Die weise Schlange. Petra Wagner

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die weise Schlange - Petra Wagner страница 20

Die weise Schlange - Petra Wagner

Скачать книгу

mir vor, als hätte ich gerade ein Stück von mir selbst verloren“, murmelte Merdin und wandte sich zum Ufer.

      „Was sein muss, muss sein“, sagte Viviane mehr zu sich selbst und fuhr sich durch ihre nassen Haare, die ihr nun lang bis auf die Hüften fielen, ohne Zöpfe. Sie seufzte schwer und wusch sich noch einmal das Gesicht, dann folgte sie Merdin aus dem Wasser.

      Zum Abendbrot hatte sie dunkelbraune Haare, genau wie alle anderen Drachen auch.

      Merdin musste grinsen, als Viviane ihn mit offenem Mund anstarrte. Aber sie konnte gar nicht anders, es war einfach zu verblüffend: Mit seiner neuen Haarfarbe sah er aus wie ihr Ziehbruder Silvanus daheim. Sogar Merdins verschmitztes Lächeln erinnerte Viviane an ihn. Nur die Augen waren nicht dunkelbraun, sondern immer noch unverkennbar himmelblau.

      Viviane war die Ähnlichkeit gleich bei ihrer ersten Begegnung mit Merdin aufgefallen, zumal sie damals, bei Dunkelheit, gedacht hatte, seine Haare wären braun statt rot. Doch jetzt, mit seinen dunkelbraun gefärbten Haaren glichen sich die beiden auf frappierende Weise. Natürlich wusste sie, dass man überall Leute treffen konnte, die einem ähnlich sahen.

      Viviane zuckte die Schultern. Ihr war das bislang noch nicht passiert, und sie maß dieser Beobachtung nicht viel Bedeutung bei. Bevor sie sich weiter wunderte, suchte sie lieber die großen Tische danach ab, was es Schönes zu essen gab. Ah, Kräuterquark und frisches Brot.

      Merdin seufzte. Vivianes moosgrüne Augen schauten nicht mehr auf ihn und strahlten trotzdem noch bewundernd; nein, sie flackerten regelrecht gierig von einer Schüssel zur nächsten. Er musste schleunigst zusehen, genug von dem leckeren Quark abzubekommen.

      Viviane aß und aß. Selbstverständlich ließ sie genug für ihre Drachenbrüder übrig, und sie ließ sich auch Zeit zum Genießen; nach dem Festessen und den vielen Fleischresten war ihr die einfache Kost mehr als willkommen. Bald waren alle Krieger so satt und müde, dass sie nur noch schlafen wollten.

      Nach dem obligatorischen Zähnepolieren wurden sie zu ihren Schlafplätzen geführt, die Männer auf den Dachboden des Langhauses, Viviane in eines der Grubenhäuser.

      Zoaks Mutter, Scilla hieß sie, schob die Tür auf und entschuldigte sich wortreich, weil in dem Grubenhaus sonst nur Flachs gelagert wurde und das Bett recht schmal war. Aber dafür war es von ihr höchstpersönlich mit Stroh und feinen Bettkräutern ausstaffiert worden. Viviane fand es großartig, ein eigenes Zimmer zu haben, von den riesigen Bündeln Flachs mal abgesehen, und versicherte Scilla, das Stroh dufte herrlich, genau wie bei ihrer Mutter daheim.

      Das brachte ihre Gastgeberin auf einen Gedanken und sie erzählte, wie gern sie zu ihren fünf Söhnen auch ein Töchterchen gehabt hätte, eines wie Viviane. Fürsorglich wickelte sie ihre neue Ersatztochter in eine flauschige Wolldecke und betrachtete sie mit großem Wohlwollen. Viviane wünschte Scilla eine gute Nacht und schlief fast augenblicklich ein, als wäre sie ein sattes, zufriedenes und sehr müdes kleines Mädchen.

      Das war es also, was Akanthus mit ‚bestens vorbereitet‘ meinte.

      Am nächsten Morgen, bei Haferbrei mit feinstem Honig, erzählte Viviane von ihrem Traum, bei dem fünf Mädchen im Grubenhaus Verstecken gespielt hatten, und brachte Scilla damit zum Strahlen. Sie hätte Viviane gern ein wenig länger dabehalten, aber die Drachen hatten keine Zeit zum Verweilen. Bald verabschiedeten sie sich von ihren Gastgebern und diese wurden es nicht müde, Scillas Sohn und seinen Begleitern nachzuwinken, bis sie außer Sicht gerieten.

      Nun führte Kassus die Truppe an und am Abend kehrten sie in dessen Dorf ein. Nach freundlicher Begrüßung und entspannendem Schwitzbad gab es eine sämige Suppe mit roter Beete zu essen. Viviane unterhielt sich mit Kassus’ Mutter, bei der sie übernachten durfte, und konnte nur an eine kuschelige Decke denken.

