Die Rede von Jesus Christus als Glaubensaussage. Группа авторов
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Die christliche Freiheit besteht nach Spener – neben der Freiheit von der Sünde und vom Gesetz – vor allem in der »Freyheit der Glaubigen von aller Menschen autorität in Glaubens-Sachen« (3: § 4). »[E]ines jeglichen Christen Glaube [beruht nämlich] unmittelbar […] auff der Offenbahrung Gottes in seine Wort / so er vor das wahre Wort Gottes erkennet / und solche Wahrheit in seinem Herzen durch den Geist Gottes versiegelt ist« (4: § 5). Daraus folgt, dass der Glaube der Christen nicht »auff dem Ansehen der Kirchen« basiert (5: § 7); noch viel weniger aber kann der Predigerstand für sich die Autorität beanspruchen, »Meisterin unseres Glaubens« zu sein (5: § 8). Denn »das Recht über die Lehr zu urtheilen und zu richten«, hat, wie Spener betont, schon Luther »allen Christen« zugesprochen (6: § 8).[27] – Die Kompetenz der Vertreter des Predigerstandes besteht also, wie Spener in Anknüpfung an Mt 23,8.10 sowie im Rückgriff auf Luther festhält, lediglich darin, »die lehre aus Gottes Wort nach allem vermögen und empfangenen maaß des geistes der gemeinde vorzutragen« (9: § 13). An diese Bestimmung der christlichen Freiheit schließt sich Speners Bestandsaufnahme im Blick auf ihre Gefährdung an: »Am offenbahrsten wird nun diese christliche Freyheit angefochten in dem pabstthum« (11: § 16). Einiges von diesem spezifisch katholischen Übel scheint sich allerdings »auch in unsere evangelische kirche einzuschleichen« (12: § 17). Damit sind die Ausführungen direkt bei der Hamburger Situation der Jahre 1690/91 angelangt.
»Aber es haben vor einiger zeit unterschiedliche rechtschaffene und das beste der kirchen redlich suchende leute / mit betrübnus wargenommen / wie sich auch bey uns auff unterschiedliche art etwas dieses päpstisch-gesinneten geistes hervor zuthun angefangen habe / wann das ansehen der menschen in glaubens-sachen wider das / was unsere bekantnus gleichwol mit sich bringet / ziemlich überhand nehmen will / und wo nicht einzelne Doctores, […] doch collegia die macht sich zuschreiben / in religions und glaubens-sachen / nicht |67|nur gutachten aus Gottes Wort andern vorzustellen / und dero prüfung willig zu unterwerffen (welches die rechte art in der wahren kirchen ist) sondern alles dermaßen außzumachen / daß dero außsprüche auch andere gewissen binden / ja wer sich nicht mit darzu verstehet / zu einem ketzer oder der brüderschafft verlustigt gemachet werden solle« (12: § 17).
Spener hat also in den Versuchen der orthodoxen Hamburger Pastoren, eine die pietistischen Neuerungen zurückdrängende Verständigung über Lehre und Ordnung der Kirche zu erreichen, eine Kompetenzüberschreitung kirchlicher Amtsträger und einen Rückfall in den durch die Reformation überwundenen papistischen Gewissenszwang gesehen.
2.2 Die normative Geltung der Bekenntnisschriften in der Aufklärungstheologie
Die deutsche evangelische Aufklärungstheologie hat ebenfalls die Notwendigkeit einer individuell verantworteten Aneignung des christlichen Glaubens betont. Dies wurde aber, anders als im Pietismus, mit einer Hochstufung der Geltungskraft menschlicher Vernunft in Theologie und Glaube verbunden. Dadurch kam es zunächst zu einer gegenüber Spener nochmals kritischeren Haltung gegenüber der Bekenntnistradition; hinzu kam eine durch die historische Erforschung der biblischen Texte möglich gewordene kritische Attitüde gegenüber der Heiligen Schrift selbst. Die von dieser Basis aus unternommenen Reflexionen der Aufklärungstheologie führten zu tiefgreifenden Umformungen der überlieferten dogmatischen Lehrbestände, Umformungen,[28] die auf dem Weg über die kirchliche Verkündigung auch das Glaubensverständnis der Christen zunehmend beeinflussten.
