Der Tote in der Hochzeitstorte. Thomas Brezina
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Читать онлайн книгу Der Tote in der Hochzeitstorte - Thomas Brezina страница 6
Axel breitete die Arme aus. »Kommt zu mir, meine beiden Herzensdamen.« Er drückte sie und fühlte sich sehr glücklich.
Die Hochzeit in zwei Wochen fand er überstürzt. Er freute sich auch nicht wirklich darauf. Axel wollte Lilo schon lange gerne das Jawort geben, aber Ort und Jahreszeit kamen ihm unpassend vor. Aus langer Erfahrung wusste er allerdings, wie sinnlos es war, Lilo etwas auszureden. Sie war nicht nur das Superhirn der Bande gewesen (und war es wahrscheinlich immer noch), sondern auch der größte Sturkopf, den er kannte.
»Ich muss meinen Anzug probieren«, verkündete er. »Seit wir ihn gekauft haben, habe ich viel Krafttraining gemacht.« Er deutete auf seine muskulösen Oberarme.
»Keine Sorge«, beruhigte ihn Lilo. »Es ist noch genug Zeit, ihn ändern zu lassen.«
DIE LIEFERUNG
Raoul vertraute auf einen einzigen Menschen und das war er selbst. Er arbeitete allein, er lebte allein und er würde niemals im Leben eine Partnerschaft eingehen, weder beruflich, noch privat.
Er war immer schon so gewesen, sogar als kleines Kind. Im Schulhof war er in den Pausen immer abseitsgestanden. In der Klasse hatte er nichts unversucht gelassen, um allein in einer Bank zu sitzen. Seine freundliche Grundschullehrerin hatte ein Mädchen namens Isobel zu ihm gesetzt, in der Hoffnung, sie könnte ihn ein wenig aus der Reserve locken. Um Isobel loszuwerden, hatte Raoul sie mit frisch gespitzten Bleistiften gestochen, gezwickt und ihre Hefte versteckt. Bald hatte Isobels Mutter darauf bestanden, dass ihre Tochter einen anderen Platz bekam und er hatte wieder den ganzen Tisch für sich allein gehabt.
Das Studium der Pharmazie absolvierte Raoul im Rekordtempo. Auch an der Uni hatte er alle Kontakte vermieden, immer allein gelernt und Gruppenarbeiten, wie sie von einigen Professoren vorgeschlagen wurden, grundsätzlich abgelehnt.
Das Lernen war ihm leichtgefallen und deshalb hatte er nach seinem Master der Pharmazie noch ein Studium der Medizin angehängt. Er promovierte in der Mindestzeit. Die Ausbildung zum Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie machte Raoul an einem darauf spezialisierten Krankenhaus in Chicago. Danach unternahm er mehrere Fortbildungen auf eigene Faust und an Instituten, die unter strengster Geheimhaltung im Verborgenen arbeiteten.
Covid-19 hatte Raoul mit großem Interesse verfolgt. Er hatte mittlerweile sein eigenes kleines Institut, das von ihm allein geführt wurde. Während die meisten Virologen der Welt an einem Medikament und einem Impfstoff arbeiteten, tat Raoul das Gegenteil. Er intensivierte seine Forschungen an neuen Viren, die wie Covid-19 die Welt lahmlegen konnten.
Natürlich wusste er, dass so etwas als »biologischer Kampfstoff« bezeichnet werden konnte. Ihm war auch klar, welche fürchterlichen Folgen ein künstliches Virus haben konnte, wenn es in falsche Hände geriet. Raoul plante weder einen Verkauf noch eine weltweite Erpressung. Wichtig war ihm nur ein Gefühl von Macht. Er wollte spüren, dass er die ganze Erde in der Hand haben konnte.
Seine Experimente waren bisher recht erfolgreich verlaufen. Ebenso die Entwicklung eines Impfstoffes gegen sein Virus. Wenn er es schaffte, seine Forschungen rechtzeitig zu beenden, könnte er sich überlegen, zu einem tödlichen Schlag gegen die Menschheit auszuholen. Die Möglichkeit allein reichte ihm.
Die Pharmazie und die Virologie würden ihm helfen, sich selbst ein Denkmal des Schreckens zu setzen. Auf diese beiden Fachrichtungen führte Raoul es zurück, dass sein Körper im Mutterleib verunstaltet wurde und sein Herz so sehr beschädigt wurde, dass seine Lebenserwartung von Ärzten zuerst auf wenige Jahre geschätzt worden war.