      Diesmal träumte sie von fünf kleinen Jungen, die auf riesigen Holzlöffeln ritten; mit viel Spaß ging es über Tische und Bänke, die Holzlöffel-Pferde schlürften Suppe und rupften Stroh aus den Betten.

      Am nächsten Morgen erzählte sie auch dieser Mutter von ihrem Traum, obwohl ihr das wegen der Ähnlichkeit zum Vortag mehr als seltsam vorkam. Fast hätte Viviane irgendeine Droge in der Suppe oder im Brot vermutet, aber das wäre ihr aufgefallen. Als sie erneut Haferbrei mit bestem Honig vorgesetzt bekam und in zwei strahlende Augen blickte, nahm sie sich vor, gar nichts mehr zu vermuten.

      Dieser Vorsatz hielt exakt bis zum Betreten des Langhauses an. Statt ihrer Drachenbrüder standen dort zwölf römische Legionäre in voller Kriegsmontur und grinsten hämisch. Hinter ihnen lagen viele männliche Dorfbewohner auf dem Boden oder hingen über Tischen und Bänken.

      Viviane riss die Augen auf und zugleich ihre beiden Schwerter aus den Scheiden. Mit geübtem Blick machte sie die zwei stärksten Gegner aus und sprang auf sie zu.

      Kreischend duckten sich die Legionäre hinter ihre Rundschilde und stolperten rückwärts, wobei der größte von ihnen noch brüllte: „Vivian! Wir sind’s! Mach die Augen auf!“ Er packte einen der Dorfbewohner am Hemd und zerrte ihn vom Stuhl hoch.

      Viviane verharrte mitten im Schritt, dann setzte sie langsam, sehr langsam den Fuß auf. Sie wusste, warum der Schreihals ihren Namen kannte und ihn für Römer untypisch aussprach. Sie wusste sogar, wie es sich anfühlte, den starken Griff auszuhalten, den der Dorfbewohner gerade ertragen musste. Zur Entlastung tänzelte der Ärmste auf den Zehenspitzen und hob lächelnd die Hände.

      „Merdin, ich warne dich. Mach das nie wieder mit mir. Wehe.“

      Kopfschüttelnd schob Viviane ihre Schwerter zurück in die Scheiden und stemmte die Hände in die Hüften.

      „Das gilt gleichermaßen für euch alle. Und wenn ich alle sage, dann meine ich alle!“

      Sie stampfte so wild mit dem rechten Fuß auf, dass die Bodenbretter bebten, und riss ihren Zeigefinger hoch. Jeden einzelnen im Raum durchbohrte sie mit stechendem Blick, obwohl sich niemand traute, aufzusehen – weder vermeintliche Söldner noch Tote, die sich nun so leise wie möglich aufrappelten.

      „Bei Hall, seid ihr irre?! Wessen Mut wolltet ihr testen? Meinen oder euren? Ihr Idioten, ihr Schwachköpfe, ihr waghalsigen Trottel, ihr dummen Schafe, was habt ihr im Kopf? Wolle? Zum Donnerwetter! Donars Hammer soll euch treffen! Wenn’s nach mir geht, auf den Kopf, wenn ihr das noch einmal macht!“

      „Nein, nein, sei nicht so garstig!“ „Das hast du völlig falsch verstanden!“ Mit erhobenen Händen kamen Dorfbewohner und Drachenkrieger hinter Tischen und Bänken hervor.

      „Sei doch wieder lieb mit uns.“ „Unsere Kostüme – wir wollten nur mal sehen, ob sie täuschend echt wirken.“ „Und da dachten wir …“ „Wir wollten dich bloß ein bisschen foppen.“ „Ein Jux.“ „Nur ein kleiner Spaß.“ „Wir haben gewettet, wie du reagierst.“

      „Und wie lange du brauchst, zu erkennen …“ „Aber wir konnten doch nicht ahnen …“

      Unauffällig schoben sie sich zu einem dichten Pulk zusammen. Da weder beschwichtigende Reden noch abwiegelnde Gesten Wirkung zeigten und Vivianes Augen zornig weiter blitzten, verschanzten sich alle hinter den Schilden und ließen traurig die Köpfe hängen.

      Wie eine Herde Schafe im Regen. Viviane grinste breit, was leider keiner sah. Alle Schäfchen duckten sich vor Blitz und Donner.

      „So, so, ein Jux und ich ganz flux die ganzen Römer weggeputzt!“ Viviane musste sich die Hand vor den Mund halten, um nicht laut zu lachen. Die ‚Römer‘ hatten ihrer Meinung

Скачать книгу