Sacklzement!. Katharina Lukas
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Nach seinem Morgenbier mit Witzeinlage musste sich Franz den ganzen Tag herumkommandieren lassen. Von den Bauern, die ihr Getreide im Lagerhaus ablieferten, für dessen Sauberkeit der Franz mit einem großen Besen sorgte, und vom Lagerhausverwalter und überhaupt von jedem, der etwas brauchte oder etwas zu tun hatte und es selbstverständlich Franz auftrug. Freundlich war nur die kleine Bäckerstochter. Deswegen hatte der Fürbitten-Franz sie gern. Genauso wie die Kramer Res, die ihn nie aus dem Laden warf, auch wenn er nur Bier kaufte, sich herumdrückte und die Waren lediglich anschaute. Morgens hatte sie nie viel Zeit, die Bäcker Gundi, weil sie zum Bus musste. Am Nachmittag schaute sie meistens noch mal vorbei am Lagerhaus. Sie ging nie schnurstracks nach Hause wie ihre Klassenkameradin Liesi, um Hausaufgaben zu machen. Franz liebte diese Nachmittage im Sommer. Er und Gundi hörten gemeinsam Kassetten mit ihren Lieblingsliedern, die sie im Radio aufgenommen hatten. »Skandal im Sperrbezirk« und »Da Da Da«. Und sie sangen »Nur geträumt« von Nena.
Draußen in der Welt war ein Schauspieler US-Präsident, das Spaceshuttle startete ins All und die Grünen saßen erstmals im Bundestag. Für Gundi und Franz aus Hintersbrunn war der lokale Bierfahrer ein weit gereister Mann. Sie hörten auf der Lagerhausrampe Radio und träumten. Gundi von der Freiheit und Franz von der Heimat.
Die gleichaltrigen Burschen im Dorf lachten Franz aus und die Mädchen in seinem Alter schauten einen wie ihn nicht an. Seine Haare waren etwas zu borstig, sein Gesicht etwas zu rot, und er stotterte leicht, wenn er nervös war. Zwar war er beim jährlichen Schützenball dabei und beim Volksfest zur Kirchweih, nur wenn die anderen tanzten, blieb Franz lieber am Tisch hocken. Bei den älteren, verheirateten Männern. Und weil er sich mit seiner Handlangerrolle im Lagerhaus abfand, hielten ihn viele für dumm. Vielleicht war er das, denn er ließ sich alles gefallen, tat stets, was ihm aufgetragen wurde, und war manchmal das Opfer von derben Späßen im Hintersbrunner Wirtshaus. Franz lachte immer ganz laut, wenn er merkte, dass er an der Nase herumgeführt wurde. Unglücklich war er deswegen nicht. Es konnte ja nur besser werden.
»Hey, wollt ihr mal was Gescheites hören?«, fragte Django. Gundi und Franz saßen auf ihrer Rampe mit dem Kassettenrekorder zwischen sich und hatten vor einer Minute aufgehört, ihrer Musik zu lauschen. Seitdem starrten sie wortlos auf das unglaubliche Geschehen vor ihren Augen: Der Dorfheld Django knatterte mit seinem Mokick auf der Dorfstraße nicht an ihnen vorbei, sondern wurde langsamer, bog zum Lagerhaus ab und blieb direkt vor Gundi und Franz stehen.
Django bockte sein Mokick auf und kam näher, eine Kassette in der Hand.
»Heavy Metal« sagte er und reichte sie Franz. Django war der Einzige der Dorfbuben, der ein Mokick fuhr. Es war neongrün. Er hatte es sich von dem Geld gekauft, das er im ersten Lehrjahr als Maurer verdient hatte. Zusätzlich bekam Django in diesem Sommer Muskeln, braune Haut und von der Sonne gebleichte blonde Locken. Er rauchte »Roth-Händle ohne«, er fuhr mit nacktem Oberkörper durchs Dorf und alle Burschen bewunderten ihn. Es war der Sommer, in dem sich Gundi, zwei Jahre vom Gürteltrick entfernt, in Django verliebte. Django hatte das Sagen unter den Buben im Dorf und er hatte vor nichts Angst. Außer vielleicht vor seinem Vater.
Eigentlich hieß Django Joachim, und alle wussten, dass er von seinem alten Herrn, dem Bürgermeister Schickaneder, regelmäßig verprügelt wurde. Deswegen wollte Django stark werden. Wie der Held aus dem Film, nach dem er sich selbst benannt hatte.
»Du, mein Vater braucht dich«, wandte sich Django an Franz, nachdem Gundi und er der wilden Musik zugehört hatten, bemüht, im richtigen Takt mit dem Kopf zu wackeln.
»J… Ja?«, fragte Franz und Gundi wurde rot.
