Katzmann und das verschwundene Kind. Franziska Steinhauer

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Katzmann und das verschwundene Kind - Franziska Steinhauer

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als ihre Arbeit zu gefährden. Wie kann man nur so entsetzlich dämlich sein?» Erneut nahm sie Schwung.

      Waidwund sah er auf die zierliche Gestalt hinunter und dachte darüber nach, was wohl geschehen würde, wenn er sie oder den Stiel einfach packte. Seine Pranken, riesig und muskulös, konnten das Leben aus ihr herausquetschen wie das Mark aus einer reifen Banane. Für einen fast seligen Moment genoss er die Vorstellung, wie sie schreiend in seinen Armen zappelte, um Gnade bettelte, die er ihr nicht gewähren würde.

      Doch das würde er sich natürlich nie trauen.

      In der Kneipe war es überraschend leer. Der Geruch von gebratenen Zwiebeln hing in der Luft und vermischte sich mit den graublauen Rauchschwaden über dem Tresen. Bratkartoffeln mit Zwiebeln war das einzige Gericht, das noch auf der Karte stand. Die anderen hatte der Wirt mit einem schwarzen Stift durchgestrichen.

      «Hm!» Fritz nahm einen tiefen Zug und starrte verzückt auf sein Glas, an dem das Kondenswasser tausende Perlen bildete.

      «Wunderbar! Konrad, ich habe vielleicht eine Geschichte für dich.»

      «Für die Zeitung?»

      «Möglich. Ich sage das nicht gern, doch im Moment sieht es nicht so aus, als käme die Polizei allein weiter. Und ich weiß ja, dass du Rätsel magst.»

      «Dann raus mit der Sprache. Immerhin bin ich jetzt Dresdenkorrespondent der Leipziger Volkszeitung!»

      «Oh! Gratuliere, mein Freund! Dann bist du also genau die richtige Adresse für mich.» Er nahm sein Glas vom Tresen und zog sich mit Konrad in eine ruhige Ecke zurück. «Also: Vor etwas mehr als einer Woche kam eine völlig aufgelöste Mutter zu mir ins Bureau. Es war kurz vor Dienstschluss, und sie berichtete mir, ihre Tochter Trude sei nach der Schule nicht nach Hause gekommen. Das Mädchen ist zehn Jahre alt, zart, blond mit grauen Augen. Bei der besten Freundin hatte die Mutter schon nachgefragt und dabei erfahren, Trude sei den ganzen Tag nicht in der Schule gewesen.»

      «Am Morgen hatte sie keinen kranken Eindruck gemacht?»

      «Nein.» Fritz nahm einen kleineren Schluck. «Im Gegenteil, sie war fröhlich und freute sich auf den Unterricht. Die Mutter hatte keinen Anlass zu vermuten, Trude habe vor, der Schule fernzubleiben. Nach ihrem Verschwinden befragten wir natürlich die Nachbarn. Die hatten das Mädchen beim Verlassen des Hauses gesehen, mit dem Ranzen auf dem Rücken und zur üblichen Zeit.»

      «In der Schule ist sie nie angekommen? Dafür mag es viele Gründe geben. Einen Anfall von Abenteuerlust zum Beispiel. Oder sie hatte Streit mit der Mutter, will sie nun bestrafen und ist in einen Zug gestiegen und einfach losgefahren», zählte Konrad auf. «Natürlich könnte ihr auch etwas Schreckliches zugestoßen sein.»

      «Wir haben den ganzen Schulweg abgesucht, vom Vogesenweg bis zum Tor der St.-Magdalenen-Schule in der Lortzingstraße. Hinter jeden Busch haben wir geguckt, viele Keller durchsucht, auf Hinterhöfen rumgestöbert. Keine Spur. Niemand hat sie gesehen, weder allein noch in Begleitung», seufzte Ganter, der an die Szene dachte, die ihm die Mutter am Nachmittag gemacht hatte.

      «Und in der Nähe der Schule hat sie auch keiner gesehen?»

      «Da haben wir großes Glück gehabt. Es gibt eine Zeugin, die gegenüber der Schule wohnt und jeden Morgen die Ankunft der Kinder beobachtet. Und diese alte Dame, Frau Janker, hat versichert, an diesem Morgen die kleine Trude nicht gesehen zu haben.»

      «Hm. Was sagte die Mutter bei der Befragung? Es gab keinen Streit?»

