Die weise Schlange. Petra Wagner
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Читать онлайн книгу Die weise Schlange - Petra Wagner страница 17
„Na, ist doch klar wie ein Gebirgsbach, da freut sich der dritte.“ Viviane nickte überzeugt, sie hatte das selbst oft ausgenutzt. Kaum schwelgte sie in Kindheitserinnerungen, bekam sie große Augen.
„Du meinst …“ Sie holte tief Luft und beugte sich zu Akanthus, damit sie besser hinter vorgehaltener Hand flüstern konnte: „Du meinst, die Römer tun nur so, als ob sie mit den Chatten gemeinsame Sache machen? Sie brauchen bloß abwarten, bis ihre Rechnung aufgeht? Erst werden wir Hermunduren von den Chatten überrannt. Dann ziehen die Römer ihre Truppen im Osten ab. Unsere Verbündeten strömen über den Thuringer Wald und können die Chatten zurückschlagen. Hinterher sind wir alle geschwächt und schon nehmen uns die Römer allesamt in die Zange.“
Viviane merkte, dass sie lauter geworden war. Rasch senkte sie ihre Stimme zu einem Wispern: „Hermunduren, Semnonen … den kompletten Sueben-Stamm schieben sie sich mit der rechten Hand in den gierigen Schlund und die Chatten gleichzeitig mit der linken.“
„Und das letzte große Stück Freiheit auf dem Festland wäre verschluckt.“ Akanthus nickte besorgt. „Das entspricht der Denkweise der Römer und ist deshalb möglich. Wenn all meine Späher Bericht erstattet haben, werden wir es genauer wissen. Aber bis dahin können wir nicht warten.“
„Ich kehre nach Hause zurück“, knurrte Viviane. „Wenn ich die Chatten überlebe, komme ich wieder hierher und dann brate ich mir einen römischen Adler nach dem anderen zum Frühstück.“
„Ich lade mich schon mal für mehrere Tage zum Essen ein“, gluckste Akanthus und beugte sich nah zu ihr hinüber.
„Dem ersten Adler kannst du bereits jetzt ein paar Federn ausrupfen“, raunte er verschwörerisch. „Ich habe vor deiner Heimkehr noch eine Mission für dich, bei der du zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen kannst. Nach der großen Verabschiedung reitet ihr los.“
„Gleich heute mein erster Auftrag? Welche Ehre!“
Vivianes Augen leuchteten auf und diesmal zog sie die Augenbrauen hoch. Akanthus zeigte wieder sein väterlich-stolzes Lächeln und erklärte: „Es handelt sich um eine äußerst riskante Rettungsmission, extrem kurzfristig geplant, aber ich habe vollstes Vertrauen in eure Fähigkeiten. Ihr werdet inkognito reisen, verkleidet als Römer. Zur Sicherheit werdet ihr euch auch die Haare färben. Da ihr alle mehr oder weniger rothaarig seid, deckt ein dunkles Braun am besten. Es fällt auch nicht so ins Auge. Niemand soll euch erkennen, denn ihr müsst nach Osten, weit hinein in römisches Gebiet. Londinium ist euer Ziel. Dort sollt ihr Sklavinnen befreien. Danach werdet ihr in eure Mutterclans zurückkehren, bis unser Ruf euch wiederbringt.“
Viviane biss sich schnell auf die Lippe, sonst hätte sie vor Freude gejauchzt; allerdings wollte sie vorher noch eine Frage klären: „Was hat es mit diesen Sklavinnen auf sich, kannst du mir das sagen, oder besser, darfst du es?“
„Ja, ich darf“, bestätigte Akanthus, „doch ich muss dich warnen. Wappne dich und bleibe ruhig.“
Viviane nickte und schaute ihren Meister erwartungsvoll an.
„Ein Dutzend römische Söldner haben drüben im Osten, bei den Trinovanten, eine Hallstatt ausgeraubt.“
„Nein“, keuchte Viviane und schlug sich die Hände vor den Mund.
„Oh, doch, sie habe es tatsächlich gewagt, die Grabhügel ehrbarer Trinovanten zu schänden, heimlich bei Nacht und Nebel. Aber damit nicht genug.“
„Es kommt noch schlimmer?“ Viviane riss die Augen auf.
