Die weise Schlange. Petra Wagner
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Читать онлайн книгу Die weise Schlange - Petra Wagner страница 16
„So ist es“, gluckste Akanthus und seine buschigen Augenbrauen wackelten vergnügt. Für Viviane war dies das Zeichen, mit dem Zittern aufzuhören und weiterzureden. Rasch setzte sie sich wieder ihrem Lehrer gegenüber.
„Je mehr ihre Söldner hier in Britannien Angst vor unseren Fähigkeiten bekommen, desto besser. Je mehr Druiden sich an strategisch günstigen Stellen verteilen, desto besser. Nun frage ich mich …“ Sie richtete sich betont gerade auf und schaute Akanthus fest in die Augen. „… wieso kann ich nicht hierbleiben und mithelfen, damit unser Ruf noch angsteinflößender wird? Ist die Heimkehr in mein Land wichtiger?“ Sie legte den Kopf schief. „Ist meine Heimat in Gefahr?“
Akanthus’ Blick verdüsterte sich und Viviane lief ein Schauder über den Rücken. Plötzlich hatte sie Angst, die fröhlichen Briefe ihrer Familie falsch verstanden zu haben.
„Nein, nein“, rief Akanthus und hob beschwichtigend die Hände. „Deiner Sippe geht es gut. Deinem Clan geht es gut. In deinem ganzen Land ist alles in Ordnung.“ Er seufzte. „Noch.“
Viviane kniff die Lippen zusammen, damit ihr keine Frage entschlüpfte, und schaute weiterhin abwartend zu ihrem Meister.
„Diesmal brauchte ich nicht einmal Späher, um das zu erfahren“, brummte Akanthus und bedeutete ihr, mit ihm zu kommen. Er führte sie zum Rand der Lichtung, wo eine Decke im Gras lag, und bat sie mit einladender Geste, Platz zu nehmen.
„So schlimm?“, rutschte es Viviane heraus und sie biss sich schnell auf die Lippe – zum einen, weil sie unaufgefordert gesprochen hatte, zum anderen, weil ihr der Kopf plötzlich wieder schmerzte.
Doch Akanthus war nicht ungehalten aufgrund ihrer Zwischenfrage. Er kramte sogar einen kleinen Weidenzweig aus seiner Gürteltasche und hielt ihn ihr mit besorgtem Blick hin.
„Salix? Nein, danke dir“, seufzte Viviane und hob abwehrend die Hand. „Mein Schädel tut weh, als hätte mir Uathach einen ganzen Weidenbaum übergezogen, aber ich will keine Medizin. Ich finde, ich habe die Schmerzen verdient. Wenn das nächste Besäufnis ansteht, werde ich mich besser erinnern.“ Mit verkniffener Miene setzte sie sich vorsichtig auf die Fersen und wartete, dass Akanthus seine Rede fortführte.
„Nun, es ist wirklich so schlimm, wie du guckst, Vivian“, murmelte er und verstaute das kleine Stück Weide wieder in seiner Gürteltasche. „Wie du inzwischen weißt, haben wir auch einen Chatten in unserem Bund.“
Akanthus deutete auf eine Decke ein Stück abseits, die sich nun bewegte. Der darunterliegende Drachenkrieger stand allerdings nicht auf. Er hob nur eine Hand, um zu zeigen, dass er da war.
„Sobald dein Drachenbruder erfuhr, dass du eine Hermundurin bist, hat er mir berichtet.“
Akanthus holte tief Luft und ließ diese langsam wieder ausströmen. „Er hat mir berichtet, die Chatten würden einen Krieg gegen die Hermunduren planen. Er wird noch dieses Jahr stattfinden. Du musst nach Hause, Vivian. Nicht zu eilig, aber besser vor Beltane. Und bitte vergiss nicht: Zu niemandem ein Wort darüber. Nur unter Druiden, sonst könnte eine Panik im Land ausbrechen. Und das wäre fatal. Es stünde arg schlecht um deine Heimat, wenn deine Leute flüchteten, bevor die Chatten kommen.“
„Oh ja, das wäre ein gefundenes Fressen für die Chatten. Aber eins verstehe ich nicht“, murmelte Viviane. „Wieso wollen sie sich meine Heimat einverleiben? Ich meine, die Chatten haben zwar schon immer über die Stränge geschlagen; mal ein Viehdiebstahl hier, mal ein gestohlenes Schaffell da … ich schätze, das ist nun mal so, wenn man nach Westen hin an ein berühmt-berüchtigtes Kriegervolk grenzt. All ihre unzivilisierten Sitten, wenn sie zum Krieger aufsteigen … Doch bis jetzt hat sich das stets in Grenzen gehalten. Wieso wollen sie auf einmal Krieg gegen unser ganzes Volk führen? Gut, wir sind friedlich und haben keinerlei Interesse daran, das zu ändern; wir schöpfen schließlich unseren Wohlstand aus diesem Frieden. Aber die wissen doch, wie groß wir sind und wer alles zu unserem Hauptstamm gehört. Alle Unterstämme der Sueben stehen hinter uns. Die Chatten können es sich schlichtweg nicht leisten, mit uns allen im Clinch zu liegen. Und wenn du einen Feind nicht besiegen kannst …“
„… dann mache ihn zum Freund. Korrekt.“
Akanthus tätschelte Viviane die Schulter. Er hatte die Augenbrauen hochgezogen, wartete also noch auf eine geistreiche Erkenntnis ihrerseits.
