Katzmann und das verschwundene Kind. Franziska Steinhauer
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Konrad tat so, als habe er diesen boshaften Kommentar nicht gehört. «Ich habe zwar auch ein bisschen Ahnung, aber es ist besser, wenn Klaus sich den Motor ansieht. Der kennt sich mit so was aus», sagte er und versuchte, das Motorrad zu starten. Husten, Qualm, sonst nichts.
Nach dem Kaffee verabschiedete er sich eilig. Er würde noch heute bei Klaus vorbeigehen und ihn fragen, ob er sich die NSU ansehen könne. Beschwingt lief er mit raumgreifenden Schritten in Richtung Elbufer.
Die Augustusbrücke lag am günstigsten. Klaus, der seine Eltern früh verloren hatte, wohnte mit seinen Großeltern in der Adlergasse am Wettiner Bahnhof. Rührend kümmerte er sich um die beiden alten Leute, die ihn damals ohne Zögern aufgenommen, ihn erzogen und für eine gute Ausbildung gesorgt hatten. Ohne sie, das war dem jungen Mechaniker sehr bewusst, hätte er im Leben nicht Fuß fassen können. Klaus liebte Motoren, konnte beinahe alles reparieren. Seine kleine Werkstatt in Übigau war ein echter Geheimtipp.
Ein klebriger dunkler Nebel kroch schon die Auen hoch, Katzmann konnte die anderen Passanten nur noch schemenhaft erkennen. Nicht einmal mehr das Relief am Altstädter Landpfeiler, das angeblich den Baumeister der ersten steinernen Elbbrücke in Dresden, Mathaeus Focius, abbildete, war zu sehen. Es zeigte einen Mann in seltsam verkrampfter Haltung, und böse Zungen behaupteten hartnäckig, es sei entstanden, um daran zu erinnern, wie sehr der Baumeister vom Durchfall geplagt wurde, als er erkannte, er habe die Eisbrecher stromabwärts statt stromaufwärts angebracht. Aber das war natürlich nur ein Gerücht. Doch lustvoll wurde es von einer Generation zur nächsten weitergegeben.
Plötzlich hörte Katzmann ein lautes Platschen. Erschrocken fuhr der junge Mann herum. Mit zu Schlitzen verengten Augen starrte er in die Finsternis, doch sosehr er sich auch anstrengte, er konnte nicht mehr als einen unförmigen Schatten erkennen, der sich hastig entfernte. Was mochte der Kerl da über die Brüstung geschleudert haben?
Katzmann beschloss, das herauszufinden, und lief eilig in Richtung Ufer. Vielleicht konnte er versuchen, es aus dem Wasser der Elbe zu ziehen. In Gedanken formte sich schon eine Geschichte über Verbrechen zu Kriegszeiten, Verstrickungen mit skrupellosen Schieberbanden.
Noch nicht einmal am Ende der Brücke angekommen, vernahm er leise Hilfeschreie, die aus dem Bereich unter der Brücke zu kommen schienen. Die Stimme einer Frau, direkt aus dem Fluss …
Er war Zeuge eines Mordversuchs geworden! Und er würde nicht einmal den Täter beschreiben können! Im Rennen schlüpfte er schon aus Mantel und Schal, warf beide zusammen mit dem Hut ans Ufer, riss sich die Schuhe von den Füßen. «Halten Sie durch! Ich bin gleich bei Ihnen!»
Wie lange konnte ein Mensch in diesem eisigen Wasser überleben?
«Hier», hörte er schwach. «Hier bin ich!»
«Noch sehe ich Sie nicht!» Entschlossen warf Katzmann sich ins Wasser, schob seinen Körper, der mit heftigem Schmerz gegen diese Zumutung protestierte, tiefer hinein.
«Ich kann nicht schwimmen!», wehte eine neue erschreckende Information zu ihm hinüber.
«Strampeln Sie kräftig! Nicht nachlassen!»
Endlich machte er eine Bewegung vor sich aus, hielt energisch darauf zu. «Ich kann Sie sehen! Sofort bin ich da!»
Die Kälte nahm ihm fast den Atem. Der Puls raste, seine Füße und Hände spürte er kaum noch. «Sehen Sie mich?»
