Die Anatomie des Schicksals. Johannes Huber
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Von der Puppe zum Puppenspieler
Also: Woraus besteht es nun wirklich, unser Schicksal?
Um sich dem großen Ganzen zu nähern, braucht es eine Bestimmung der Begrifflichkeiten und auch eine moderne Interpretation, wenn nicht sogar eine Neudefinition.
Der Duden sagt: »Schicksal – von einer höheren Macht über jemanden Verhängtes, ohne sichtlich menschliches Zutun sich Ereignendes, was jemandes Leben entscheidend bestimmt.« Vielleicht nicht ganz flockig beschrieben, aber im Sinn: Hier werkt ein Überwesen, und der Mensch ist machtlos. Höhere Gewalt kann man nicht beeinflussen.
Na ja. Das definieren wir bald neu.
Der Brockhaus sagt über das Schicksal: »Die Erfahrung, dass vieles, was dem Menschen widerfährt oder was sich in der Welt und Geschichte ereignet, nicht Resultat menschlichen Wollens und Handelns, sondern ihm von außen auferlegt ist.«
Auch das stimmt nicht mehr. Hier braucht es eine Definitionsänderung.
Wir werden sie im Laufe des Buches herausarbeiten und dann Wikipedia schenken.
Denn: Der Mensch kann das Schicksal aus eigenem Willen und Antrieb bis zu einem gewissen Grad verändern.
Der Mensch wird von der Puppe zum Puppenspieler.
Kein NPC mehr sein, darum geht es. NPC steht für Non Player Character und bezeichnet Figuren in Computerspielen, die kurzzeitig auftauchen und nichts zum Game beitragen. Sie stehen nur herum oder gehen im Kreis. Elektronische Statisten ohne Plan und Bedeutung.
Das Schicksal ist der Ablauf von Ereignissen im Leben eines Menschen. Manche sind unveränderbar wie das der Venus. Manche sind veränderbarer, als wir dachten.
Im Sprachgebrauch finden sich verschiedene Nuancen. Die passiven Formulierungen lauten: »Er wurde vom Schicksal zu etwas bestimmt.«
Sprich Fremdeinwirkung. Oder: »Das Schicksal nahm seinen Lauf.« Ja eh. Oder: »Einen Schicksalsschlag erleiden.« Ja, leider! Oder: »Das Schicksal meint es gut mit ihm.« Da kommt Freude auf. »Eine Laune des Schicksals.« Wie nett. Oder: »Sein Schicksal meistern.« Handwerklich gesehen, mit dem zurechtzukommen, was einem auferlegt worden ist.
Jedenfalls folgt das alles noch der alten Definition: Da kann man nichts machen, das ist halt so.
Allerdings gibt es auch aktive Phrasen. Zum Beispiel: »Das Schicksal herausfordern.« Na, trau dich. Oder: »Sein Schicksal in die Hand nehmen.«
Diesem aktiven Umgang mit dem Schicksal geht immer ein elektrischer Impuls voraus. Ein Gedanke ist da. Das Neue dabei ist: Dieser Gedanke, dieser elektrische Impuls, kann auch von der Umwelt mitbeeinflusst werden. Bösartigkeit und das, was dann Katastrophen hervorruft, wird in Zukunft nicht mehr im schwarzen Kleid der Pest daherkommen. Der bösartige Gedanke des Menschen wird es ins Leben bringen. Der böse Gedanke ruft Schicksalsschläge hervor. Weil Gedanken zu Worten werden, und Worte zu Taten.
Ein radikaler Islamist, der seinen Auftrag bekommen hat, schnallt sich eine Sprengstoffweste um und macht sich auf den Weg.
Ein sehr zorniger Mensch steigt in einen Lastwagen und lenkt ihn in eine Fußgängergruppe.
Ein junger Mann steht in einem Labor und mischt Substanzen für eine Sache zusammen, die er sich schon lange überlegt hat.
Vier Mädchen kesseln eine Schulkollegin ein, reißen sie zu Boden und treten ihr ins Gesicht, mit voller Kraft.
Ein Mann glaubt, dem Auftrag Gottes zu folgen, und steckt ein Messer in die Hosentasche, bevor er sich auf den Weg zu seiner Schwester macht.
