Der Pontifex. Karla Weigand

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Der Pontifex - Karla Weigand

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Man kennt doch seine unsicheren Kantonisten. Oder vielleicht doch nicht?

      Aber: Gewählt ist gewählt! Dem Herrn sei’s geklagt, sie werden mit ihm leben müssen. Und wie es aussieht, noch sehr lange …

      „Er wird uns alle, oder zumindest die meisten von uns, locker um viele Jahre überleben“, knurrt der Gastgeber, der einundsiebzig Jahre alte Kurienkardinal Ettore di Logelli-Branca und seufzt tief. Schmerz und zugleich Wut und Enttäuschung halten sich in seinem Herzen die Waage.

      „Die Medien in Italien und im Ausland überschlugen sich ja förmlich über die ‚großartige’ Ernennung eines Schwarzafrikaners zum Heiligen Vater der katholischen Christenheit“, meldet sich der missmutige Deutsche erneut zu Wort.

      „Sogar Russland gratulierte scheinheilig und selbst in China zeigte man sich sehr angetan vom ‚erfreulich deutlichen’ Ausgang der Wahl. Und der allgemeine Tenor in Deutschland lautet: ‚Dieses Votum ist längst überfällig gewesen.’ Sind denn plötzlich alle verrückt geworden?“ Der deutsche Prälat erleidet einen Hustenanfall.

      „Was mich überaus stört“, merkt eine Eminenz aus Spanien brummig an, „ist das makabre Theater, das jetzt auch noch die Yellow Press veranstaltet. Ausgerechnet für diese oberflächlichen, indiskreten und primitiven Publikationsorgane, die bekanntermaßen noch nie etwas mit Kirche am Hut hatten, scheint der jetzige Papst so eine Art Popstar zu sein.“

      „So ist es!“, fällt Ettore di Logelli-Branca giftig ein. „Alles an dem Neuen wird wohlwollend ins Auge gefasst und begeistert registriert: Seine imponierende Größe, die drahtig-schlanke Figur, ja, sein ganzes Aussehen wird seziert. Gewöhnliche Printmedien und sämtliche schwachsinnigen Frauenzeitschriften lassen sich lang und breit über ‚seine wundervollen seelenvollen Augen, die langen Wimpern, die hohe Denkerstirn, die männlich-kräftige Nase und seinen angeblich sinnlichen Mund mit den herrlichen weißen Zähnen’ aus.“

      Diese Art Medienhype ist auch den übrigen Anwesenden ein Dorn im Auge und veranlasst sie zu halblauten Unmutsäußerungen.

      „Sogar, dass er seit seiner Ernennung zum Kardinal vor vier Jahren sein dichtes schwarzes Kraushaar ‚geopfert hat’ und stattdessen mit blankem Schädel herumstolziert, findet allgemeinen Beifall. Von ‚prachtvoller Männlichkeit und vertrauenerweckender Väterlichkeit, haha!, die er angeblich in reichem Maße ausstrahlt’, ist die Rede. Ob er fromm und gläubig ist, interessiert hingegen keine Sau!“, behauptet ein brummiger Monsignore aus Österreichs Innviertel.

      „Würde mich nicht wundern, wenn sie ihn demnächst in Hollywood zum ‚Mister Universe’ küren würden!“

      Das kommt wiederum vom Bischof von Sevilla. Er erntet empörte Kommentare, aber auch Schmunzeln und vereinzelte Lacher bei der versammelten Geistlichkeit.

      „Warum nicht gleich zum ‚sexiest man alive’?“

      Diese frivole Bemerkung entschlüpft dem verkniffenen Munde eines anderen Bischofs, eines flämischen Griesgrams, der sich abseits von den anderen in einen Sessel in der Ecke verdrückt und bisher noch geschwiegen hat.

      Die Äußerung des Belgiers ruft bei den meisten Klerikern abschätzige Mienen, bei einigen hingegen glänzende Augen hervor. Vermutlich denken die Herren an die schöne „Schwester Monique“ … Aber keiner der Anwesenden lässt sich dazu hinreißen, sie in diesem heiklen Zusammenhang zu erwähnen. Dieses Eisen ist offenbar auch den schärfsten Kritikern des neuen Papstes zu heiß.

