Die Rede von Jesus Christus als Glaubensaussage. Группа авторов
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|55|Die Bedeutung von Bekenntnissen in Theologie und Kirche zwischen Anspruch der Tradition und aktuellen Herausforderungen
Rochus Leonhardt
Die nachstehenden Ausführungen gehen aus einer primär theologiegeschichtlichen Perspektive der Frage nach einer Verbindlichkeit kirchlicher Bekenntnisse für den christlichen Glauben nach. Dabei geht es konkret um die Bekenntnisverbindlichkeit im (lutherischen) Protestantismus. Was diese Konkretisierung bedeutet, darüber gibt Abschnitt 1 Aufschluss. Abschnitt 2 entfaltet dann das mit dem Thema Bekenntnisverbindlichkeit im Protestantismus verbundene Problem, das zunächst im Blick auf drei wichtige theologiegeschichtliche Konstellationen bzw. Gestalten profiliert wird. Ausgehend von einem weiteren theologiegeschichtlichen Zusammenhang wird dann in Abschnitt 3 eine gegenwärtig plausible Möglichkeit zum Umgang mit dem Problem ventiliert.
1. Themenpräzisierung: Der Bekenntnisbegriff im Protestantismus
Bekanntermaßen ist der Bekenntnisbegriff im Protestantismus nicht auf die drei altkirchlichen Symbola, das Apostolikum, das Nizäno-Konstantinopolitanum (Nizänum) und das Athanasianum, beschränkt. Speziell im Blick auf das deutsche Luthertum gilt vielmehr seit dem späten 16. Jh.: Es existiert ein Corpus verbindlicher Bekenntnistexte, das an die altkirchliche Überlieferung angeknüpft, diese aber im Horizont der theologischen und kirchenpolitischen Auseinandersetzungen der Reformationsepoche in einer für die Zukunft |56|maßgeblichen Weise aktualisiert hat.[1] Diese Texte wurden 1580 im Konkordienbuch zusammengefasst.[2]
Allerdings gibt es innerhalb der zum Corpus lutherischer Bekenntnisschriften gehörenden Texte eine unübersehbare Hierarchie, die sich auch in den expliziten Verweisen auf die theologischen Grundlagen niederschlägt, wie sie in den Verfassungen lutherischer Kirchen enthalten sind. Dabei wird insgesamt deutlich, dass »die Confessio Augustana, zusammen mit dem Kleinen Katechismus, in fast allen Lutherischen Kirchen gültiges Bekenntnis ist; von den anderen Schriften des Konkordienbuches, etwa auch den Schmalkaldischen Artikeln Luthers, gilt dies eben nicht«.[3] Diese Feststellung entspricht exakt den in der Verfassung des Lutherischen Weltbundes enthaltenen |57|Aussagen zu den Lehrgrundlagen: »Der Lutherische Weltbund bekennt die Heilige Schrift des Alten und Neuen Testamentes als die alleinige Quelle und Norm seiner Lehre, seines Lebens und seines Dienstes. Er sieht in den drei ökumenischen Glaubensbekenntnissen und in den Bekenntnissen der lutherischen Kirche, insbesondere in der unveränderten Augsburgischen Konfession und in dem Kleinen Katechismus Martin Luthers eine zutreffende Auslegung des Wortes Gottes.«[4]
Um das in diesem Beitrag thematisierte Problem zu präzisieren, soll hier zunächst, ungeachtet der unterschiedlichen Verbindlichkeitsgrade der im Konkordienbuch enthaltenen Texte, das Verhältnis der Bekenntnisse des 16. Jh. insgesamt zur altkirchlichen sowie zur biblischen Tradition kurz angesprochen werden.
1.1 Das Verhältnis zur altkirchlichen Tradition
Wie gegenwärtig etwa in der zitierten Passage aus der Verfassung des Lutherischen Weltbundes, so wird bereits in der Vorrede zum gesamten Konkordienbuch eine sachliche Kontinuität der christlichen Lehre beansprucht, die von der Bibel über die altkirchlichen Bekenntnisse bis zu den Bekenntnistexten des Reformationsjahrhunderts reicht. Nicht abgewichen werden soll nämlich von der »göttlichen Wahrheit«, die »in der prophetischen und apostolischen Schrift gründet und in den drei altkirchlichen Bekenntnissen, auch in der Augsburger Konfession […], in der darauf erfolgten Apologie, in den Schmalkaldischen Artikeln und in dem Großen und Kleinen Katechismus […] enthalten ist« (UG 670; vgl. BSELK 26,32–37). Speziell im Blick auf das Verhältnis zur altkirchlichen Tradition ist darüber hinaus von Bedeutung, dass der aus »Epitome« und »Solida Declaratio« |58|bestehenden Konkordienformel als Anhang ein sog. Catalogus Testimoniorum beigegeben wurde (vgl. BSELK 1609–1652). Dabei handelt es sich um eine Sammlung von Kirchenväterzeugnissen zur Christologie, die vor allem darauf zielte, das in der Tat neue Dogma der lutherischen Christologie[5] dadurch theologisch zu untermauern, dass es als altkirchliche opinio communis ausgewiesen wurde.