Seine leibliche Mutter hatte ihn deshalb einfach im Krankenhaus gelassen und war verschwunden. Die Pflegefamilie, die ihn aus Mitleid aufgenommen hatte, rechnete es ihrer Fürsorge an, dass er das Erwachsenenalter erreicht hatte und die Ärzte sich eingestehen mussten, eine Fehleinschätzung getroffen zu haben.
Trotzdem wusste Raoul um den Zustand seines Herzens Bescheid. Er könnte sich jederzeit rapide verschlimmern und dann wären seine Tage gezählt.
Jeder Tag war für Raoul kostbar. Da er alleine arbeitete, musste er Teile seiner Forschungen an andere Labore abgeben, um Zeit zu gewinnen. Wie er arbeiteten auch diese Labore nicht immer im Bereich des Legalen.
Diese Subaufträge musste er finanzieren, genauso wie seine Ausrüstung. Er brauchte dafür Millionen und hatte eine Möglichkeit gefunden, dieses Geld auf schnellstem Wege zu verdienen.
Gift war seine Ware. Natürlich handelte es sich nicht um erlaubte Gifte, sondern um jene Arten von Giften, die dringend gewünscht, aber illegal waren: Gifte, die Schädlinge auf Avocadoplantagen in Südamerika vernichteten, Gifte zur Beseitigung von Staren, diesen lästigen Vögeln, die Oliven- und Weintraubenernten vernichteten oder Gifte, die Fischereigebiete zerstörten, ohne nachgewiesen werden zu können. Die Herstellung solcher Substanzen war Raouls Spezialität.
Es erfüllte ihn mit Befriedigung, zu wissen, dass die sprunghafte Preissteigerung bei einigen Meeresfischen auf die Verbreitung von Substanzen aus seinem Labor zurückzuführen war. Es war am Markt bereits zu einer Verknappung von Dorsch und Kabeljau gekommen.
An diesem nebeligen Novembertag lieferte Raoul ein Gift, wie er es noch nie zuvor hergestellt hatte. Es war eine Premiere, eine neue Herausforderung, wie er sie schätzte. Das Gift war für einen Selbstmord bestimmt, der das Leben der betreffenden Person retten sollte. So widersprüchlich das klang, so sinnvoll erschien der Plan, der dahinter steckte.
Wer sein Auftraggeber oder seine Auftraggeberin war, wusste Raoul nicht. Die Bestellung war über eine der zahlreichen Webseiten abgewickelt worden, die er im Darknet betrieb. Abigor nannte er sich dort, ein Deckname, der beschrieb, wie er sich sehen wollte. Allerdings glaubte er nicht, dass jemand die Bedeutung des Namens schon einmal nachgeschlagen hatte.
Der Handel hatte klare Regeln. Der Kaufpreis war auf ein Konto in einem Steuerparadies der Südsee zu transferieren. Eine Hälfte musste vor der Hinterlegung des Giftes überwiesen werden. Die zweite Hälfte war fällig, wenn der Besteller das Gift übernommen hatte. Erst nach Erhalt des gesamten Betrags teilte Raoul den Code mit, mit dem der gelieferte Behälter geöffnet werden konnte. Raouls Anweisung an seine Kunden lautete, das Gift frühestens drei Tage danach einzusetzen.
Der Grund dafür war die Gefährlichkeit der Stoffe. Wie beim Umgang mit Giftschlangen war es ratsam, das Gegengift in der Nähe zu haben. Dieses Gegengift aber gab es nur, wenn der volle Kaufbetrag bereits bezahlt worden war und eine Extrazahlung von weiteren vierzig Prozent erfolgte. Das war Erpressung, aber keiner seiner Besteller würde zur Polizei gehen.
Zwei von Raouls Kunden hatten sich für besonders schlau gehalten und beschlossen, auf das Gegengift zu verzichten. Beide starben innerhalb von Stunden, nachdem sie die bestellte Ware eingesetzt hatten.
Grundsätzlich akzeptierte Raoul von seinen Kunden keine Vorschläge für den Ort der Übergabe. Er bestimmte die Spielregeln. Die Leute bekamen Anweisung, von wo sie die Ware abholen konnten.
Die Lieferung ging diesmal nach Tirol und hier kannte Raoul einen Übergabeort in den Alpen, den er aus mehreren Gründen wählte: Erstens war er sehr sicher, zweitens bot ihm die Anreise ein gewisses Vergnügen und drittens hatte Raoul eine Schwäche für hohe Berge. Es war seine einzige Schwäche.
Das Vergnügen bestand für ihn darin, auf seinem Motorrad die kurvige Bergstraße hinaufzufahren. Der Novembernebel blieb wie eine dicke Decke unter ihm im Tal hängen. Auf dem Berg