Die weise Schlange. Petra Wagner

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Die weise Schlange - Petra Wagner

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sie hatten keinen Hütehund und Vivianes Grollen völlig missverstanden.

      „Keine Bange. Ich bin gleich wieder sanftmütig, aber vorher …“

      Wolfsmäßig schlich Viviane vor dem Pulk auf und ab und grinste jedem ins Gesicht, der sich nicht tief genug duckte.

      „Wer hat sich den Reflextest ausgedacht?“, knurrte sie. „Nein, nicht vorsagen! Lasst mich raten …“ Langsam, sehr langsam ging sie noch einmal an allen vorbei, dann blieb sie vor Merdin stehen und klopfte ihm leicht gegen seinen römischen Legionärshelm.

      „Der hier käme in Betracht.“

      Sie fuhr mit einer Hand über den Helmbusch aus rot gefärbtem Pferdehaar und kicherte: „Sehr hübsch und so dicht, damit könnte man prima den Boden fegen. Warum wird der Helmbusch, diese sogenannte Crista, noch mal quer getragen? Weil die Zenturionen dann besser in der Spur laufen? Nein, lass gut sein, Merdin, das war rein rhetorisch gemeint, jetzt kommen erst die Fragen, auf die ich Antworten will.“ Unvermittelt fing Viviane laut an zu grollen: „Erste Frage: Wie habt ihr eure langen Haare da drunter verstecken können? Zweite Frage: Wo habt ihr die vielen römischen Kriegsmonturen her?

      Dritte Frage: Wie standen die Wetten, dass ich so reagieren würde? Antworte rasch, sonst …“ Mit der Zunge schnalzend hob sie Merdins Waffenrock und suchte die beste Stelle zum Zubeißen.

      „Lass das Vivian, ich bitte dich!“ Merdin klatschte sich die vielen Lederstreifen seines Waffenrockes wieder gegen die Schenkel und packte ihre Hand. „Das ist doch bloß unsere Verkleidung, damit wir ungehindert durch die romtreuen Gebiete kommen!“ Er starrte auf Vivianes schmale Hand in seiner großen Pranke und schien jetzt erst zu merken, wie stark er sie drückte. Schnell fasste er um und streichelte ihre Finger mit seinem Daumen. „So können wir die Heeresstraßen benutzen und kommen viel schneller vorwärts.“

      „Ach, verstehe. Prima Idee. Das ist wirklich täuschend echt! Womöglich original?“

      Sie zwickte Merdin in die Kniekehle und als er zuckte, schnippte sie ihm einen Finger unter die Nase.

      „Auuu…ch brauchst du keine Bange haben, Vivian. Kein römischer Legionär musste dafür sein Leben lassen. Schon vor längerer Zeit ist einer unserer Drachenbrüder losgezogen und hat seine Kontakte genutzt. Über zehn Ecken haben wir die Waffenröcke, die Beinschienen, die Schilde, die Schwerter, die Rangabzeichen, meine besonderen Auszeichnungen, also die gesamte Ausstaffierung redlich erworben, sogar die Unterkleider und Mäntel. Ein Extra für unsere Haare und deine Extravaganzen haben unsere Drachenfreunde, also diese hier, selbst gefertigt.“ Er machte eine vage Geste rundum in Richtung der wieder zum Leben erwachten Dorfbewohner.

      „Alles Originale, sagst du? Dieses Sagum auch? Beim Geweih von Cernunnos, ich wollte schon immer mal die römische Webarbeit testen!“ Viviane zerrte Merdin an seinem roten Mantel ganz nah an sich heran. „Nun ja, ziemlich dichte Filzwolle, recht annehmbare Güte, haben die bestimmt von uns gekauft. So, und jetzt, Zenturio, hätte ich gern meine erste Frage beantwortet.“

      „Ach so. Also die Helme sind auch redlich erworben. Es gibt verschiedene Größen. Wer wenig Haare hat, bekommt einen engen Helm. Wer mehr Haare hat, bei dem ist der Helm weiter und er bekommt ein Haarnetz, damit nichts rausrutscht.“ Eilfertig hob Merdin seinen Helm an und deutete auf seine frisch gefärbten Haare, die dunkelbraun und eng um seinen Kopf lagen. „Gefangen im Miniatur-Netz unserer Drachenfreunde.“

      Viviane schürzte die Lippen.

      „Hm. Das muss ich mir haargenau ansehen. Ich brauch mehr Licht.“ Sie zerrte Merdin Richtung Tür. „Also wirklich schick, so eine römische Suppenschüssel-Frisur.“ Sie zog an dem Haarnetz und murmelte verblüfft: „Das lässt sich tatsächlich ein wenig dehnen. Ist aber keine Spinnenseide, sondern Leder. Feinste Lederstreifen, sehr kunstfertig geknüpft.