1.2 Das Verhältnis zur biblischen Tradition
Neben das Zusammenrücken von altkirchlicher Lehr- und reformatorischer Bekenntnisbildung tritt in der lutherischen Theologie die Betonung der Differenz zwischen der Bibel einerseits und der gesamten nachbiblischen Tradition andererseits. In der dogmatischen Lehrtradition wird daher gewöhnlich die Priorisierung der Heiligen Schrift gegenüber der gesamten Bekenntnistradition als das entscheidende Spezifikum des Luthertums ausgewiesen. Diese Auffassung, die sich ebenfalls (freilich, wie sich noch zeigen wird, in je unterschiedlicher Weise) in den zitierten Passagen aus den Verfassungen des Lutherischen Weltbundes und der Sächsischen Landeskirche niedergeschlagen hat, weist auf die Schriftlehre des Reformators zurück. Denn Luther selbst hatte ja ausdrücklich, um nur an ein signifikantes Zitat zu erinnern, »die göttlichen Worte« [sc. der Heiligen Schrift] als »die ersten Prinzipien der Christen« bezeichnet; dagegen galten »aller Menschen Worte« lediglich als »daraus gezogene Schlussfolgerungen, die auch wieder darauf zurückgeführt und daran erwiesen werden müssen«.[6] Speziell die Konkordienformel, das abschließende Stück des Konkordienbuches, hat diesen Gedanken aufgenommen. Denn sie setzt ein mit dem Hinweis, »die prophetischen und apostolischen Schriften des Alten und Neuen Testaments« seien »die einzige Regel |59|und Richtschnur, nach der alle Lehren und Lehrer gleichermaßen eingeschätzt und beurteilt werden sollen« (UG 673f.; BSELK 1216,9–12; 1217,8–11; vgl. UG 737; vgl. BSELK 1310,6–9; 1311,6–10).
Die weitere Entwicklung der evangelischen Schriftlehre hat freilich erwiesen, dass sich diese Verhältnisbestimmung nicht halten lässt. Dies kann hier nur skizzenhaft dargestellt werden.[7] Die im Konkordienbuch festgehaltene Bestimmung des Verhältnisses zwischen Schrift und Bekenntnis, die traditionell auf die Formel norma normans und norma normata gebracht wird und auf eine »kraft specifischen Unterschiedes allenthalben vestzuhaltende Ueberordnung der heiligen Schrift über die Symbole« hinausläuft,[8] bezog ihre Plausibilität aus einer bestimmten Unterstellung. Diese Unterstellung lautet: Strittige theologische Fragen können auf der Basis sachgerechter Bibelauslegung einer definitiven Klärung zugeführt werden. Daraus folgte zunächst eine Intensivierung der Beschäftigung mit der Bibel. Speziell seit dem Beginn des Zeitalters der Aufklärung achtete man dabei aber immer stärker darauf, sich den biblischen Texten vorurteilsfrei zu nähern. Man meinte, dass eine von allen Christen gleichermaßen akzeptierte Auslegung der Bibel nur dann möglich ist, wenn sie frei bleibt von den dogmatischen Vorgaben einer bestimmten Kirche und ihrer Tradition. Dieses Bemühen um Unvoreingenommenheit und Objektivität führte dann freilich, anders als erhofft, gerade nicht zur Freilegung eines zuverlässigen und allgemein anerkannten biblischen Fundaments, das die Errichtung einer einheitlichen theologischen Lehre erlauben würde. Die Pointe des streng objektiv-wissenschaftlichen Zugriffs auf die biblischen Texte, wie er insbesondere seit dem 19. Jh. im Horizont des Historismus erfolgte, destruierte vielmehr den Wort-Gottes-Charakter (und damit die Normativität) der Bibel, indem er deren Texte als lediglich historische Dokumente ihrer jeweiligen Entstehungszeit kenntlich machte, die als solche für sich keine größere Autorität beanspruchen können als parallel |60|entstandene nichtbiblische Dokumente. Anders formuliert: Die historisch-kritische Forschung hat jenen spezifischen Unterschied zwischen Schrift und Tradition, von dem das in Anm. 8 nachgewiesene Zitat ausging, aufgelöst.
Im modernen Protestantismus wurde auf die durch die skizzierten Vorgänge ausgelöste Krise des Schriftprinzips[9] verschieden reagiert. Hier sind zwei Reaktionsformen zu nennen. Zum einen hat die durch die historische Kritik bedingte faktische Entgöttlichung der