Die Anatomie des Schicksals. Johannes Huber
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Apropos. Das wird gerne verwechselt: Karma ist nicht gleich Schicksal. Das Wort stammt aus dem Sanskrit und bedeutet Arbeit, Aktion. Und würde auch für dieses Leben, unabhängig von einer Wiedergeburt, gelten.
Der Dalai Lama sagt: »Karma ist das Gesetz von Ursache und Wirkung, das den Kreislauf der Wiedergeburten beherrscht. Doch dieser Begriff ist schwer zu verstehen, wenn man nicht an das Phänomen der Wiedergeburt glaubt. Alles, was wir in der Abfolge unserer Lebenszeiten je gedacht oder getan haben, zeitigt – in Verbindung mit der dahinterstehenden Absicht – positive oder negative Auswirkungen. Dieses grundlegende Prinzip gilt im größeren Maßstab auch für Völker oder Länder.«
Jedes Handeln erzeugt Karma. Ziel ist es paradoxerweise, kein Karma aufzubauen. Es kommt also nicht drauf an, viele Katzenbabys zu retten oder alten Frauen über die Straße zu helfen und damit das Karmakonto auf der Habenseite aufzufüllen. Im Gegenteil, am besten ist, eben kein Karma mehr zu haben. Erst dann kann der Kreislauf der Wiedergeburten durchbrochen werden. Nur wer frei ist von allen Wünschen und Begierden, die ihn ans irdische Dasein binden, kann den Kreislauf kappen. Erst dann ist ein Mensch zur Gänze erwacht, sein moralisches Handeln vollendet und die höchste Form von Tugendhaftigkeit erreicht. Kein Hass, keine Gier, keine Verblendung. Es gibt nur noch heilsames Tun. In unseren Breiten und im Rest der Welt wird das schwer werden, aber bitte.
Der Buddhismus verwendet für Karma auch den Begriff Prägung. Entscheidend ist die karmische Prägung einer Tat, eines Gedankens. Die Absicht, die dahintersteckt. Denken als Handlungsform steht über körperlichem Handeln oder der Rede. Es gibt drei verschiedene Arten von Karma: Karma, das zu Lebzeiten reift. Karma, das im nächsten Leben reift. Karma, das in späteren Leben, also nach dem nächsten, reift. Deswegen versucht der Buddhist, sich von all seinen Gedanken freizumachen, damit er nicht in diesen komplizierten Kreislauf hineingerät, der dann Böses auslöst.
Im Rahmen des Buddhismus könnten wir das Karma so definieren: Der Mensch nimmt sein Schicksal in die Hand.
Das Karma, das zu Lebzeiten reift, das Karma, das in vergangenen Leben war, und das Karma, das kommen wird. Die drei Formen, die mehr oder weniger den drei Nornen entsprechen.
Der Hinduismus, aus dem der Buddhismus wie eine Reformation hervorgegangen ist, erklärt das Prinzip anders: Der Mensch ist in seinen Taten frei und für sein Karma selbst verantwortlich. Karma ist ein kosmisches Gesetz, das jeden überall betrifft. Unabhängig vom Zeitrahmen, dem Dharma.
Jeder Mensch hat so einen Dharma. Das hat nichts mit Verdauung zu tun, es geht darum, dass sich der Mensch persönlich gut entwickelt. Tut er das, ist der Dharma erfüllt. Und diese Erfüllung ist ausschlaggebend, ob Taten gutes oder schlechtes Karma bewirken. Hinduistische Pflichten des Einzelnen sind: Gewaltlosigkeit, Wahrhaftigkeit, Geduld, Selbstkontrolle, Mildtätigkeit und Gastfreundschaft. Einen einheitlichen Kodex gibt es aber nicht. Es hängt davon ab, welcher Gesellschaftsschicht man angehört. Nicht unähnlich dem Gebaren in unseren Breiten.
Friedrich Schiller hat die Essenz der Triade in vier Zeilen gegossen.
Dreifach ist der Schritt der Zeit:
Zögernd kommt die Zukunft hergezogen,
Pfeilschnell ist das Jetzt entflogen,
Ewig still steht die Vergangenheit.
Damit spannen wir den Bogen wieder zum Heute. Unser Schicksal besteht aus vielen Dingen, die der Mensch nicht weiß. Oder scheinbar nicht weiß. Oder nur bisher nicht wusste.
Jetzt hat die Wissenschaft bewiesen, dass wir sehr wohl eingreifen können. Forschungen. Erkenntnisse. Wunder sind machbar. Sie verändern den globalen Drall. Das ist die gute Nachricht.
Wir können das Schicksal besser verstehen. Und durch dieses Verständnis können wir es auch beeinflussen.
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