Der neue König von Mallorca. Jörg Mehrwald

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Der neue König von Mallorca - Jörg Mehrwald

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Bus raste mit quietschenden Reifen in eine doppelte S-Kurve. Ein wildes Durcheinander und Poltern hinter den beiden Dienstreisenden von der Schippchen-Brauerei ließ darauf schließen, dass Personen, Gepäckstücke und Flaschen ihre Positionen von einem Moment zum anderen ruckartig veränderten. Miguel und seinen vorausfahrenden Kollegen berührte das anscheinend überhaupt nicht. Hilfeschreie und gestammeltes Touristenspanisch waren die letzten gesprochenen Reaktionen aus dem Passagierraum, die ihren Fahrer motivierten, die Kurven noch rasanter zu nehmen und auf gerader Strecke ein paar Überholmanöver zusätzlich zu riskieren.

      Bei den Gästen meldete sich nun der im Flugzeug konsumierte Alkohol. Es begann ein hektisches Fingern nach den griffbereit liegenden Kotztüten. Als endlich die ersten röhrenden Laute zu hören waren, grinste Miguel siegessicher. Er hatte die Wette in seinen Augen offensichtlich schon so gut wie gewonnen.

      Müller holte tief Luft. »Ernst, was ist das für eine Scheiße hier?«

      »Kein Grund, ordinär zu werden, mein Lieber. Hahaha!«

      Stefest lachte aus voller Kehle, während der Rest der Fahrgäste versuchte, seinen Mageninhalt in die viel zu kleinen Papiertüten zu kanalisieren; mindestens die Hälfte der Reisenden scheiterten, weil sie in ihrer Panik fieberhaft an den Tütenöffnungen herumrissen, ohne dass sich die aneinanderklebenden Enden auch nur einen Millimeter bewegten. Stefest überlegte, was er an Miguels Stelle getan hätte, um die Wette zu gewinnen: Genau! Die Kotztüten zukleben!

      »Wie weit ist es noch?«, fragte Markus entnervt. Er wollte hier einfach nur noch raus.

      »Lange kann’s nicht mehr dauern. In dem Tempo brauchen wir höchstens eine Viertelstunde bis Arenal. Wenn es dich beruhigt, Markus, so was habe ich auch noch nicht erlebt«, antwortete Stefest belustigt, der inzwischen ein neues Beobachtungsobjekt ausfindig gemacht hatte. Auch Müller schaute wie gebannt auf den Touristen, der mit gespielter Ruhe und aschfahlem Gesicht versuchte, das kleine Schiebefenster am oberen Teil des Busfensters – eigentlich mehr ein Luftloch – zu öffnen, um seine Fracht elegant an die frische Luft zu befördern. Er formte seine Lippen zu einem Kussmündchen, so dass ihm das eigentlich Unmögliche tatsächlich gelang. Stefest hätte fast Beifall geklatscht.

      Im hinteren Teil des Busses allerdings überwältigte diese Meisterleistung eine bislang noch recht standfeste Frau; denn der Fahrtwind klatschte Kussmündchens geballte Ladung ans Fenster, direkt vor den Augen der Standfesten, die nun auch nicht mehr an sich halten konnte. Markus Müller hätte gern die Augen geschlossen, aber die Faszination des Schauspiels war zu groß.

      Lichter … ein Hotel … der Bus bremst … Markus dachte nur noch in Fetzen.

      Als der Bus schließlich vor der Bausünde aus den 1970er Jahren, die sich »Hotel Kakadu« nannte, zum Stehen kam, war Dr. Stefests Sportsgeist geweckt. Er wollte unbedingt wissen, ob Miguel als Sieger aus dem Rennen hervorgegangen war. Er musste sich allerdings beeilen, denn der Busfahrer hatte sich schnell verdrückt, um dem Zorn der Passagiere zu entgehen. Die wiederum waren jedoch derart entkräftet und von der Schwerkraft zerzaust, dass ihnen als einzige Bedrohung halbherzige Flüche über die Lippen kamen. Alle schworen sich insgeheim, auf dem Rückweg ein Taxi zum Flughafen zu nehmen. Jetzt wollten sie sich nur schnell erholen, literweise Sangria würde, nach der Logik der Hobby-Trinker, den etwas verstimmten Magen schnell wieder in Stimmung bringen. Schon im Foyer des Hotels stimmte der Kegelclub jedoch, zwar noch etwas gedämpft, aber doch unüberhörbar Schlachtrufe an: »Jetzt geht’s lohoos! Jetzt geht’s lohooos!«

      Stefest eilte Miguel nach und bekam gerade noch mit, wie der Portier lachend als Schiedsrichter fungierte. Er hatte die Busse inspiziert und erklärte nun Miguel zum eindeutigen Sieger.

