Ich bin schon eine Stunde hier", erwiderte ich, " –– eine ruhige Stunde."
"Ich habe den Brief Ihrer Schwester bekommen", sagte er entschuldigend, wenn auch ein wenig unbeholfen, als er den Raum betrat.
"Sie hat Ihnen also geschrieben?"
"Oh ja! Ich muss den Brief hier irgendwo haben." Er suchte in seiner Tasche, fand ihn aber nicht.
"Wollen Sie sich nicht setzen? "
In der Nähe des Schreibtisches gab es keinen weiteren Stuhl außer dem, auf dem ich saß. Ein weiterer Grund, warum ich begriff, dass mein Vormieter ein Schriftsteller gewesen sein musste! Während Dr. Kennedy sich einen Stuhl holte, machte ich eine oberflächliche Bestandsaufnahme von seiner Person. Ein großer, gar nicht schlecht aussehender Mann in den späten dreißiger oder frühen vierziger Jahren; er trug den schäbigsten Tweedanzug, den ich je gesehen hatte, und dazu unpassende, aber gut verarbeitete Stiefel. Dann fläzte er sich schweigend auf den mitgebrachten Stuhl, während ich auf seine Eröffnung wartete. Ich hatte es einfach satt, die ganzen Ärzte und ihre Methoden. In der Stadt hatte ich bereits jeden x-beliebigen Anbieter von Geheimmittelchen kennengelernt, aber keiner konnte meine Leiden verringern, dafür aber mein sauer verdientes Geld. Eines Tages werde ich vielleicht eine Studie über sie schreiben, um zumindest so etwas von dem, was ich ausgegeben habe, zurückzubekommen. Aber Dr. Kennedy war anders als die Londoner Pfuscherkolonne mit ihren schwarzen Mänteln, was seine Eröffnung sofort unter Beweis stellte.
"Wie lange fühlen Sie sich schon unwohl?" Das war, was ich erwartet hatte, der übliche Schachzug. Dr. Kennedy saß ein paar Minuten da, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Dann fragte er mich schlagartig:
"Kannten Sie Mrs. Capel?"
"Wen?"
"Margaret Capel. Sie wissen doch, dass sie hier wohnte, nicht wahr? Dass es hier war, wo alles passiert ist?"
"Was passiert ist?"
"Dann wissen Sie es doch nicht?" Er wurde zappelig, stand von seinem Stuhl auf und ging zum anderen Fenster hinüber. "Ich hoffte, dass Sie sie kannten, dass sie eine Freundin von Ihnen war. Das hoffte ich, seit ich den Brief Ihrer Schwester bekam. Carbies! Es fühlte sich so seltsam an, wieder hierher zu kommen. Ich kann gar nicht glauben, dass es schon zehn Jahre her ist – es ist alles noch so lebendig!" Er ging zurück zu seinem Stuhl und setzte sich wieder hin. "Eigentlich sollte ich gar nicht über sie sprechen, aber das Zimmer, ja, das ganze Haus sind voller Erinnerungen. Früher saß sie stundenlang dort, wo Sie jetzt sitzen, und träumte vor sich hin. Manchmal wollte sie überhaupt nicht mit mir sprechen. Dann ging ich, da ich merkte, dass ich für sie ein Eindringling war."
Die zynischen Worte auf meinen Lippen blieben unausgesprochen. Er war groß, und wenn ihm seine Kleider gepasst hätten, hätte er vielleicht ein besseres Bild abgegeben. Ich hasse Mäntel aus Tweed! Das Adjektiv "ordinär" schoss mir durch den Kopf. Aber ich hatte bemerkt, dass ein kluger Kopf unter der dichten Mähne aus schwarzem Haar steckte, und wunderte mich ein bisschen über seine Taktlosigkeit und kleinstädtische Geschwätzigkeit. Dennoch fand ich ihn nicht ganz uninteressant.
"Stört es Sie, wenn ich über sie spreche? Glühend! Ich glaube, dieses Wort beschreibt sie am besten. Sie brannte von innen heraus, war aufgezogen wie an Drähten, die allesamt brannten. Sie saß immer genau da, wo Sie jetzt sitzen, oder oben am Klavier. Sie war eine wunderbare Pianistin. Sind Sie schon oben gewesen, in dem Raum, den sie zu ihrem Musikzimmer gemacht hat?"
"Wie ich bereits erwähnte, bin ich erst seit einer Stunde hier. Dies ist der einzige Raum, den ich bisher gesehen habe."
In meinem Tonfall muss etwas gelegen haben, das er als Mangel an Herzlichkeit oder Interesse interpretierte.
"Sie wollten nicht, dass ich heute Abend komme, nicht wahr? "Er suchte in seiner Brieftasche nach Ellas Brief, fand ihn und begann, leise zu lesen. Wie gut ich wusste, was Ella geschrieben hatte.
"Sie hat 'Carbies' ausgewählt, Sie müssen unbedingt gleich dort hingehen . . . lassen Sie mich wissen, was Sie denken . . . lassen Sie sich nicht von ihrer guten Laune täuschen . . ." Er las es leise und eigentlich nur für sich. Irgendwie schien er mein Mitgefühl zu erwarten. "Ich kam früher sehr oft hierher, manchmal zwei oder drei Mal am Tag."
"War sie krank?" Die Frage kam unwillkürlich. Margaret Capel ging mich nichts an.
"Teilweise. Eigentlich meistens."
"Konnten Sie ihr helfen?"
Anscheinend hatte er kein großes Gespür oder Feingefühl für berufliche Würde. In seinen Augen brannte plötzlich ein seltsames Licht, hell und gleichzeitig unbeständig, offenbar hervorgerufen durch meine Frage. Es war das erste Mal, dass er mich als existierendes lebendes Wesen wahrzunehmen schien. Er blickte mich direkt an, statt nur verträumt