3 a.m.. Edie Calie
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»Gar nicht schlecht für 83«, hätte er sich am nächsten Morgen vielleicht gedacht, hätte er nicht an Alzheimer gelitten. Doch so freute sich Schwester Susanne gar nicht, da sie die Flecken für Urin hielt. Niemand war da, um Herbert zu gratulieren, oder ihm seine Träume zu erklären.
Stattdessen starrten alle auf ihre Gurken Bildschirme. Die Nerds freuten sich in Internetforen, denn es hatte sich mittlerweile herumgesprochen, dass ein neuartiges Virus auf dem Weg war.
»Das Netz wird nie wieder das Gleiche sein. Vergesst fbileaks, anonymous und 4chan. Was Großes ist auf dem Weg – Apokalypse ;)«, postete xS54non Dienstag, 6:25 Uhr UTC und ein paar Nerds furzten vor Aufregung.
Wo ein Hype, da sind die traditionellen Medien nicht weit. Uh, welch’ schlechter Reim, dabei war das nicht einmal beabsichtigt. Es dauerte nur wenige Tage, bis auch die traditionellen Medien auf den Jesus-Internethype aufmerksam wurden und anfingen, darüber zu berichten. Angefangen von den Videos, die in grauenvoller Qualität im Fernsehen gezeigt wurden, um zu zeigen, was für ‚crazy Shit‘ gerade im Internet angesagt war, über Diskussionen, ob es sich um einen Fake oder eine Werbeaktion handeln könnte, bis hin zu Interviews mit Kirchenvertretern und Gläubigen über die Authentizität des Mannes. Fernsehteams mischten sich unter die Fans, die ihrem Star täglich auflauerten und keine ruhige Minute mehr gönnten, Reporter reisten ins Land um ein Interview mit ihm zu ergattern und Medienberater witterten ihre Chance, jede Menge Geld mit Jesus zu verdienen.
Die katholische Kirche kam immer mehr in Zugzwang. Alle warteten auf ein offizielles Statement zu dem wiedergekehrten Messias, dessen direkte und ehrliche Art zu reden überwiegend Sympathie auslöste.
Der alte Sepp war ebenfalls in Aufregung, allerdings aus anderen Gründen, war es doch schon eine Weile her, seitdem er und seine Frau das letzte Mal so durchs Bett gerobbt waren. Noch nie in den letzten 23 ½ Jahren Ehe hatte Sepp das Bedürfnis verspürt seine Frau ‚Baby‘ zu nennen – bis jetzt. Während er in der üblichen Missionarsstellung auf ihr schnaufte, zischte er das Wort immer wieder zwischen seinen zusammengepressten Lippen hervor. Elfriede wunderte sich nur kurz über die Anwandlungen ihres Mannes, schließlich hatte er sie seit dem Faschingsfest vor zwei Jahren, auf dem eine, als Pippi Langstrumpf verkleidete, Anfang 40-Jährige Sepp schöne Augen gemacht hatte, nicht mehr so rangenommen. Doch sie hatte keine Lust sich den Kopf zu zerbrechen oder sich zu fragen, was in seinem Kopf wohl vor sich gehen musste, damit seine Augen so lustvoll entflammt leuchteten. Sie wollte jede Sekunde genießen, denn erfahrungsgemäß blieb ihr nicht viel Zeit, um auf ihre Kosten zu kommen.
In Sepps Gedanken wurde Katz und Maus gespielt. Ein Wort, dessen Bedeutung ihm unbekannt war, leuchtete immer wieder auf, genauso wie das Bild der verführerischen Rothaarigen von vor zwei Jahren. »Babalon«, hätte er am liebsten herausgebrüllt, doch sein psychischer Zensor funktionierte noch zu gut, lediglich ein ‚Baby‘ blieb übrig. Immer wieder stieß er sich und Elfriede in Ekstase, unwissend, dass genau das Gleiche gerade weltweit in unzähligen Schlafzimmern ablief.
Das Universum
Es war 3 Uhr morgens, als im Schutz der Dunkelheit jemand versuchte, unbemerkt das Haus zu verlassen. »He, das ist doch Jesus!«, schrie einer der Anhänger, die mittlerweile Tag und Nacht vor seiner Unterkunft campierten. Innerhalb weniger Sekunden waren alle auf den Beinen. Erwischt!
Jesus war das Ganze gar nicht recht. Er wollte weg und das möglichst schnell. Er hatte sie nicht darum gebeten so viel Aufheben um seine Person zu veranstalten. Er wollte nicht in Talk Shows gehen, hatte keine Lust mit Journalisten zu reden, oder einfachen Bürgern immer wieder dieselben dämlichen Fragen zu beantworten. Sie verstanden ohnehin nicht, wovon er redete, auch wenn sie ihn mit noch so großen Augen anstarrten.