Akanthus nickte traurig. „Als die dort ansässigen Trinovanten bemerkten, was vor sich ging, haben sie sich schleunigst zusammengerottet. Und kaum hatten sie einen Fuß auf ihre eigene Hallstatt gesetzt, waren sie von einem ganzen Heer umzingelt. Es war ein Hinterhalt, verstehst du? Eine ausgeklügelte List der Römer, um an Gold zu kommen und gleichzeitig Aufsässige zu beseitigen. Die Trinovanten waren hoffnungslos in der Unterzahl, alle starben im Kampf. Gestern gab es eine Gerichtsverhandlung – Militärgericht, wie du dir denken kannst – und die Römer bekamen recht. Sie wollten doch bloß ein Übungslager aufschlagen und waren völlig grundlos angegriffen worden. Es war ihr Recht, sich zu verteidigen. Als Wiedergutmachung …“, Akanthus knurrte, wie es Viviane noch nie von ihm gehört hatte, „… als Ausgleich für ihre Verluste forderten sie die schönsten Maiden von dem betreffenden Trinovanten-Clan. Gestern, am späten Abend, erreichte uns ihr Hilferuf.“
„Gestern Abend?“, entfuhr es Viviane. „Während ich fröhlich feiere, werden woanders junge Maiden versklavt?“ Beschämt schlug sie die Hände vors Gesicht.
„Du brauchst dir keine Vorwürfe machen“, beschwichtigte Akanthus und beugte sich vor, um ihr die Hände herunterzuziehen. „Mein Bote musste doch erst die Taube in Empfang nehmen und herreiten. Zu der Zeit hatte ich dich bereits unter Hypnose gesetzt und ich hätte sowieso niemanden in der Nacht reiten lassen; keiner von uns war einsatzfähig, schon gar nicht übereilt, halb im Tran und ohne Plan. Immerhin habe ich bereits einiges in die Wege geleitet: Unsere Drachenkrieger und Helfer sind instruiert; das Schiff dürfte mittlerweile auch lahmgelegt sein, allerdings kann man es nicht ewig aufhalten.“
„Das Schiff?“
Akanthus seufzte. „Die Maiden sollen heute, wohl gegen Mittag, nach Londinium aufbrechen. Wie lange sie für diese Strecke brauchen, kann ich nicht sagen; jedenfalls sollen sie auf ein Sklavenschiff gebracht werden, das zufällig im Hafen vor Anker liegt.“
„Na, das haben die Römer ja geschickt eingefädelt. Egal, ob diese armen Maiden jemals wieder lachen können, Hauptsache, die Münzen klingen fröhlich. So einfach ist das. Ich hasse Sklaverei. Und die Trinovanten haben sich nicht gewehrt, sonst wäre es noch schlimmer gekommen. Womöglich wäre der ganze Clan versklavt worden.“ Viviane nickte bedächtig. Es war gut, dass Akanthus ihre Hände in den seinen hielt, sonst hätte sie nicht so ruhig reden können. „Wirklich sehr raffiniert, diese Römer. Und wer weiß, vielleicht haben sie sogar gehofft, dass sich sämtliche Clans auflehnen. Dann hätten sie die ewig aufsässigen Trinovanten ein für alle Mal vernichtet und der Statthalter von Britannien würde sogar noch als Friedensstifter gefeiert. Aus Sicht der Römer völlig zu Recht.“
„Ja“, bestätigte Akanthus, „dem Sieger gebührt das Recht. Doch so wahr ich der Anführer der Drachenkrieger bin: Jenem, der für Blut und Schande Verantwortung trägt, sage ich einen Tod voraus, der seinen Taten entspricht.“ Er bog seinen Kopf zurück und mit einem monströsen Grollen aus seinem tiefsten Inneren knurrte er: „Quintus Veranius, ich werde dich finden, wo immer du bist.“
Unwillkürlich schaute Viviane gen Osten und fragte sich, ob Quintus Veranius, der Statthalter Neros, wohl wusste, was für Qualen seiner harrten.
„Bei dieser Gelegenheit muss ich noch eines ausdrücklich klarstellen“, sagte Akanthus sehr ernst, nun wieder in seiner normalen Tonlage. „Es gibt Situationen, da auch ein Drachenkrieger kämpfen und töten darf, ohne angegriffen zu werden.“ Er lächelte matt, weil sich Viviane prompt versteifte, und fuhr fort: „Ja, meine gelehrige Schülerin, schau nicht so entsetzt. Selbstverständlich muss man seine Taten rechtfertigen, aber auch unsereins darf ohne Strafe die eigenen Regeln brechen, wenn es keine andere Möglichkeit gibt und wenn es einem höheren Zweck dient. Das musst du begreifen, hier und jetzt.“ Er sah Viviane tief in die Augen und tätschelte sanft ihre Hände.
„Gut“, sagte sie völlig ruhig, aber zu allem entschlossen. „Ich werde diese armen Maiden befreien. Wer ist noch dabei?“
Statt