Die Rede von Jesus Christus als Glaubensaussage. Группа авторов
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Von größerer Bedeutung für die Themenpräzisierung ist der seit dem Reformationszeitalter zu beobachtende Bedeutungszuwachs der Bekenntnisschriften, die ursprünglich nur den Rang einer norma normata zugewiesen bekommen hatten. Dabei lassen sich zwei Aspekte unterscheiden, ein religionspolitischer (a) und ein theologischer (b).
a) In der frühen Neuzeit, also in der Phase zwischen dem konfessionellen Zeitalter und dem Ende des Alten Reiches, wurde die Nachordnung der Bekenntnisschriften gegenüber der Bibel durch die religionspolitische Relevanz der symbolischen Bücher mehr als kompensiert. Denn der mit Recht als das »wichtigste Verfassungsdokument des Alten Reichs bis 1806«[12] bezeichnete Augsburger Religionsfrieden vom 25. September 1555 knüpfte ja die politische Duldung |61|der Lutheraner daran, dass es sich um Angehörige des Augsburger Bekenntnisses handelte, also um Christen, die sich zu jener Schrift bekennen, die bis heute zu den Lehrgrundlagen fast aller lutherischer Kirchen gehört.[13]
b) Am Beginn des 19. Jh. kam es dann, im Horizont der seit der Aufklärung zunehmend etablierten kritischen Bibelexegese, zu einer theologischen Aufwertung der reformatorischen Bekenntnisse als maßgeblicher Bezugsgröße für die evangelische Glaubensreflexion. In diesem Zusammenhang ist die Theologie Friedrich Schleiermachers von besonderer Bedeutung. Ihm ging es freilich nicht um eine schlichte Umkehrung der ursprünglichen Verhältnisbestimmung von Bibel (als norma normans) und Bekenntnis (als norma normata). Vielmehr beruhte sein Ansatz zunächst auf einer Absage an die ältere Lehre von der Schriftautorität: »[…] mit unserer Lehre vom Kanon und von der Inspiration, als einer besonderen Wirkung des Geistes in Bezug auf den Kanon, werden wir uns doch wohl besinnen müssen, daß wir nichts hineinbringen, was mit allgemein anerkannten Resultaten einer historischen Forschung streitet.«[14] Hinzu kam die Einsicht, dass die Schriftauslegung, die der auf Glauben zielenden Verkündigung |62|zugrunde liegt, stets eingebunden ist in die Deutungsüblichkeiten einer bestimmten Frömmigkeitsgemeinschaft bzw. Kirche, deren verfasstes Bekenntnis daher die primäre Bewährungsinstanz für dogmatische Lehrsätze darstellt: »Alle Säze, welche auf einen Ort in einem Inbegriff evangelischer Lehre Anspruch machen, müssen sich bewähren theils durch Berufung auf evangelische Bekenntnißschriften und in Ermangelung deren auf die Neutestamentischen Schriften, theils durch Darlegung ihrer Zusammengehörigkeit mit andern schon anerkannten Lehrsäzen.«[15] Diese Vorordnung der Bekenntnisschriften gegenüber dem neutestamentlichen Zeugnis wird hier folgendermaßen begründet: »Durch die Schrift unmittelbar kann aber immer nur nachgewiesen werden, daß ein aufgestellter Lehrsaz christlich sei, wogegen der eigenthümlich protestantische Gehalt desselben dahin gestellt bleibt.«[16]
Von Schleiermachers Auffassung zur Autorität der Bekenntnisschriften wird in Abschnitt 2 noch die Rede sein; hier sei nur angemerkt, dass die von ihm an der eben zitierten Stelle vorgenommene Vorordnung keineswegs auf die Etablierung einer gleichsam objektiv vorgegebenen Glaubensnorm zielt. Vielmehr geht es – im Kontext der Einleitung in die Glaubenslehre, aus der der herangezogene § 27 stammt – »darum, dem Dogmatiker eine Instanz zuzuweisen, mittels derer er seine Resultate zur kirchlichen Lehrbildung in Beziehung setzen kann«.[17] Anders formuliert: Wegen ihrer »historischen Bedeutung« als »Erstgestalt des Protestantismus […] kommt den Bekenntnisschriften ein besonderer Rang zu, wenn der Dogmatiker die Resultate seiner Arbeit in den Gesamtzusammenhang der dogmatischen Arbeit seiner kirchlichen Gemeinschaft stellt«, denn: »In der Korrelation mit der Lehre der Bekenntnisschriften tritt zu Tage, inwiefern ein dogmatischer Satz eine Reformulierung oder eine modifizierende bzw. korrigierende Änderung gegenüber der reformatorisch-protestantischen Lehre darstellt, von der her sich der protestantische Geist hin zu seiner eigentümlichen lehrmäßigen Fassung entwickelt.«[18]
Die damit erwiesene Zunahme einer Relevanz der kirchlichen Bekenntnisse im Protestantismus zwischen dem 16. und dem frühen 19. Jh. bildet den Ausgangspunkt der nachstehenden Überlegungen. Darin soll nämlich exemplarisch verfolgt werden, wie dieser |63|Relevanzanspruch mit dem Grundsatz der protestantischen Freiheit verbunden wurde.
