Beatrice – Rückkehr ins Buchland. Markus Walther
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Beatrice – Rückkehr ins Buchland - Markus Walther страница 6
Zaghaft hauchte das Mädchen: „Er ist nicht mein Cousin.“
Bea riss verblüfft die Augen auf. „Du kannst ja doch sprechen.“
Auf diese Feststellung bekam sie allerdings keine Antwort. „Vielleicht magst du mir verraten, wie du heißt, kleine Prinzessin.“
Das Mädchen schüttelte den Kopf.
Bea stemmte kurz die Hände in die Hüften, seufzte theatralisch, griff dann dem Kind unter die Arme und zog es aus dem Regal. Wie eine Spielzeugpuppe ließ die Kleine es geschehen. Die Arme und Beine baumelten dabei, als ob sie keine Knochen hätten. Erst als die Füßchen den Boden berührten, straffte sich der Körper wieder.
„Was hältst du davon, wenn ich uns auf den Schrecken ein Eis spendiere? Und dann bringe ich dich zum Kuriositätenladen. Du kannst ja nicht den ganzen Tag bei mir bleiben. Als Gegenleistung fände ich es ziemlich toll, wenn unser Ausflug nach hier unten unser kleines Geheimnis bliebe.“
Bea hatte es nicht anders erwartet: Der Rückweg ins Antiquariat verlief schweigend. Das namenlose kleine Etwas hatte ihr die Hand gereicht und folgte ihr widerstandslos durch das Wirrwarr der Gänge; immer entlang der Garnschnur. Dabei machte sich Bea nicht die Mühe die Schnur wieder aufzurollen. Sie hatte insgeheim beschlossen, zu einem späteren Zeitpunkt nochmals zur Pforte zurückzukehren. Dem Buchhalter, den sie dahinter antreffen könnte, wollte sie zwar – wenn es sich vermeiden ließ – nicht begegnen, aber es konnte nicht schaden, sich dort umzuschauen. Manchmal verraten Bücher Geheimnisse, die man gar nicht zu ergründen versucht.
Dann kam die Treppe und schließlich das Antiquariat. Im Vorbeigehen griff Bea nach ihrer Jacke und schon schlenderten sie und das Mädchen Richtung Eisdiele, nachdem das Schildchen „vorübergehend geschlossen“ in der Tür platziert worden war.
„Was magst du? Schokolade? Erdbeere? Vanille?“ Es gab nur ein unbestimmtes Schulterzucken von dem Mädchen. Also bestellte Bea einfach zwei Mal alle drei Sorten, drückte dem Kind das eine Hörnchen in die Hand und widmete sich dem anderen. Der freundliche Eisverkäufer bekam zu seinem Geld auch ein freundliches Lächeln. Dieser hätte vermutlich genauso herzlich zurückgelächelt, wäre er nicht so sehr damit beschäftigt gewesen, das Kind anzustarren. Irritiert folgte Bea seinem Blick.
„Lutschen“, erklärte Bea, „meinetwegen auch lecken. Aber nimm bitte die Finger raus.“
„Stimmt was nicht mit Ihrer Tochter?“, fragte der Eisverkäufer. Etwas Mitleidiges lag in seiner Stimme.
„Oh“, machte Bea, „das ist nicht meine Tochter. Sie ist nur zu Gast.“ Sie hatte es kaum ausgesprochen, da fühlte sie sich leicht verlegen. Selbst in ihren Ohren hörte es sich abwiegelnd und entschuldigend an. Leider machten ihre nächsten Worte die Situation nicht besser. „Aber wir verstehen uns gut. Fast so wie dicke Freunde, obwohl ich nicht mal weiß, wie sie heißt.“ Das angefügte „Hi, hi“ wurde dann erst recht peinlich. Deshalb zog sie es vor, das Kind rasch weiterzuschieben. Der Eisverkäufer schüttelte verständnislos den Kopf.
„Chaya“, sagte das Mädchen unvermittelt. Danach tastete sie vorsichtig mit der Zungenspitze das oberste, rosafarbene Eisbällchen ab.
Bea wäre beinahe ihr Hörnchen aus der Hand gefallen. „Was hast du gesagt?“
„Chaya.“ Erdbeergeschmack zauberte einen überraschten Gesichtsausdruck in das ansonsten so leblose Gesicht des Mädchens.
„Schaia?“, fragte Bea nach. Langsam dämmerte es ihr.
„Dann brauchst du mich nicht mehr Das zu nennen. Chaya bedeutet unter anderem lebendig.“ Chaya fand ganz offensichtlich Gefallen an dieser speziellen Bedeutung. Sie nickte sich selbst zu, als sie ihr Spiegelbild in einem Schaufenster erkannte. „Chaya!“ Es klang geradezu wie ein Schlachtruf. In einem Anflug von Übermut nahm sie daraufhin das gesamte Erdbeereisbällchen mit einem Happen in den Mund. Die nächste Reaktion war ein schmerzerfülltes Zusammenzucken, weil sie feststellte, dass das Schlucken zu großer Mengen kalter Lebensmittel recht unangenehm sein kann.
„Mädchen, hast du noch nie Eis gegessen?“, fragte Bea erstaunt.
„Chaya“, wiederholte Chaya keuchend, „das Mädchen heißt Chaya.“
Als sie den Kuriositätenladen am unteren Ende der Straße erreichten, versuchte Bea mit einem Taschentuch und mäßigem Erfolg, das Gesicht der Kleinen vom Eis zu befreien. „Chaya, ich denke, dass das mit dem Eis vielleicht keine so gute Idee gewesen ist. Dein … Quirinus … wird nicht begeistert sein, dich so verklebt zu sehen.“
Etwas bang betrachtete sie das Geschäft, mit der rot-weiß gestreiften Markise. In dem eigenwillig dekorierten Schaufenster fanden sich Baseballkarten, Blechspielzeuge und Dampfmaschinen neben einer alten Wurlitzer und einigen vergilbten Briefmarkenalben, in deren aufgeschlagenen Seiten ebenso vergilbte Briefmarken eingesteckt waren. Zylinder und Zauberstäbe, ein Strauß mit ziemlich lädierten Strohblumen und Uhren. Unzählige Uhren! Taschenuhren, Armbanduhren, Wecker, Tischuhren und, und, und.
Das Innere des Ladens präsentierte sich wie erwartet: Muffig und schlecht beleuchtet. Bea fragte sich, wie es möglich war, dass bereits über allen Exponaten eine dünne Staubschicht lag, obwohl die Sachen erst seit zwei Tagen in den Regalen liegen konnten.
„Kann ich Ihnen weiterhelfen?“ Ein Verkäufer – nicht Quirinus – trat ihnen entgegen. Seine Erscheinung passte nicht ganz in das Gesamtbild. Er war jung, freundlich und gut gekleidet. Bea hätte als Einstellungsbedingung eigentlich das absolute Gegenteil erwartet. Zwischen ausgestopften Eberköpfen, etwas, das nach einem ausrangierten Blasebalg für eine gigantische Mundharmonika aussah, einem Hochrad und zahlreichen anderen Exponaten wirkte der Mann so deplatziert wie Kaviar auf Sauerkraut mit Schokoladensoße. „Schauen Sie nach etwas Speziellem oder stöbern Sie nur? Ich könnte Ihnen ein paar Raritäten aus dem Ersten Weltkrieg zeigen. Oder lieber Antiquitäten aus der Renaissance?“
„Chaya“, sagte Bea etwas überrumpelt.
Der Verkäufer blinzelte verwirrt. „Wie bitte?“
Bea schob das Mädchen sachte vor sich. „Ich bringe Chaya heim. Herr Quirinus hat vergessen, sie bei mir abzuholen.“
Der Verkäufer nickte wie ein Butler, warf die Hände hinter den Rücken und eilte durch eine Seitentür davon. Irgendwo rumpelte es laut, stampften schwere Schritte eine Metalltreppe hinab. Um einiges leichtfüßiger erstiegen Schritte wieder jene Treppe zurück nach oben. Kurz darauf öffnete sich die Tür und Quirinus stand vor ihnen.
Nein, er stand nicht wirklich. Er tänzelte auf der Stelle. Irgendwie war immer mindestens ein Bein oder ein Fuß in Bewegung. Sein Körper vibrierte förmlich zu den Melodien einer unhörbaren Musik. Es wirkte auf groteske Art elegant und verspielt zugleich. Doch schließlich pendelte das Bewegungsmoment in ihm aus und sein Körper kam zur Ruhe.
„Cousinchen!“, rief er und breitete dann wie ein schlechter Theaterdarsteller die Arme aus um eine andere Schauspielerin, die er vermutlich nur von der Bühne her kannte, gespielt herzlich in die Arme zu nehmen. „Chaya hat noch ein Eis mit mir gegessen“, sagte Bea.
„Chaya?“
„Chaya.“
„Ach. Chaya!“ Er legte den Kopf schief und betrachtete das Kind eingehend von oben bis unten. „Ein schöner Name, nicht wahr? Es ist