Eine Frau wartet auf die nächste U-Bahn, das gefällt einem Mann nicht, und als die Garnitur in die Station einfährt, stößt er sie auf die Gleise.
Zwei Jugendliche kommen an einem Obdachlosen vorbei, sie deuten auf ihn, lachen ihn aus und zünden ihn an.
Eine Frau denkt auf dem Weg in die Arbeit an ihren untreuen Freund, übersieht eine Stopptafel und überfährt ein Kind.
Jemand wünscht sich, dass jemand anderer stirbt.
Alles Gedanken, die etwas auslösen. Die ein Schicksal ändern.
Es ist, während ich das hier schreibe, noch gar nicht lange her, dass US-Präsident Donald Trump den Befehl zum Angriff auf den Iran gab. Kurz darauf, vielleicht zehn Minuten später, war da der Gedanke: Nein, wir machen es nicht. Ein Gedanke hat die Rakete gestoppt. Oder der Gedanke, der John F. Kennedy bewogen hat: Jetzt greifen wir Kuba an. Und dann, im letzten Moment, der andere Gedanke: Nein, wir machen es nicht. Ein Gedanke hat den Dritten Weltkrieg gestoppt.
Doch Gedanken, das haben wir gelernt, sind gelenkt durch Kräfte, die wir selbst manipulieren.
Der Nahe Osten findet keinen Frieden, weil den Menschen dort der Gedanke fehlt, der die Schicksalhaftigkeit der Situation sofort ändern würde. Denn den beiden dortigen abrahamitischen Religionen, dem Islam und dem Judentum, fehlt jener Zugang, den die dritte abrahamitische Religion, das Christentum, sehr wohl hat. Der Gedanke der Bergpredigt. Wenn du auf die Rechte eine kriegst, dann handle nicht Auge um Auge und Zahn um Zahn, sondern dann halte auch die Linke hin. Dieser Gedanke war für die Schicksalhaftigkeit Europas und die gesamte Entwicklung fundamental, selbst wenn da immer wieder Fehler gemacht wurden. Aber dieser Gedanke bewirkte, dass es nach dem Dreißigjährigen Krieg letzten Endes einen Westfälischen Frieden gab. Den gibt es im Nahen Osten vielleicht nie. Der Gedanke der Bergpredigt ist ein wahrer Goldschatz von einem Gedanken, was Schicksal und schicksalhafte Katastrophen betrifft und deren Abwehr oder Abwendung.
Der Gedanke heißt Vergebung.
Und er geht auf das holistische Prinzip zurück. Das Schicksal ist ein Prozess. Ein Werdeprozess, der sich erst entwickelt und über den Menschen seit Jahrtausenden nachgedacht haben.
Wir sehen das bei den drei Nornen.
Sie sind nicht zu verwechseln mit den drei Moiren. Die drei Nornen sind ihr Pendant im Germanischen, eigentlich die Raunenden. Sie raunen vor sich hin, und im Raunen definieren sie das Schicksal.
Urd ist die weiße Norne, das Gewordene, die Vergangenheit, das, was aus der Urzeit hinüberwirkt. Unsere Väter und die Sünden unserer Väter, aber auch das, was sich im Kosmos, im Universum und auf der Erde ereignet hat, wir kommen später darauf zurück.
Die zweite Norne heißt Verdandi, die rote Norne, die Werdende, die Gegenwart. Und die dritte ist die schwarze Norne, Skuld, das Werden-Sollende, die Zukunft, das, was uns künftig erwartet.
Urd, Verdandi und Skuld klingen nach Figuren aus Herr der Ringe oder Game of Thrones. Sie wohnen an der Wurzel der Weltenesche Yggdrasil. Ein Brunnen, ein Schicksalsquell. Aus ihm heraus begießen sie den heiligen Weltenbaum. Auch sie spinnen die Fäden des Schicksals, die sie von Frigg erhalten, der Allmutter und Frau von Allvater Odin. Erstmals erscheinen sie, als das glückliche Leben der Götter sein Ende findet. Götterdämmerung. Älter als die Götter selbst sind nur die Riesen.
Nornen weben nicht nur das Schicksal, sie werfen auch Los-Stäbchen, wie beim Mikado. Damit orakeln sie über das Leben