      «Nein. Trude ist ein besonders braves Mädchen. Auch die Nachbarn berichten von wenig Auseinandersetzungen.» Fritz warf Konrad einen Blick zu, in dem Katzmann die leise Verzweiflung erkennen konnte, die den anderen erfasst hatte. «Wir wissen, dass hinter einer anständigen, bürgerlichen Fassade das blanke Grauen herrschen kann. Ich bin Kommissar! Du glaubst nicht, was ich schon alles gesehen habe! Aber bei diesen Leuten scheint es sich tatsächlich um eine nette Familie zu handeln.» Er verstummte, holte tief Luft und erklärte: «Es kommt gar nicht so selten vor, dass Kinder weglaufen. In den Kriegsjahren ist die Situation in manchen Familien unerträglich geworden. Es gibt wenig zu essen, der Vater ist an der Front, die Mutter von Sorgen zerfressen, da bleibt das Kind manchmal auf der Strecke. Meist sind es Jungs, selten Mädchen. Und es handelt sich oft um ausgesprochen schwierige, trotzige und widerspenstige Kinder. Aber hier liegt der Fall anders.»

      «Gibt es auch einen Vater?», fragte Konrad unbeirrt weiter. Er war Reporter und wusste um die geschickt getarnten Grausamkeiten, die in netten Familien mitunter üblich waren. Er zog einen kleinen Notizblock aus der Gesäßtasche und grinste. «Immer noch feucht! Dabei steckte der im Mantel.»

      «Der Vater arbeitete in Berlin. Ich weiß nicht, woran er getüftelt hat, aber es muss bei irgendeiner Versuchsreihe zu einer heftigen Explosion gekommen sein. Er verlor einen Arm, ein Auge und zieht das linke Bein nach. Seine Frau hat eine Stelle als Schreibkraft angenommen, damit die Familie finanziell über die Runden kommt.»

      «Dann war die Kleine nicht viel allein. Der Vater konnte ja sicher bei den Hausaufgaben helfen, und vielleicht spielten sie den Rest des Nachmittags ‹Mensch ärgere dich nicht› oder Canasta. Ein behütetes Leben demnach.»

      Ganter begann rumzudrucksen. «So ganz stimmt das nicht. Der Vater ist natürlich nicht den Nachmittag über zu Hause. Er versucht, bei seiner alten Firma bleiben zu können, vielleicht als Berater oder Entwickler. Selbst mitarbeiten kann er nicht mehr, die Behinderungen schränken ihn zu stark ein.»

      «Er ist demnach in der Rüstungsindustrie beschäftigt. Fritz, mach nicht immer solch ein Geheimnis aus deinen Informationen! Wenn ich dir helfen soll, musst du mir schon vertrauen», beschwerte sich Konrad. «Wie heißt die Familie eigentlich?»

      «Muss ich dir das sagen?»

      «Aber ja!»

      «Bisher haben wir den Namen nur im direkten Umfeld der Familie mitgeteilt, die wussten ja ohnehin von Trudes Verschwinden. Wenn du den Namen in der Zeitung nennst, machst du nur allerhand Gesindel auf den Fall aufmerksam. Stell dir nur vor, einer von denen findet die Kleine und verschleppt sie tatsächlich, um Lösegeld von der Familie zu erpressen!» Fritz’ Gesicht schien plötzlich nur noch aus Sorgenfalten zu bestehen.

      «Fritz!»

      «Ist ja schon gut! Die Familie heißt Winterstein, und im Moment geht es ihr finanziell nicht gerade rosig. Frau Winterstein möchte nicht, dass alle Welt erfährt, dass sie nun arbeiten muss, um das Einkommen zu sichern. Wenn jetzt eine Forderung käme, könnten sie sie nicht bedienen.»

      «Es geht also auch darum, das Ansehen nicht zu beschädigen. Ich verstehe schon.»

      «Auch», räumte Ganter zerknirscht ein. «Aber stell dir nur vor, wie entsetzlich das wäre, das eigene Kind nicht auslösen zu können, weil das Geld nicht reicht!»

      Katzmann verstand das sehr gut. Fände man dann die Leiche des Kindes, würde die Familie in eine tiefe Krise stürzen, sie könnte sich das nie verzeihen. Doch der Reporter in ihm rebellierte. «Und was erwartest du jetzt konkret von mir?», fragte er ruppiger als geplant. «Einen Artikel ohne Namen? Das lehnt Leistner, mein Redakteur in Leipzig, glatt ab. Sowas schadet meinem Ruf!»

      «Ich dachte eher an einen allgemeinen Artikel über ein verschwundenes Mädchen», flüsterte Fritz, der einem Neuankömmling forschende Blicke zuwarf. «Ich dachte an einen einmaligen Artikel zu der Angelegenheit, vielleicht melden sich dann Leute bei uns, die das Mädchen gesehen haben. Aber im Wesentlichen ging es mir um deine investigativen Fähigkeiten»,

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