»Jesus, wo willst du denn hin?«
Dieser ging einfach los, man könnte auch sagen, er flüchtete. Doch so einfach ließ man ihn nicht entkommen, die Anwesenden rafften schnell ihre Sachen zusammen und folgten ihrem Messias.
Sie gingen, die Sonne ging auf. Sie gingen, die Mittagssonne brannte auf sie herunter. Sie gingen, langsam senkte sich die Sonne wieder. Sie gingen, es war Nacht und begann kalt zu werden. Vereinzelt hatten die Leute bereits aufgegeben ihm zu folgen, ohne Rast stundenlang durch die Wüste zu laufen ist nichts für schwache Beine und Nerven. Als Jesus endlich stehen blieb und sein Gefolge anblickte, bestand dieses noch aus 12 Christen, 5 Juden, 3 Moslems – die sich jedoch gedanklich und gegenseitig einredeten, es würde sich um den wiedergekehrten Propheten Mohammed handeln – 1 buddhistischer Mönch, der nur zufällig vorbeigekommen war, als sich der Tross in Bewegung setzte und einen Faible für meditatives Gehen hatte – und 2 Prostituierte, deren Religion sich auf den Glauben ans Geld beschränkte und die sich unter den Männern dauerhafte ‚Geschäftspartner‘ erhofften.
Ohne ein Wort zu sagen, ging Jesus in die Höhle, vor der sie zum Stehen gekommen waren. Man hatte das Gefühl, dass er das Sprechen mittlerweile aus Trotz eingestellt hatte, Perlen vor die Säue und so. Es war sicher interessanter, Uyulàla zu lauschen als den Menschen.
Während sich die einen mit dem Schweigen Jesus’ herumschlugen, versuchten Leute wie Johnny gleich die Probleme der gesamten Menschheit zu lösen. Dieser stand auf einer kleinen Bühne und leitete von einem Rednerpult aus die hitzige Diskussion.
»Was soll das heißen, die letzte Demo war nicht erfolgreich?«
»Mann, Johnny, die Presse wusste nicht mal, ob wir für oder gegen die Revolution sind«, schrie jemand aus der Menge.
»Die Presse. Die haben doch sowieso keine Ahnung. Es waren tausende Menschen da, das ist es, was zählt, nicht was irgendwelche Idioten in der Zeitung schreiben. Wir dürfen jetzt nur nicht aufgeben!«
Die Stimmung im Raum ließ jedoch die notwendige Euphorie vermissen.
»Vielleicht sollten wir uns langsam mal einen anderen Werbeslogan einfallen lassen«, versuchte Johnny die Diskussion wieder etwas ins Rollen zu bringen.
»Was hast du gegen Orwell?«, fragte eine blasse Schwarzhaarige.
»Ich hab’ nichts gegen Orwell! Aber überlegt doch mal, vielleicht sind Orwell, Huxley, Philip K. Dick und die ganzen anderen Verrückten schuld an der ganzen Misere.«
»Woran sollen die denn schuld sein? Die waren sich mit ihren Zukunftsprognosen doch nicht mal einig«, konterte sie.
»Nicht einig? Sie gehen alle von einer totalitären Kontrolle und Steuerung aus, in welchem Punkt sind sie sich bitte uneinig? In Wirklichkeit sind die Kausalzusammenhänge verdreht. Es ist nicht so geworden wie Orwell et al es geschrieben haben, sondern weil Orwell et al es geschrieben haben. Oder was glaubt ihr, warum wir seit den 90ern eine Fernsehsendung namens Big Brother haben? Wir werden schon seit Jahrzehnten darauf konditioniert, dass wir komplett überwacht und kontrolliert werden. Und anstatt was dagegen zu tun, fordern wir das auch noch, zu unserer eigenen Sicherheit.« Johnny war ganz in seinem Element. Etliche Male hatte er Diskussionen wie diese schon geführt und noch immer halfen sie ihm, sich überlegen und gut zu fühlen.
»Aber wir machen ja was dagegen!« Sie wusste, dass Johnny Widerspruch hasste, aber wofür war eine Diskussion sonst da? »Die da draußen machen nichts und um die geht es doch! Uns wird so viel Angst gemacht, dass wir uns schon beim Aufwachen in die Hose scheißen und das den ganzen Tag lang, bis wir mit Hilfe von Schlaftabletten abends wieder selig einschlummern können. Mit Angst machen sie uns gefügig!«
»Mit Essen und Konsum machen sie uns gefügig!«, mischte sich ein