3 a.m.. Edie Calie
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Читать онлайн книгу 3 a.m. - Edie Calie страница 6
Dieser Diskussionsverlauf war nichts Neues. Früher oder später landeten sie immer bei der Gutheißung von gesundem, veganen Essen und der Verteufelung von allem anderen. Das Thema kam so sicher wie das Amen in der Kirche, (Nicht-)Essen war ihre Religion.
»Und wer profitiert davon? Die da oben! Im Umkreis von meiner Wohnung befinden sich 13 Burgerläden, 10 Pizzadienste und etliche andere Takeaways, aber kein einziger Bio-Supermarkt.«
»Allerdings«, stimmte sie ihm zu. »Sie machen uns zu Komplexhaufen, damit wir ihnen jeden Scheiß abkaufen, der uns angeblich besser fühlen lässt und wir weder Zeit noch Energie haben, ihr Handeln in Frage zu stellen. Vergesst die prophezeiten Drogen im Trinkwasser, der Scheiß, der im Essen schwimmt, ist viel schlimmer! Gesundes Essen aufzutreiben ist schwieriger, als an neue Brüste zu kommen.«
Johnny mochte die Art, mit der sie ‚Brüste‘ gesagt hatte. »Und was können wir, abgesehen von Demos, dagegen tun?«, fragte er direkt an sie gewandt.
»Chaos! Wir müssen das Chaos zu unserer Waffe machen und die muss so mächtig sein, dass all ihre Überwachungs- und Kontrollmechanismen versagen.«
»Chaos«, kritzelte Johnny auf einen Zettel, eine Idee, die er in Zukunft sicher klauen würde.
Verdammter Orwell, hätte er nicht weiterhin über Tiere schreiben können?
27 Jahre zuvor wären Paul harmlose Tiere auch lieber gewesen, aber er hatte es mit einer wildgewordenen Frau zu tun, die er hilflos zu besänftigen versuchte.
»Jetzt beruhig’ dich erstmal wieder und schlaf ’ nochmal eine Nacht drüber. Morgen können wir über alles in Ruhe bereden, aber mach’ nichts Unüberlegtes.«
»Ich bin ruhig, ruhiger als du! Aber wo zur Hölle hab’ ich die große Reisetasche hingeräumt?« Während sie aufgeschreckt durch die Wohnung lief, redete er weiter gebetsmühlenartig auf sie ein.
»Ich bin nicht gegen deinen Entschluss, aber so was muss doch gut überlegt und geplant werden. Ich will nicht, dass du am Ende wegen einer Kurzschlussreaktion alles bereust.«
»Ich will auch nicht, dass ich etwas bereue, deswegen muss ich auch hier weg. Verstehst du denn nicht? Das hier ist das Ende! Die Welt ist kurz davor unterzugehen, es ist jetzt oder nie.«
»Aber du kannst doch nicht wegen irgendeiner blöden Vorahnung Hals über Kopf abhauen und Matthias und mich zurücklassen!« Er hoffte, das Erwähnen ihres Sohnes würde sie wieder zur Vernunft bringen.
»Glaubst du ernsthaft, ich hab’ Lust den Weltuntergang mit dir und einem schreienden Baby, das ich nie wollte, zu verbringen? Wir sind hier nicht bei Melancholia, wo das Ende der Welt Händchen haltend auf einer Wiese erwartet wird. Es sterben sowieso alle und die kurze Zeit, die uns noch bleibt, will ich frei und glücklich sein und mit einem Lächeln auf den Lippen zugrunde gehen. Ich werde mich mit Burgern und Schokolade vollstopfen, mit jedem ficken, der mich nimmt und an all die Orte reisen, die ich schon immer sehen wollte.«
Paul blickte nervös in den Spiegel, während er auf seinen Lippen herumkaute. Verdammt, selbst im Spiegel war die Optik verzerrt.
Während das Speed Sarah offensichtlich eine Offenbarung geschenkt hatte, sorgte Sarah für seinen Horrortrip. Seine Pupillen waren übernatürlich groß und das Gift in seinem Körper ließ ihn nicht in Ruhe nachdenken, während Sarah unaufhaltsam Sachen zusammenraffte. Matthias fing im Nebenzimmer an lauthals zu schreien, was genauso zur langsam aggressiv werdenden Stimmung beitrug, wie die Hip Hop Musik, die aus der Nachbarwohnung drang.
