Die weise Schlange. Petra Wagner

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Die weise Schlange - Petra Wagner

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das Horn weggenommen, sondern sogar höchstpersönlich nachgefüllt.

      Nebenbei hatte er Viviane mit saftigem Braten und anderen Leckereien versorgt und sie mit ihren neuen Drachenbrüdern und -schwestern bekannt gemacht. Durch seinen Vater kannte er alle und Viviane fühlte sich sehr geehrt, weil sich der höchste Druide eine ganze Weile nur mit ihr unterhielt.

      Zum Beispiel fand er es interessant, dass auch Vivianes Clan Cernunnos als Gott der Anderswelt verehrte. Noch mehr faszinierte ihn, dass sie beide die gleiche Augen- und Haarfarbe hatten – so grün wie Moos und so rotbraun wie das Holz des fernen Mahagoni –, während sein Sohn die blauen Augen und kupferroten Haare seiner Mutter hatte. Manch einer hätte darin ein Zeichen gesehen, lachte er; schon waren sie im Gespräch über Vivianes Blasrohrschießen und umringt von vielen Bewunderern.

      Bis in die Nacht hinein hatten sie gefeiert, geredet und getanzt – nicht nur zu den mitreißenden Trommelklängen, sondern auch zu anderen Instrumenten und Gesang, denn einige der Drachenkrieger waren Barden und beherrschten die Kunst der Unterhaltung auf das Vortrefflichste.

      Natürlich gab es auch andere, die recht passabel singen oder Instrumente spielen konnten, und nach dem siebten oder achten Horn voll Korma fiel Viviane ein, dass auch sie dazugehörte. Sie hatte extra ein paar lustige Tanzlieder eingeübt.

      Weil sie nackt zu ihrer Initiation kommen musste, hatte sie Uathach nicht nur mit dem Bereitstellen der Pferde beauftragt, sondern auch damit, ihre kleine Zinnpfeife mitzubringen.

      „Beim Geweih von Cernunnos“, stöhnte Viviane beim Gedanken an diese Erinnerung und hielt sich die Augen zu. „War das peinlich.“ Mit langsamen Bewegungen schob sie sich auf dem Ast rückwärts und kroch unter die Decken. Jetzt dämmerte es langsam, auch bei ihr im Kopf.

      Nach der höchst speziellen Ankunft der Pferde hätte sie es eigentlich wissen sollen, aber nein, betrunken wie sie war, hatte sie quer über die Lichtung nach ihrer Tin Whistle gebrüllt. Uathach hörte sofort, schlenderte gemächlich zu ihr herüber und verkündete lauthals, gleich gäbe es was zu bestaunen – und der Drache auf ihrer Brust schien zu grinsen, als sie sich das letzte Stück Hirschbraten in den Mund schob.

      Das kam Viviane nun doch etwas verdächtig vor. Sie stützte ihr Kinn auf Merdins Arm, damit sie besser über ihren ausgestreckten Finger sehen konnte, und rief: „Has mein Dn Whsle midbrachd, wie ichs dir g’sagd hab, hicks?!“

      „Ja, hab ich bei mir, keine Bange“, rief Uathach sehr gut verständlich zurück, obwohl sie zweimal so viel getrunken hatte wie Viviane und sich nebenbei den Fleischsaft aus den Mundwinkeln leckte.

      Zwar konnte Viviane höchstens halb so gut sprechen, dafür aber mindestens doppelt so viel sehen, und eine kleine Zinnpfeife – weder in zweifacher noch in dreifacher Ausfertigung – sah sie nirgendwo an Uathach.

      „Wo hasse dnn versdegd“, hatte sie deshalb gelallt und ihre nackte Freundin von Kopf bis Fuß beäugt. Diese griff sich feixend zwischen die Beine und Viviane konnte nur noch „bloß nicht!“ kreischen.

      Uathach hatte losgejohlt und alle anderen auf der Lichtung gleich mit – hundert wiehernde Pferde waren nichts dagegen.

      „Dieses Wahnsinnsweib macht mich fertig“, jammerte Viviane nun, unter ihren Decken und mit ordentlicher Aussprache. Selbstverständlich hatte Uathach die Tin Whistle nicht zwischen den Beinen versteckt, sondern in ihrer riesigen, blonden, steif aufgetürmten Haarmähne; in ihrer Trunkenheit war sie der Freundin gründlich auf den Leim gegangen. Während Uathach spöttisch grinste, hatte sie zu ihr aufgeblickt wie der Ochs vorm Scheunentor; sämtliche Krieger hatten sich gebogen vor Lachen.