Es war der 1765 von Johann Joachim Spalding in sein Amt als Diakon (später Archidiakon) an der Berliner St. Nicolai-Kirche eingeführte Theologe Friedrich Germanus Lüdke, der die neue Debatte über die normative Geltung der Bekenntnisschriften anstieß.[29] In seiner 1767 (anonym) publizierten Schrift »Vom falschen Religionseifer« hat |68|Lüdke die aufklärungstypischen Argumente für eine Abschwächung der Geltungskraft der Bekenntnistexte des 16. Jh. entfaltet.[30]
»[V]erständige Gemüther […] werden leicht einsehen, daß, da die menschlichen Erkenntnisse in neuern Zeiten in allen Wissenschaften höher gestiegen sind […], sich auch nothwendig die menschlichen Einsichten über diese und jene Lehrsätze des geoffenbarten Evangeliums […] verbessern müssen.« Eine schlichte Berufung auf »unsre grauen Vorfahren« ist daher ein unplausibles Argument für ein Festhalten am alten Bekenntnis. Vielmehr gilt nach Lüdke, »daß es uns zur Sünde angerechnet werden könne, wenn wir, denen mehrern Hülfsmittel in Erforschung der heiligen Schrift, als sie hatten, durch die göttliche Forschung gegeben sind, in dieser und jener theoretischen Lehre des Christenthums [hier ist zu ergänzen: nicht] von ihnen abgehen« (39–41).
So wie schon Spener, in dessen Tradition sich der Aufklärer Lüdke explizit gestellt hat, den Hamburger Orthodoxen die Einführung eines neuen Papsttums vorgeworfen hatte, so kritisierte auch Lüdke im Blick auf die Hochschätzung der Bekenntnisse und die damit verbundene Verfestigung der (innerprotestantischen) Lehrdifferenzen,
»daß wir ein neues Pabstthum unter uns einführen, einer freien und gewissenhaften Untersuchung der Wahrheit in der evangelischen Kirche Grenzen setzen, um bloßer Nebenmeinungen willen, ob wir gleich Brüder sind, unter uns Zank seyn lassen und in dem sektirischen Geiste der Korinther sprechen wollen: Einer, ich bin lutherisch, der andere ich bin calvinisch, der dritte ich bin christisch [vgl. I Kor 1,12]« (63).
Der von Lüdke kritisierte intolerante Glaubenseifer, der gerade auch die »Nebenmeinungen« der in den Bekenntnisschriften enthaltenen konfessionsspezifischen Lehren zum unveräußerlichen Bestandteil der Rechtgläubigkeit erhebt, boykottiert nicht nur die stets nötige Weiterentwicklung der christlichen Lehre; er verfehlt vor allem die eigentliche Pointe des christlichen Glaubens. Denn er »hindert […] mit dem aufgehaltenen Wachsthum einer gründlichern Erkentniß |69|im Christenthum den Wachsthum einer gereingtern und gewissenhaftern Tugend« (140). – Das dogmatische Innovationsinteresse der Aufklärungstheologen wurde also von Lüdke theologisch mit dem Hinweis auf die reformatorische Kritik am päpstlichen Anspruch auf Lehrhoheit – und insofern im Rekurs auf das protestantische Freiheitsprinzip – gerechtfertigt. Aus juristischer Perspektive – und damit ist erneut die oben schon erwähnte religionspolitische Relevanz der symbolischen Bücher angesprochen – ergab sich freilich das Problem einer Spannung zwischen theologischen Neuerungen und der 1555 bzw. 1648 geschaffenen konfessionspolitischen Situation im Reich, die, was die rechtliche Duldung der Protestanten anging, die Verbindlichkeit der reformatorischen Bekenntnisse für die öffentliche Lehre in den evangelischen Territorien prinzipiell voraussetzte. Ein stets wiederholtes Argument gegen eine Einschränkung der Bekenntnisgeltung lautete daher: »Die reichsrechtliche Anerkennung des Protestantismus basiert auf dem Bekenntnis zur Augustana. Lossagung von dieser Grundlage könnte leicht katholischen Reichsständen Vorwand werden, die Garantien des Augsburgischen resp. Westfälischen Friedens zurückzunehmen.«[31]
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