»Sarah, Liebling. Schau’ mich an! Ich bin es, Paul.« Er hatte Schwierigkeiten seine Beherrschung zu bewahren und liebevoll zu klingen. »Das bist nicht du, das ist das bekackte Speed. Matthias und ich lieben dich, wir sind doch eine Familie. Wenn du mehr reisen willst, können wir doch darüber reden.«
Scheinbar drangen seine Worte zu ihr durch, denn mitten in ihrem Wahn blieb sie plötzlich stehen und starrte ihn an. Doch anstatt sich zu besinnen, packte sie ihn an den Schultern und schüttelte ihn heftig, während sie schrie: »Die beschissene Welt geht unter! Es gibt keine Moral mehr! Du kannst machen, was du willst, verstehst du? Und genau das mache ich. Ich hab’ keine Lust mehr allen etwas vorzuspielen, also hör’ auf mit diesem Scheiß von wegen Liebe und Familie. Jetzt zähl’ nur noch ich!«
Wie vom Blitz getroffen fiel sie plötzlich um und schlug sich den Kopf an der Tischkante auf. Sie war bereits tot, als sie den Boden erreichte. Die Obduktion würde später ‚Herzstillstand auf Grund übermäßiger Ausschüttung von Glückshormonen‘ als Todesursache feststellen.
7 Monate, 8 Tage, 4 Stunden, 1 Minute und 3 Sekunden später entfuhr Paul neben einem Furz auch ein ehrfurchtsvolles: »Sie hatte recht.«
Recht hatte auch Robbie mit seiner Forderung. Der Pinguin, der sich für eine Robbe hielt und deswegen auf diesen Namen hörte, beschwerte sich zum wiederholten Mal, dass er/sie keine Hauptrolle in der Geschichte spielte. Doch was taugen die Identitäts- und Genderkrisen eines Stofftieres, das abwechselnd in einem Schlafzimmer und einer Handtasche lebt, schon als Hauptthema?
Hätte er sich für Jesus gehalten, hätte die Sache anders ausgesehen, doch diese Rolle war bereits an einen Menschen vergeben.
»Jedes Kunstwerk ist eine Zumutung«, stand auf der Treppe und fiel ihr an diesem Morgen zum ersten Mal bewusst auf.
»Ja, weil das meiste langweilig, unnötig und schlecht ist, was hier als ‚Kunst‘ fabriziert wird«, dachte sie, während sie die Stufen in Richtung Hörsaal 5 erklomm. Sie konnte Kunst nicht ausstehen, weshalb sie die Wahl ihrer Studienrichtung als äußert originell empfand.
»He! Was für einen Mist schreibst du denn da? Ich hasse Kunst nicht, mir gefällt nur 99 % von dem nicht, was als Kunst bezeichnet wird.« Sie störte sich am Kunstbegriff.
»Eher an der Gesellschaft, die allen einredet, kreativ und künstlerisch sein zu müssen.«
Bitte, meinetwegen auch das. Eigentlich ist es ja auch egal, es interessiert sich sowieso niemand für deine Meinung über Kunst.
»Aha, und warum schreibst du es dann? Das heißt ja auch, dass sich niemand für deine Geschichte interessiert.«
Stille. Tick tack, tick tack, tick –
»Hallo? Hier ist deine Romanfigur und will mit dir reden!«
Ich aber nicht mit dir. Hier kann doch nicht jeder schizoide Anwandlungen haben, glaub mir, meine psychische Verfassung ist fraglich genug.
»Blödsinn, so schlimm ist es doch gar nicht. Aber ich versteh’ schon, du willst halt auch wichtig und was Besonderes sein.«
Whatever. Und jetzt?
»Jetzt muss die Geschichte weitergehen, aber nicht mit mir. Ich komm’ erst später wieder vor.«
Und mit wem dann?
»Mit Johnny?«
Nein, Johnny ist ein Hipster-Trottel, dem das Müsli aus den Ohren rauskommt. Unter uns gesagt, ich kann ihn nicht ausstehen.
»Du hast ihn erfunden!«
Nein, hab’ ich nicht. Etliche von denen laufen in Echt da draußen rum, die Stadt ist voll von denen. Außerdem muss ich nicht jeden