      Viviane zog ihre Decken fester um sich und seufzte. Einmal im Leben hatte sie so richtig Eindruck schinden wollen und alle, wirklich alle, hatten sich auf ihre Kosten amüsiert; es war schon arg beschämend. Am besten versteckte sie sich hier unter den Decken und wartete, bis keiner mehr da war. Unvermittelt huschte ein Grinsen über ihr Gesicht. Sie hatte einen Beitrag zur Unterhaltung leisten wollen? Nun, aus Sicht der Krieger war ihr das wohl bestens geglückt; alle hatten einen Heidenspaß gehabt. Viviane kicherte in sich hinein. Ja sie prustete los, als sie die Szene noch einmal vor Augen sah und sich unter die Krieger mischte. Von hier aus war beste Sicht auf den Ochs vorm Scheunentor und sie hatte wirklich gut lachen.

      „Vivian“, flüsterte da jemand unter ihr. „Geht es dir besser?“

      „Besser? Gings mir schon mal schlechter?“

      Viviane gluckste und lugte – samt Decken über dem Kopf – zwischen ihrer Astgabel hindurch in Richtung Stimme. Der Sonnenaufgang nahte zwar noch nicht, aber mittlerweile war es vor ihrer wolligen Höhle hell genug, um Umrisse zu erkennen.

      „Akanthus! Beim Geweih …“ Hastig versuchte sie, sich in eine ehrerbietige Position zu bringen und rutschte auf der Astgabel herum – es war aussichtslos. Sie ächzte und schnaufte zwischen ihren Decken, Waffen, Händen, Füßen und Knien so ärgerlich vor sich hin, dass ihr Lehrmeister lachen musste.

      „Ja, ich bin das. Ganz allein und privat, wohlgemerkt. Daher keine Umstände, keine Zustände oder was du sonst bekommst, wenn ich eine Antwort haben will.“ Er gluckste vergnügt. „Ich wollte mich nur erkundigen, ob meine Hypnose gewirkt hat.“

      „Deine … Hypnose? Gewirkt?“

      Viviane beugte sich so abrupt vor, dass sie fast wieder vom Ast gefallen wäre, doch mittlerweile hatte sie Übung im Festhalten und die Sicht wurde auch langsam besser. Akanthus stand vollkommen entspannt drei Schritte von ihr weg unter der Buche und betrachtete durch die kahlen Äste hindurch einen blass-blauen Lichtstreif am Himmel.

      „Es war bloß eine ganz leichte Hypnose“, erklärte er dermaßen langsam, als hätte er eine Kriegerin vor sich, die den Wettstreit im ‚Korma-Trinken‘ gewonnen hatte. „Du hast ziemlich neben dir gestanden. Ein erholsamer Schlaf schien mir richtig. Beim ersten Vogelgezwitscher solltest du wieder aufwachen.“

      „Gezwitscher?“ Viviane spitzte die Ohren. „Ah, jetzt fällt mir das auch auf. Unsere gefiederten Freunde machen ein Heidenspektakel, damit unsereins den Tagesanbruch nicht verpasst. Apropos nichts verpassen …“ Sie leckte sich die Lippen und befühlte ihren Hals. „Ich glaube, ich habe das ganze Korma wieder hergegeben.“

      „Das scheint mir auch besser. War eben dein erstes Besäufnis mit Korma. Das hat bis jetzt jeden umgeworfen.“ Akanthus zuckte die Schultern. „Glaube mir, ich kenne mich da aus. Beim nächsten Mal hörst du rechtzeitig auf.“

      „Auf ein nächstes Mal kann ich gut verzichten.“ Viviane stöhnte leise vor sich hin und legte ihren Kopf vorsichtig auf dem Ast ab. Offenbar hatte sie von ihrem kleinen Lachanfall Kopfschmerzen bekommen. „Ich kann also davon ausgehen, dass ich ohne Hypnose schlimmer dran wäre“, seufzte sie mit geschlossenen Augen.

      „Ganz recht.“ Akanthus betrachtete immer noch den breiter werdenden Schimmer durch die Äste und schmunzelte. „Aber die Buche hast du dir selbst als Schlafplatz gewählt.

      Damit hatte ich nichts zu tun. Ehe ich mich versah, warst du oben und hast geschlafen. Wir konnten dich nur noch zudecken.“

      „Danke dir und wem auch immer für die Fürsorge“, murmelte Viviane und wedelte schlaff mit der Hand. „Ich versuch mal den Abstieg.“

      Nachdem sie sich mühsam von der Buche gehangelt und die Wolldecken hinter sich hergezogen hatte, ließ sie ihren Blick über die Lichtung schweifen. All ihre Drachenbrüder und -schwestern lagen ordentlich unter Decken im tiefen Schlummer, nur Akanthus stand da und machte einen

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