Katzmann und das verschwundene Kind. Franziska Steinhauer

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Katzmann und das verschwundene Kind - Franziska Steinhauer

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dachte er ein wenig neidisch nach einem letzten Blick die Hauptstraße hinunter und setzte seinen Weg über die Georgenstraße fort.

      Schnell hatte er das Haus in der Wolfsgasse erreicht, das sein Großvater ihm vor wenigen Jahren vererbt hatte, stellte sein Gepäck ab und machte auf dem Absatz kehrt. Er würde sofort zu seinen Eltern gehen. Die Melanchthon Straße war schließlich nur ein paar Minuten entfernt. Er schmunzelte amüsiert über sich selbst. Da bemühe ich mich um Unabhängigkeit, doch kaum bekomme ich einen neuen Vertrag, schon habe ich nichts Eiligeres zu tun, als ihn den Eltern zu zeigen! Der Sohn möchte noch immer gelobt werden, es ist doch nicht zu glauben, kicherte er in sich hinein, als er vor der Tür des Elternhauses stand, einem großen, hellen Gebäude mit drei Etagen, das der Vater gekauft hatte, als er nach Großvaters Tod die Leitung der Tabakwarenfabrik übernommen hatte. Es ist wie früher mit dem Zeugnis: Du buhlst noch immer um ihre Anerkennung. Konrad, Konrad, vielleicht solltest du üben, erwachsen zu sein!

      «Konrad, herzlichen Glückwunsch!», jubelte die Mutter und schloss ihren Sohn fest in die Arme, während der Vater den Arbeitsvertrag gründlich studierte, um darin verborgene Fallstricke zu entdecken.

      «Dresdenkorrespondent - was für ein Wort! Ich bin ja so stolz auf dich!»

      «Der Leipziger Volkszeitung », setzte sein Vater bitter hinzu.

      «Wenigstens muss ich sie nicht auch noch lesen!»

      «Ach Wilhelm, nun gib schon zu, dass du dich freust!» Der Vater schwieg.

      «Aber Konrad, nun wirst du doch sicher daran denken, endlich eine Familie zu gründen?», schaffte Frau Katzmann mühelos die Überleitung zu ihrem Lieblingsthema. «Sieh mal, es ist ja nicht so, dass du eine Frau nicht gut ernähren könntest - natürlich mal abgesehen von diesen lästigen Versorgungsengpässen dieser Tage. Das wird nicht ewig so bleiben.»

      «Mir ist die Richtige noch nicht begegnet», behauptete der Sohn.

      «Es ist nicht gut für einen Mann, wenn er allein lebt! Das entspricht nicht seiner Natur und führt nicht selten dazu, dass sich Krankheiten einstellen», mahnte die Mutter halsstarrig.

      «Syphilis?»

      «Konrad!», donnerte die Stimme Wilhelms durch den Raum.

      «Nicht in meinem Haus, und nicht gegenüber deiner Mutter!»

      «Also wirklich! Müsst ihr denn immerzu in diesem Ton miteinander umgehen? Ich glaube, das Beste wird sein, ich sorge für eine gute Tasse echten Kaffee und ein bisschen Gebäck.» Damit erhob sich die ungewöhnlich große Frau, ordnete ihren seidigschimmernden Rock und stolzierte erhobenen Hauptes zur Tür hinaus.

      Wilhelm Katzmann hievte seinen schweren Körper aus dem Plüsch des Sessels und trat hinter seinen Sohn.

      «Deine Mutter macht sich ernsthaft Sorgen um dich. Es ist nicht richtig, ihre Ängste ins Lächerliche zu ziehen! Du weißt sehr genau, dass sie es gern ordentlich hat. Und bei dir sieht sie das Fehlen einer weiblichen Hand. Schau dir nur deine Schuhe an! Lotte würde ihren Johannes niemals mit so verschmutzten Schuhen aus dem Haus gehen lassen. Auch die Kinder, immer akkurat. Deine Hose ist ungebügelt, die Schuhe und dein Sakko schmutzig - und die Krawatte passt nicht zum Hemd!»

      Konrad schluckte lange an seinem Ärger. Er legte großen Wert darauf, modisch gekleidet zu sein, wusste genau, dass seine Kombinationen exklusiv waren, aber eben nicht dem konservativen Geschmack des Vaters entsprachen. Der war eher von Lottes Mann begeistert, einem Streber, Langweiler, Besserwisser und Petzer, den Konrad schon zu Schulzeiten nicht hatte ausstehen können. Was seine Schwester an ihm fand, war ihm unbegreiflich.