      Du sagst, dieses Extra haben unsere Freunde hier gefertigt? Beachtlich.“

      Sie wandte sich an die Dorfbewohner und nickte ihnen sehr freundlich zu. „Verzeiht mir meine harschen Worte und nehmt mir nichts übel. Normalerweise benehme ich mich nicht wie eine Furie. Also, meine lieben Gastgeber, nehmt ihr meine Entschuldigung an?“

      „Selbstverständlich! Selbstverständlich!“, riefen die Dorfbewohner mehr als erleichtert und wuchsen zusehends in die Höhe.

      „Sehr gut. Und natürlich möchte ich mich auch bei euch bedanken für die Arbeit, die ihr hier geleistet habt. Diese Haarnetze sind wirklich eine geniale Idee. Ich würde mir gerne mal die Knüpftechnik zeigen lassen, aber vorher will ich meine dritte Frage beantwortet haben.“

      „Ja, die Knüpfarbeit ist wirklich sehenswert.“ Merdin legte einen Arm um Viviane und führte sie aus dem Langhaus. „Bei der Gelegenheit zeig ich dir gleich, was die Leute noch alles schaffen, wenn der Winter lang ist.“ Glucksend riss sich Merdin den Helm vom Kopf und stülpte ihn Viviane über.

      „Wir haben auch deine Utensilien parat gelegt!“, rief der Dorfvorsteher und eilte Viviane nach zur Tür. Dabei wedelte er entschuldigend mit den Händen, weil ihm das erst jetzt eingefallen war. „Akanthus hat uns bestens instruiert! Es wird dir gefallen! Allein die Kleider …“ Als Viviane abrupt stehen blieb, hörte er sofort mit dem Rufen und Wedeln auf. Er sah ziemlich besorgt drein und machte einen Schritt rückwärts, als befürchte er einen neuen Wutausbruch ihrerseits, doch sie klatschte sich nur die Hand auf den Helm.

      Viviane hatte nicht bedacht, wie laut der Schlag in ihren Ohren scheppern würde, aber das geschah ihr nur recht. Sie hatte tatsächlich vergessen, dass Akanthus ihr gesamtes Gepäck zur dritten Rast schicken wollte, und der Aufenthalt in diesem Dorf war die dritte Rast. Was sie allerdings nicht wissen konnte, war erstens, dass Akanthus eine komplette Reisekutsche mitlieferte, und zweitens, dass sie einen römischen Markt besuchen würde. Viviane blinzelte heftig. Vor einem der anderen Häuser im Dorf stand nun tatsächlich eine prächtige Kutsche. Doch ihr blieb keine Zeit, diese zu bestaunen, denn kaum, dass ihr Merdin den Helm abgenommen hatte, schob er sie in das Haus hinein.

      Darin hatten sich sämtliche Frauen versammelt und präsentierten die feinsten Kleider aus Wolle, Leinen und Seide – allesamt im römischen Stil gehalten und mit sämtlichem Zubehör versehen. Da die Dorfbewohner mit ihren Näharbeiten ehrlichen Handel trieben, konnten sie Viviane nicht nur ausstaffieren, sondern ihr auch noch wertvolle Ratschläge mit auf den Weg geben.

      So kam es, dass Viviane wenig später frisch frisiert in echten römischen Gewändern steckte und gar nicht mehr aufhören konnte, freudig vor sich hin zu murmeln.

      Alles war komplett aus feinster Seide gefertigt. Ihre Tunika war sonnengelb mit hellgrüner Borte und reichte ihr bis zu den Knöcheln; darüber trug sie eine bodenlange hellgrüne Stola mit aufgestickten rosa Dahlien. Sie war so von ihrer neuen Gewandung fasziniert, dass sie überschwänglich von einem Dorfbewohner zum nächsten tänzelte, um sich zu verabschieden und für die Gastfreundschaft zu danken. Jenen, die vor Kurzem noch ihren Zorn hatten erdulden müssen, hauchte sie einen Kuss auf die Wange. Merdin stellte sich einfach mit dazu, und sie erwischte ihn tatsächlich gleich mehrmals, ohne sich zu beschweren. Es war ihm ein Leichtes, sie nach unzähligen „Auf Wiedersehen!“ und „Besten Dank für die schönen Kleider! Und natürlich besten Dank für die Bewirtung!“ in die Kutsche zu heben.

      Nachdem er die Tür ganz leise zugedrückt hatte, hörte er Viviane drinnen murmeln:

      „Also dieses Busenband, an das muss ich mich erst gewöhnen, aber das Tunika-Kleid ist dermaßen anschmiegsam … sehen doch recht hübsch aus, wie saftig gelbe Äpfelchen … und diese Stola mit den feinen rosa Blümchen, die kann ich bestimmt

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