      „Mich würde interessieren, wie Leo XIV. sich dabei fühlt, wenn man ihn derart durch den Kakao, respektive durch den Mediensumpf, zieht! Das müsste ihm doch eigentlich ausgesprochen zuwider sein“, stellt der Griesgram als Behauptung in den Raum. „Warum gibt er dieser Spezies von aufdringlichen Pressefritzen überhaupt noch Interviews?“

      „Dass ihm das peinlich ist, glaube ich wiederum weniger“, widerspricht der Gastgeber und zieht indigniert die sorgfältig schwarzgefärbten und getrimmten Augenbrauen in die Höhe. „Ich befürchte eher das Gegenteil, mein Lieber. Ich argwöhne hingegen, er genießt den medialen Rummel um seine Person geradezu. Bescheidenheit scheint nicht zu den herausragenden Tugenden Seiner Heiligkeit zu gehören.

      Würde er sonst jedem Pipi-Magazin ein Interview gewähren? Garniert mit ausgesprochenen ‚Starfotos’? Aber, wie gesagt, das ist nur meine bescheidene Meinung“, tönt Kurienkardinal di Logelli-Branca.

      Gleich darauf tut ein Franzose aus der Picardie den Mund auf.

      „Sie können ihn ja mal bei Gelegenheit selbst danach fragen, Exzellenz“, ertönt es ein wenig boshaft aus der Mitte des Raumes, wo sich das Gros der Enttäuschten um mehrere Tischchen mit leckeren Häppchen und edlen, mehr oder weniger hochprozentigen Getränken versammelt hat.

      „Nur kein Neid, chers amis! Ohne Zweifel schaut der Bursche ganz gut aus und hätte nach meinem Empfinden zweifellos besser daran getan, Filmstar anstatt ausgerechnet Priester zu werden.“

      „Und gar noch mit dem nicht gerade demütigen Anspruch, es irgendwann ‚ganz nach oben’ zu schaffen. Schon als junger Kaplan in Ostafrika hat er verbreiten lassen, er sehe sich schon mit Mitra und Bischofsstab!“

      Letzteres, wiederum von dem flämischen Miesepeter geäußert, ist zwar eine glatte Verleumdung – tatsächlich waren es etliche aus Obembes familiärem Umfeld, die sich vor Jahrzehnten in diesem Sinne geäußert haben. Aber um solche Feinheiten schert sich keiner der Anwesenden und so widerspricht auch niemand.

      „Vor vier Jahren zum Kardinal ernannt, scharrte er seitdem mit den Hufen“, fährt der Geistliche aus dem westflandrischen Brügge mit Ingrimm fort. „Wie man sieht, hat sich diese Beharrlichkeit ausgezahlt.“

      „Wir tragen selbst die Schuld daran, chers amis, dass wir es dem afrikanischen Schönling ermöglicht haben, die klerikale Hierarchie im Sturmschritt zu erobern, alle zu düpieren und die Karriereleiter in Rom ungebremst nach oben zu klettern!“

      Dieses Statement des Franzosen aus der Picardie, der gerade eins der delikaten Kaviarhäppchen zum Munde führt, setzt quasi den Schlusspunkt dieser Debatte; er erntet auch keinen nennenswerten Widerspruch: Man hätte dem Afrikaner nur rechtzeitig seine Grenzen aufzeigen sollen …

      Ausgerechnet von Kurienkardinal Ettore di Logelli-Branca stammt dann völlig überraschend ein zwar bitteres, aber sehr vernünftiges Fazit.

      „So sollten wir uns demnach klugerweise mit der Katastrophe arrangieren! Was bleibt uns denn auch anderes übrig? Haben wir etwa eine andere Option? Wir können schlecht eine Kirchenspaltung durch die erneute Wahl eines uns genehmen Kandidaten riskieren. Die Zeiten, in denen Gegenpäpste gang und gäbe waren, sind lange vorbei. Und den Gefallen, alsbald zu unserem Herrn einzugehen, den wird er uns kaum tun.“

      Beifälliges Gemurmel der meisten ist die Folge. Jeder muss eben einen Kompromiss finden und sich ins Unvermeidliche fügen; soll heißen, gute Miene zum bösen Spiel machen – und dabei insgeheim indirekten Widerstand leisten, wo immer möglich.

      „Dann, geliebte Brüder in Christo, lasst uns also gemeinsam beten für Leo und unsere heilige Mutter Kirche – und darauf hoffen, dass nach dem Mann aus dem Busch wieder einer ans Ruder kommt, mit dem wir uns alle identifizieren können!“

      Zu diesem Vorschlag des Kardinals macht keiner der Anwesenden einen Einwand geltend. „Amen, so sei es, lieber Freund!“ „Amen, mon ami!“ „Amen, my dear friend!“ „Lasset uns beten, amigos mios!“ „Nun denn: Orate, fratres!“

      Und

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