      Unerwartet spürte er die Hand seines Vaters, der kein Freund körperlicher Nähe war, auf seiner Schulter. «Komm mit!», forderte Wilhelm Katzmann flüsternd.

      Sanfter Druck schob den frischgebackenen Dresdenkorrespondenten aus dem Sessel, die Treppe hinunter und zur Haustür hinaus. Schweigend überquerten sie den Hof, erreichten die Garage. «Mach mal das Tor auf!»

      Dort, in der Mitte des Raumes, stand ein seltsam buckliges Ding, verborgen unter einer großen grauen Plane. Überall schien es Beulen zu haben, größere und kleine. An der höchsten Stelle, etwa siebzig Zentimeter vom Boden, zeichneten sich Hörner ab.

      «Na, möchtest du nicht nachsehen?», fragte der Vater ungeduldig.

      In respektvollem Abstand umschlich der junge Mann das suspekte Objekt, betastete die Plane.

      «Deine Mutter und ich haben ehrlich gesagt schon länger mit deinem beruflichen Fortkommen gerechnet. Eigentlich hatte ich gehofft, man würde dir bei einer seriösen Zeitung einen Posten als verantwortlicher Redakteur anbieten, vielleicht für Politik. Aber nun ist es eben, wie es ist. Ausgerechnet bei diesem linken Revolverblatt - daran ist wohl im Moment nichts zu ändern, aber es ist und bleibt enttäuschend. Nun, von alldem einmal abgesehen, dachten wir, es könne nicht schaden, deine Mobilität zu verbessern. Man hat mir versichert, es sei zuverlässig und nützlich.»

      Konrad hörte die verletzenden Worte seines Vaters kaum. Nur bei dem Wort «nützlich» zuckte er kurz zusammen. Unter der Plane war demnach nichts zu erwarten, was ihm Freude machte, sondern ihm von Nutzen war. Typisch! So war sein Vater schon immer gewesen.

      «Gerade nach den schweren Zugunglücken in letzter Zeit ist deine Mutter stets in großer Sorge um deine Gesundheit. Vor sechs Wochen erst, direkt in Neustadt, gab es wieder einen schrecklichen Unfall. Der D 13 Leipzig—Dresden war auch darin verwickelt. Wie entsetzlich, von 18 Toten und 118 Verletzten lesen zu müssen! Da ist es nur ein geringer Trost, dass man die Verantwortlichen sicher zur Rechenschaft ziehen wird. Eine Farbuntüchtigkeit! Unglaublich, dass das niemandem aufgefallen war! Deine Mutter behauptet, man habe die Erschütterung bis hierher spüren können, wie ein Erdbeben. Und erst der Lärm! Letzte Nacht gab es schon wieder ein Unglück, in Briesen. Ein Auffahrunfall mit 19 Toten und etwa 50 Verletzten! Deine Mutter ist davon überzeugt, dass Zugfahren sehr gefährlich für ihren einzigen Sohn ist.»

      Das war ein ungewöhnlich langer Bericht. Wilhelm Katzmann empfand eine heimliche Faszination für die Eisenbahn. Unglücke trafen ihn daher besonders.

      Konrad hörte nur mit einem Ohr zu. War es möglich? Dieser Geruch nach Öl und Gummi nährte die irrsinnige Hoffnung, unter dieser Abdeckung könne sich die Erfüllung seines Traumes verbergen.

      Mit einem Mal rumpelte sein Herz aufgeregt gegen die Rippen. Das konnte nicht sein! Oder doch?

      Konrad ging in die Hocke und hob langsam die Plane an. Reifen! Ihm stockte der Atem. Langsam zog er die Abdeckung herunter.

      «Eine NSU 1000!», keuchte er dann. «Mit Beiwagen! Selbst zusammengeschweißt - da hat jemand viel Arbeit und Zeit investiert.»

      Auf den ersten Blick verliebt, strich er sanft mit dem Zeigefinger über die Lampe. «Mein Gott, Vater! Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.»

      «Ein einfaches Danke würde sicher genügen. Und vielleicht richtest du es an deine Mutter. Es war ihre Idee.»

      «Danke!»

      «Sie ist gebraucht, wie du siehst. Es gibt im Moment nicht viele Menschen, die privat solch ein Ding besitzen. Aber man versicherte uns, mit ein bisschen Geschick sei die Reparatur kein Problem.»

      Konrad Katzmanns Augen wanderten prüfend über das Wunder. Sicher, ein paar Lackschäden hier und da, aber nicht eine kleine Beule.

      «Diese

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