Viviane strengte ihren schmerzenden Kopf an, doch sie fand einfach keine sinnvolle Schlussfolgerung, die den Ansprüchen ihres Lehrers genügte.
„Was würde am Ende Sinn ergeben?“, überlegte sie dennoch laut und hoffte, nun möge ihr des Rätsels Lösung einfallen. Akanthus sah sie genauso wissbegierig an, wie sie sonst immer ihn.
„Nun gut, meine Überlegung ist folgende: Ohne Verbündete, mächtige Verbündete wohlgemerkt, haben die Chatten keine Chance und da kommen nur die Römer in Betracht. Aber: Die Römer sind nicht nur mit den Chatten befreundet, sie sind auch mit uns Hermunduren befreundet. Wieso sollten sie diesen Frieden riskieren? Die haben ihre Lektion gelernt, die trauen sich nicht noch mal über unsere Reichsgrenze, egal an welcher Stelle. Daraus folgt: Wenn die Chatten uns allein besiegen wollen, müssen sie schneller von Westen anrücken, als unsere Verbündeten von Osten über den Thuringer Wald kommen. Es sei denn …“
Vivianes Augen wurden schmal, bevor sie knurrte: „Es sei denn, die Römer haben sich heimlich mit den Chatten verbündet und legen unsere Verbündeten im Osten lahm. Das wäre zu schaffen. Die Römer müssten nicht mal fremden Boden betreten, ihre Reichsgrenze schließt ja – wie praktisch – an Suebenland. Ein paar Gerüchte, mysteriöse Truppenbewegungen … schon wären die Sueben samt Unterstämmen in Alarmbereitschaft, denn auch sie haben ihre Lektion gelernt. Wenn die eigene Heimat in Gefahr ist, kommt uns kein Verbündeter zu Hilfe. Und Chatten gegen Hermunduren, das ist wie Wölfe gegen Schafe. Aber warum? Warum?“
Viviane schüttelte den Kopf und warf die Hände darüber, was in ihrem Zustand beides eine schlechte Idee war. Hastig sprang sie auf, würgte und rannte in den Wald.
Als sie nach geraumer Zeit zurückkam, saß Akanthus immer noch so da, wie sie ihn verlassen hatte.
„Musste mir noch mal die Zähne polieren und viel gurgeln und Füße waschen“, murmelte sie, während sie sich besonders ehrerbietig auf die Fersen setzte.
„Hast du dabei die Nuss geknackt?“
„Nüsse knacken? Am See, zu Ostara? Ach so.“
Viviane schmunzelte. Bilder und Sprache zu kombinieren war typisch für Druiden.
Damit konnte man das Wissen gut im Kopf behalten. Ganze Geschichten entstanden nur deshalb, um sich viel Wissen leicht zu merken. Die Mythen vom Lachs der Weisheit oder von klugen Raben kamen nicht von ungefähr. Aber dass Raben wirklich Nüsse auf Wege legten, um sie von Pferdehufen oder Wagenrädern knacken zu lassen, nutzte ihr im Moment nichts – auch wenn Raben die Symboltiere der Druiden waren.
„Nein, ich kann diese Nuss nicht knacken. Ist zu hart für mich und kein Wagen in Sicht.“
Zu ihrer Erleichterung lächelte Akanthus nachsichtig und sagte: „Merkwürdig. Du hast extra einen Umweg gemacht und mich hier warten lassen.“
„Nun ja, ich wollte dir doch nicht mit stinkendem Atem und Füßen gegenübersitzen. Da bin ich also schnell zum See gerannt und dann erst hierher zurück.