2. Bekenntnisverbindlichkeit im Protestantismus: Zur Struktur und Geschichte eines Problems
Im Blick auf das Reformationsjubiläum 2017 gibt es, insbesondere im Rahmen der sog. Lutherdekade, zahlreiche Versuche einer Formulierung dessen, was gegenwärtig an der Kirchenerneuerung des 16. Jh. von Bedeutung ist.[19] Als eines von vielen diesbezüglichen Beispielen seien hier die vom Wissenschaftlichen Beirat der Lutherdekade erarbeiteten »Perspektiven für das Reformationsjubiläum 2017« genannt. Darin heißt es: »Die Reformation hat in einer neuen Weise den allein durch Christus gerechtfertigten Menschen als unmittelbar vor Gott stehende Person entdeckt. Sie hat Identität und Wert dieser Person allein in der Anerkennung durch Gott begründet gesehen, unabhängig von natürlicher Ausstattung (Geschlecht), gesellschaftlichem Status (Stand), individuellem Vermögen (Erfolg) und religiöser Leistung (Verdienst). So hat sie die Freiheit als wesenhafte Bestimmung dieser Person erkannt.«[20]
Mit diesen Formulierungen wird hier die Freiheit als Markenkern des lutherischen Protestantismus namhaft gemacht. Das ist historisch hochgradig plausibel. Denn es war ja der unter dem Namen Luder geborene spätere Reformator selbst, der seine die Reformation schließlich einleitende Handlung mit einer bezeichnenden Namensänderung verbunden hat: Jener Brief, den er am 31. Oktober 1517 zusammen mit den 95 Thesen an Albrecht von Brandenburg sandte, ist das erste Dokument, das er nicht mehr als Luder, sondern als Luther unterzeichnete. Mit dieser Änderung der Schreibweise seines Namens hat er einen etymologischen Zusammenhang mit dem Freiheitsbegriff hergestellt, erinnert die neue Schreibweise doch ersichtlich an das griechische Wort für frei: ἐλεύθερος/eleutheros.[21]
|64|Die letzten Formulierungen verweisen, was die Bekenntnisbindung im Protestantismus angeht, auf eine eigentümliche Ambivalenz. Einerseits nämlich fungierte die Freiheit, im Sinne der religiösen Freiheit des Christenmenschen, als ein Leitbegriff der Reformation des 16. Jh., der noch heute als rezeptionsfähig gilt. Andererseits aber führte die Entwicklung in der frühen Neuzeit, während derer die kirchliche Verfestigung des religiösen Aufbruchs maßgeblich durch die politische Obrigkeit realisiert wurde, zu einer besonderen (vielleicht so im Mittelalter unbekannten) Intensität der Bindung der gläubigen Gewissen an den Wortlaut der Bekenntnisse. Aus reformationshistorischer Sicht lässt sich das so ausdrücken: Die »Einheitlichkeit der christenmenschlichen Bekenntnisbindung in der sozio-kulturellen Verschiedenheit spezifisch relevanter Referenztexte markiert eine dem Theologumenon vom Priestertum aller Gläubigen entsprechende Form lutherischer Konfessionalität«.[22] Einfacher gesagt: Zu den realgeschichtlichen Folgen des frühreformatorischen Freiheitspathos gehörte eben auch die landesherrlich gestützte religiöse Homogenität und damit der Bekenntniszwang.[23]
Die angezeigte Ambivalenz hat die historische Dynamik der protestantischen Christentumsgeschichte – mindestens seit dem späten 17. Jh. – maßgeblich geprägt. Mehrere prominente theologiehistorische Formationen haben nämlich beansprucht, das protestantische Christentum dadurch weiterzuentwickeln, dass die im Reformationsjahrhundert etablierte, angesichts der gewachsenen Bedeutung der religiösen Subjektivität aber zunehmend als gesetzlicher Buchstabenglaube kritisierte Form der Bekenntnisbindung dem Freiheitsgedanken (wieder) nachgeordnet wird. Verdeutlicht sei dies im Folgenden |65|am Pietismus (1), der Aufklärungstheologie (2) sowie der Position Friedrich Schleiermachers (3).
2.1 Freiheit und Bekenntnisbindung im Pietismus
Der Begründer des