»In unserem Wald liegt ein Haufen Kleinholz herum, weil wir eine Fichte verkauft haben«, erklärte Django. »Den Stumpf musst du auch ausgraben und klein hacken. Kriegst 50 Mark.«
Und so kam es, dass sich Franz anderntags bei seinem Chef Werner im Lagerhaus eine Hacke, eine Schaufel und die große Schubkarre ausborgte und damit in den Schickaneder-Wald ging, an die Stelle, die Django beschrieben hatte. Jede Menge Holzabfälle lagen herum, und Franz begann damit, die Stücke einzusammeln, zu zerkleinern und auf die Schubkarre zu laden. Ein paar Fuhren waren nötig zu Schickaneders Schuppen, wo er die größeren Stücke aufschichtete und das Reisig auf einen Haufen legte. Am nächsten Tag machte er sich ans Ausgraben und zwei Tage später hatte er den Stumpf freigelegt, zerstückelt und ebenfalls beim Schickaneder abgelegt. Dann klopfte er an die Stubentür.
»Einen Scheißdreck kriegst du!«, polterte der Bürgermeister, als Franz seine 50 Mark haben wollte.
»Für mein eigenes Holz soll ich zahlen? Schau, dass du weiterkommst, du Krüppel, du elender!« Damit schubste er Franz aus der Tür, und der war froh, dass er keine Schläge bekommen hatte. Zum ersten Mal in seinem Leben war Franz zwar richtig empört, aber es fiel ihm nichts ein, was er gegen dieses Unrecht hätte tun können. Also beschränkte er sich darauf, die Geschichte im Wirtshaus zu erzählen und bemerkte nicht, dass ihn die Schafkopfrunde auslachte, weil Django von seinem »Deppentest« bereits berichtet hatte.
5
Heute fragt sich Gundi, warum Django das damals gemacht hat. Weil er’s konnte? Viel schlimmer ist, dass Gundi sich erinnert, wie sie sich für ihren Freund schämte. Dass sie nach diesem Vorfall nicht mehr mit Franz rumhing und dass sie später, als sie sich von den größeren Buben umschwärmt fühlte, öfter sogar mitlachte über den Deppen Franz, der kurz zuvor ihr Freund gewesen war.
Sie hat sich selbst eingeladen. Wollte ihre ehemalige Schulfreundin noch einmal bitten, ihr als Kommunikationszentrum für den Hausverkauf zu dienen. Am Abend nach ihrem Wiedersehen im Laden sitzen Gundi und Liesi im Wohnzimmer im ersten Stock des Waldlerhauses, trinken Prosecco und schauen vom Sofa aus durch die große Fensterwand nach hinten hinaus der Sonne beim Untergehen zu. Eigentlich wollte Gundi sofort nach der Beerdigung wieder zurück in ihr altes Leben nach München. Zurück in ihre Wohnung, zurück zu ihren feuchtfröhlichen Abenden mit Ferdl und sogar zurück zu ihrem Job und den eher ungeliebten Kollegen.
»Weißt du eigentlich, wie dein Vater gestorben ist?«, fragt Liesi, und Gundi hat sofort ein schlechtes Gewissen, weil ihr diese Frage gar nicht in den Sinn gekommen ist. Seit sie voller jugendlichem Hass auf die Unser-Dorf-soll-schöner-werden-Spießer ihrer Heimat den Rücken gekehrt hatte, hat sie nur sporadisch Kontakt zu ihrem Vater gehabt. Ein einziges Telefonat an einem seiner Geburtstage hatte im Streit geendet und sie beließen es dabei, sich schriftlich und nur über das Nötigste auszutauschen. Immerhin hat die Nachbarin mit der Todesnachricht Gundi beim Tagblatt erreicht, so viel musste er sich also über seine missratene Tochter gemerkt haben. Dass er womöglich einsam oder sogar hilfsbedürftig geworden sein könnte, schießt Gundi erst jetzt durch den Kopf. Dass er vielleicht tagelang hilflos im Bett dahingesiecht ist. Dass er sogar Selbstmord begangen haben könnte.
»Er ist nicht an Altersschwäche gestorben?«
»Das würdest du dem alten Tyrannen nicht gönnen, was?« Liesi lacht. »Dein Vater wollt was sagen, auf der Bürgerversammlung beim Bräu«, fährt sie fort und wirft damit mehr Fragen auf, als es eine Antwort eigentlich tun sollte.
»Bürgerversammlung?«, fragt Gundi. Sie hat nicht einmal gewusst, dass es so etwas gab in Hintersbrunn.
»Ja, die haben wir jedes Jahr. Unser Bürgermeister, der Bernleitner Girgl, ist da vorbildlich. Er legt alles offen und jeder darf mitbestimmen. Bei uns geht’s echt demokratisch zu. Weißt du eigentlich, dass wir schuldenfrei sind, ich mein wir, die Gemeinde Hintersbrunn? Seit fünf Jahren!«
»Geh,