      Während Markus Müller kurz darauf seinen Koffer an der Rezeption hinter seinem Chef abstellte, der seltsam beschäftigt tat, schwante ihm, dass dieses Schlitzohr Dr. Ernst Stefest mehr wusste, als er zugab, und offensichtlich sehr gut Spanisch verstand.

      »Mich würde mal die ganze Geschichte interessieren«, hakte Markus nach, während beide ihre Zimmerschlüssel in Empfang nahmen. »Später. Das wäre jetzt zu lang«, ließ Stefest Markus abblitzen, »machen wir uns erst mal frisch. Neben Markus rummsten laut zwei Koffer zu Boden.

      »Diese beiden Kamikaze-Fahrer sollte man zur Formel 1 schicken!«

      Tatsächlich, der Rotschopf sprach zu ihm. Markus grinste verlegen, als er registrierte, zu welchem Reisegast diese Stimme gehörte.

      »Dann müssten die aber nach jeder Runde die zerfetzten Strohballen auswechseln«, antwortete Markus, dem auf die Schnelle nichts Besseres einfiel. Aber die Frau lachte, noch dazu herzlich.

      »Blauvogel, Nina Blauvogel.« Sie streckte ihm die Hand entgegen.

      »Freut mich, Markus Müller«, sagte Markus und hielt die Hand des Rotschopfs etwas zu lange fest.

      Sie lächelte ihn an, griff nach ihren Koffern und verabschiedete sich: »Wir sehen uns, okay?«

      »Ganz bestimmt«, versuchte Markus möglichst cool zu wirken. Was ihm natürlich nicht gelang. Die Blauvogel verschwand im Lift.

      *

      Eine knappe halbe Stunde später klopfte es an seiner Zimmertür. Markus erhob sich vom Bett, auf dem er erst vor wenigen Minuten eingenickt sein musste. Dr. Stefest sah seine verschlafenen Augen, als er näher trat.

      »Jetzt nur nicht den Fehler machen und länger als fünf Minuten schlafen, mein Lieber! Kurzschlaf bringt Kraft, nur Kurzschlaf«, dozierte er und testete mit einer Hand aus, ob Müllers Bett federte. Markus sah ihm interessiert dabei zu.

      »Mein Vorteil Ihnen … entschuldige, dir gegenüber ist mein Bett. Das quietscht so penetrant, dass ich wohl Mühe haben werde, überhaupt einen Kurzschlaf hinzukriegen«, erklärte der Chef sein Tun und machte sich auf den Weg zur Dusche, um die sanitären Einrichtungen zu begutachten.

      »Die Dusche ist ein Rinnsal«, kommentierte Markus, immer noch ein wenig träge, die Untersuchungen seines Chefs, »beim Duschen eben bin ich mir vorgekommen wie der Schlangenmensch von Kalkutta.«

      Dr. Stefest verließ mit ernster Miene das Bad und setzte noch einen drauf: »Aus meiner Dusche kommt nicht nur wenig Wasser, sondern es kommt auch noch abwechselnd aus dem linken oder dem rechten Teil des Brausekopfes. Das muss man sich mal vorstellen! Übrigens, Markus, unsere Zimmer sind laut Hotelprospekt mit Fernsehanschluss.«

      Markus schaute auf die Anschlussdose, die völlig kabellos in die Wand eingefügt war. »Na ja, von einem Fernsehgerät war ja auch nicht die Rede«, bemerkte er trocken.

      *

      Wenig später verließen Müller und Stefest gemeinsam das Hotel »Kakadu«. Die Strandpromenade war belebt wie am helllichten Tag. Auf der einen Seite rauschte das Meer, und zwischen den aufgestapelten Sonnenliegen und den Bastsonnenschirmen verloren sich noch ein paar Verliebte und Betrunkene. Die andere Seite der Promenade war hell erleuchtet von Läden, die bis Mitternacht geöffnet hatten, und natürlich von einer endlosen Reihe von Kneipen und Restaurants unterschiedlicher Aufmachung, die von einfachen Holzstehtischen bis zu gediegenen Sitzgelegenheiten mit rotem Teppich reichten.

      Befand sich in den Kneipen der Alkohol- und Stimmungspegel um diese Zeit bereits auf höchstem Niveau, so wurden die gediegeneren Restaurants von Gästen besucht, die noch Gespräche miteinander führen konnten.

      Es war kurz vor 22 Uhr, die Gewitterwolken hatten sich verzogen, der Himmel war sternenklar. Eine lauwarme, aber erfrischende Brise zog beiden Dienstreisenden in die Nasen. Die Uhren tickten hier

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