«Ja», antwortete die Stimme unsicher. Ein Kind!
Katzmanns Zorn beflügelte seine Bemühungen. Dieser Mörder hatte ein Kind in der Elbe ertränken wollen! Wahrscheinlich einen «nutzlosen Esser», ein «lästiges Übel»! Na, der würde sich wundern: Ab morgen suchte mit Sicherheit ganz Dresden nach ihm!
Seine Kleidung, die er wegen der Kälte in mehreren Schichten übereinander trug, sog sich zunehmend voll Wasser und behinderte das Vorankommen. Arme und Beine trotzen dem Kälteangriff kaum noch. Seine Lungen brannten. Katzmann keuchte.
«Streck deine Hand in meine Richtung aus!», stieß er mühsam hervor. Und tatsächlich - eine leichte Berührung. Er hatte es geschafft. Eisern umschloss er die Finger des Kindes und zog es zu sich heran.
«Hör zu, du musst ein bisschen mithelfen, ja? Dann schaffen wir es auch wieder zurück», erklärte er rau und bemerkte im selben Augenblick, dass die Kleine mit dem anderen Arm etwas aus dem Wasser stemmte.
«Was ist das?»
«Keine Ahnung. Das hat … der Mann … ins Wasser geworfen. Als es fiel, weinte es.» Das Mädchen zitterte am ganzen Körper, sprach abgehackt.
«Ich rette also eine Retterin.»
«Vielleicht ist es ein Baby», flüsterte die Kleine, und Katzmann mobilisierte alle Reserven. Mit einem letzten Schwung schob er das Kind, den Sack und sich ans Ufer.
Erschöpft rang er nach Luft, hustete, versuchte einzuatmen, hustete wieder. Er spürte die Hand des Mädchens, die in seiner bebte. «Zieh meinen Mantel über!», röchelte er und hörte von Ferne, dass sie ihm etwas erklärte.
«Meine Tante hat das auch. Sie kennt einen Trick. Leg dich auf den Rücken.»
Katzmann rollte sich herum.
«Augen zu! Versuche, nicht mehr zu husten, das macht es nur schlimmer. So, nun musst du durch die Nase atmen! Ganz ruhig und gleichmäßig. Bei jedem Mal den Atem für ein paar Sekunden anhalten, dann von vorn.»
Aus dem Sack war leises Fiepen zu hören.
Katzmann spürte tatsächlich, wie wieder Luft in seine Lungen strömte. Eine Erlösung!
«Weiter!», forderte das Mädchen, das sich inzwischen in Konrads Mantel gehüllt hatte und sich nun mit steifen Fingern darum bemühte, den Sack zu öffnen.
Katzmann atmete tief. Er drehte sich auf die Seite, rappelte sich auf und half ihr, den Knoten zu lösen. Dabei wurde er noch immer von Hustenattacken geschüttelt. Beherzt griff er in das Jutebündel und zerrte einen mutig strampelnden Welpen heraus.
«Meine Güte! Nun wird alles gut, mein Kleiner», versprach die Retterin und versuchte, den Winzling unter den Mantel zu schieben, womit der allerdings nicht einverstanden war.
Katzmann nahm ihr das Tier ab. «Schlüpf richtig rein!» Er stopfte sich den Hund, der nasser nicht mehr werden konnte, unter das Hemd, und der Kleine schien den Hautkontakt als beruhigend zu empfinden. Er hörte auf sich zu sträuben.
«Wie heißt du eigentlich?», fragte Katzmann dann.
«Katja. Und du?»
«Konrad. Das war ganz schön mutig von dir: Springst ins Wasser, obwohl du nicht schwimmen kannst, weil der Sack gelebt hat. Ehrlich gesagt, das imponiert mir.»
«Mein Vater sieht das sicher anders. Er wird sagen, es war dumm und leichtsinnig», räumte das Mädchen kleinlaut ein. Wahrscheinlich malte Katja sich schon die Schimpftirade aus, die sie zu Hause erwartete. «Aber du warst auch unglaublich mutig. Wir hätten alle drei in dem kalten Fluss sterben können.»
Schweigend erklommen sie das Ufer.
Katzmann schlüpfte ohne Socken in seine Schuhe und erklärte entschieden: