Der Tote in der Hochzeitstorte. Thomas Brezina
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Vor drei Wochen hatte sie Mario auf einer der Datingseiten kennengelernt. Zuerst hatten sie nur kurze Nachrichten ausgetauscht, aber an einem der nächsten Abende wollten sie miteinander reden. Die Datingseite bot einen Service an, bei dem keine Handynummern ausgetauscht werden mussten. Insgeheim hoffte Veronika, Mario würde sogar zu einem Video-Chat bereit sein. Die Fotos in seinem Profil sahen vielversprechend aus. Sie hoffte inständig, dass sie echt waren.
TODESSCHATTEN
Rache war ein Motiv, das Leute zu den grausamsten Taten trieb. Die Rachehandlung konnte zu jeder Zeit und auf jede erdenkliche Weise erfolgen.
Auf diese Weise dachte ein Mensch über den Tod nach.
Der Tod würde sich in einem Moment einstellen, in dem keiner mit ihm rechnete. Wie ein Engel mit schwarzen Schwingen würde er dahinfegen und einen leblosen Körper hinterlassen.
Niemand würde das plötzliche und völlig unerwartete Ableben verstehen können. Keiner würde jemals den wahren Grund für den Todesfall erfahren.
Wer überleben will, braucht Ruhe und Klarheit. In diesem Fall schien die einzige Möglichkeit, zu überleben, gleichzeitig der Tod zu sein. Es gab keinen anderen Ausweg.
Der Plan für den Todesfall lauerte auf dem Berg. Viele Vorbereitungen waren dafür nötig. Außerdem Augenzeugen. Das Sterben machte nur Sinn, wenn viele dabei anwesend waren.
Eine Hochzeit im Alpenschlössel erschien als der beste Moment für den Auftritt des Todes.
DIE GÄSTELISTE
»Du hättest sie heute sehen müssen«, rief Axel in der Diele. »Sie haben wirklich alles gegeben. Wir werden die Special Games gewinnen.« Nachdem er seine Jacke aufgehängt und die Sportschuhe weggestellt hatte, stutzte er. Wieso kam ihm niemand entgegen?
»Hallo? Keiner da?«
Axel lauschte in die Stille des Hauses. Was war hier los? Sowohl Lilo als auch Lotta müssten doch zu Hause sein.
Laut rief er noch einmal seine Frage die Treppe hinauf.
»Ich bin hier«, kam es von oben. Am Klang ihrer Stimme konnte Axel erkennen, dass seine Tochter keinen guten Tag hatte. Er lief drei Stufen auf einmal nehmend in den ersten Stock und öffnete die Tür zu ihrem Zimmer.
Lotta saß am Schreibtisch neben dem Fenster über ein Heft gebeugt und schrieb etwas. Sie sah nicht einmal auf, als er eintrat.
»Ist Lilo nicht zu Hause?«, wollte Axel von ihr wissen.
»Zum Glück nicht.«
»Was soll das denn heißen?«
Als Lotta den Kopf hob, fiel Axel die Veränderung auf. Ihr Haar, das sie bisher zu kleinen Zöpfchen geflochten getragen hatte, war offen und gekraust.
»Schicke Frisur«, sagte er.
»Ich hasse Zöpfe!«
»Seit wann? Gestern haben sie dir noch gefallen.«
»Ich hasse Lilo.«
»Stopp!« Axel trat neben Lotta. »Das reicht. In diesem Haus wird nicht gehasst.«
»Mir egal.«
Axel ließ sich auf Lottas Bettkante sinken, um ihr in die Augen sehen zu können. »Lass mich raten: Lilo hat darauf bestanden, dass du deine Hausaufgaben schreibst. Oder sie hat dir den dritten Pudding aus dem Kühlschrank verweigert. Oder sie hat geschimpft, weil du mit matschigen Schuhen ins Haus gelaufen bist. Also, was war es diesmal?«
Lotta starrte ihn finster an. »Alles drei.«
Auch wenn Axel nicht so gut kombinieren konnte wie Lilo, war die Schlussfolgerung nicht schwierig. »Du bist wütend und hast dir deshalb die Zöpfchen aufgemacht, damit du nicht wie Lilo aussiehst.«
»Ich hasse dich auch«, brummte Lotta.
»Weil ich dich durchschaut habe?«
Er bekam keine Antwort.
»Es ist sehr ärgerlich, wenn Erwachsene ausnahmsweise recht haben, nicht wahr?«
»Ich hasse …«
»Nein, du hasst heute nicht mehr und auch sonst nicht mehr«, fiel ihr Axel ins Wort. »Lotta, reg dich ab. Schreib deine Hausaufgaben, damit deine Lehrerin uns nicht jeden zweiten Tag anruft, weil du sie wieder nicht gebracht hast. Zu viel Pudding macht dick und Lilo ist keine Putzfrau. Daher bleiben die Schuhe, wenn du deine Schlamm-Expedition gemacht hast, in der Garage stehen.«
Von Lotta kam nur ein unverständliches Grummeln.
»Ist Lilo noch einmal weggefahren?«
Axel konnte sich selbst die Antwort auf diese Frage geben. Ihr Geländewagen stand vor dem Haus. Für einen Spaziergang war es zu spät und zu kalt. Also musste Lilo im Haus sein.
»He, Lotta, wo ist Lilo? «
»Sie spinnt heute.«
Normalerweise verlor Axel nur selten die Nerven, aber heute war ein Tag, an dem ihn Lotta wieder einmal aus der Ruhe brachte.
»Das reicht jetzt. So redest du nicht über Lilo! Sie ist wie eine Mutter für dich, wenn nicht noch besser. Sie hatte mit allem recht und ich hätte es genauso gemacht. Wenn du mir keine Antworten geben willst, dann bleib allein in deinem Zimmer. Sobald du mit den Hausaufgaben fertig bist, zeichnest du für Lilo eine Karte zur Entschuldigung.«
Lotta war eine begeisterte und gute Zeichnerin. Axel wollte von ihr eine liebevolle Geste in Lilos Richtung sehen und hielt das für besser als jede Strafe.
Ohne weitere Worte verließ er das Zimmer. Er konnte Lottas Blick im Rücken spüren, kümmerte sich aber nicht darum. Mit Nachdruck schloss er die Zimmertür.
»Lilo? Schatz? Wo bist du?«, rief er den Flur hinunter.
Die Tür zum gemeinsamen Schlafzimmer wurde geöffnet und Lilo trat heraus. »Rufst du schon lange?«
»Eine halbe Stunde«, scherzte Axel.
Lilo lächelte schwach. »Ich habe dich nicht gehört, ich war im Badezimmer.«
»Hast du dich verwöhnt und ein warmes Bad genommen? Erholung von Lottas Frühpubertät?«
»Nein. So schlimm ist das nicht.«
Axel trat zu ihr und wollte sie auf den Mund küssen, aber Lilo drehte den Kopf zur Seite. Sein Kuss ging halb auf ihre Nase. Ein wenig irritiert neigte er sich zurück und sah sie prüfend an. »Stimmt etwas nicht zwischen uns?«
Axel musste an den Sommer des vergangenen Jahres denken. Ihre Beziehung wäre damals beinahe auseinandergegangen. Auch wenn sie sich schließlich wiedergefunden hatten und in Kitzbühel zusammengezogen waren, kämpften sowohl Axel als auch Lilo noch immer mit einer kleinen Unsicherheit bezüglich ihrer Gemeinsamkeiten.