Die Rede von Jesus Christus als Glaubensaussage. Группа авторов
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1) Niebuhr setzt sich mit den Passagen, in denen sich Paulus auf die jüdische Herkunft Jesu bezieht, ausführlich auseinander. Der Bedeutungsgrad, den dieser Aspekt innerhalb der paulinischen Theologie besitzt, lässt sich m.E. aber erst dann vollständig plausibilisieren, wenn er mit anderen zentralen Elementen derselben in Beziehung gesetzt wird. So ist es doch – auch für Niebuhr – völlig unstrittig, dass etwa der Begriff des Kreuzes in der Theologie des Heidenapostels fest verankert ist. Selbiges gilt für den christologisch durchdrungenen Geistbegriff. Wie aber verhalten sich diese Dimensionen der paulinischen Christologie zu der von Niebuhr aufgeworfenen? Liegen sie auf derselben Ebene, sind sie untergeordnet oder handelt es sich um Aspekte, die sich nicht ohne Weiteres miteinander in Beziehung setzen lassen? Es wäre für das Verständnis der aufgestellten These ausgesprochen hilfreich, deren Gehalt – zumindest andeutungsweise – in dem hier beschriebenen Sinne zu kontextualisieren. Denn der |113|von Niebuhr herausgestellte Gesichtspunkt der jüdischen Herkunft Jesu berührt auch die Frage nach dessen Normativität für die Selbstverständigung des christlichen Glaubens. Hieran knüpft ein zweiter Gesichtspunkt an.
2) In der Diskussion um die Christologie wurde im 20. Jh. mehrfach mit dem Begriffspaar Faktum und Deutung/Bedeutung operiert.[3] Das Faktum wurde auf den historischen Jesus bezogen und die Frage bestand – und besteht bis zum heutigen Tage – darin, wie sich die Verknüpfung dieser historischen Gestalt mit dem Messiassymbol erklären lässt. Die Position Niebuhrs lässt sich in diese Diskussion insofern einzeichnen, als er ausdrücklich bemerkt: »Der Name Jesus definiert also den Sinn des christlichen Messiasbekenntnisses, nicht legt umgekehrt eine (oder gar ›die‹) traditionelle biblisch-jüdische Messiaserwartung fest, wie der christliche Messias auszusehen hat und was das christologische Bekenntnis bedeuten soll.« Die damit festgelegte »Leserichtung« besagt also, dass der Name »Jesus« und das damit verbundene »geschichtlich-konkrete Leben eines Juden« die entscheidende bedeutungsstiftende Funktion für die christliche Messiasvorstellung besitzt. Die biblisch-jüdische Messiaserwartung wird demgegenüber in die zweite Reihe gestellt, d.h. ihr wird keine sinnkonstituierende Funktion für das christliche Messiasbekenntnis zugebilligt. Um die Außergewöhnlichkeit dieser Leserichtung zu unterstreichen, hat Niebuhr wenige Zeilen zuvor bemerkt, dass es sich bei »Jesus« um einen »jüdischen ›Allerweltsnamen‹« handelt, der »von sich aus keinerlei christologische Bedeutung in sich trägt«. Damit aber würde Niebuhr die Auffassung vertreten, dass das »Jesusphänomen« den exklusiven Bestimmungsgrund der christlichen Messiasvorstellung darstellte. Wenn dem so wäre, müsste die christliche Messiasvorstellung als eine Neuschöpfung bzw. -kodierung des Ausdrucks »Messias« im strengen Sinne des Worts begriffen werden. Dagegen lässt sich aber – auch wiederum mit Niebuhr – einwenden, dass für Paulus auch der »Gedanke der Messianität im biblisch-jüdischen Sinn maßgeblich ist«. Diese Formulierung schwächt die zuvor aufgestellte These von der eindimensionalen Leserichtung ab und deutet ein nicht weiter erläutertes Wechselbedingungsverhältnis zwischen der jüdischen Messiasvorstellung und dem christlichen |114|Messiasbekenntnis an. Das aber wirft die Frage auf, wie die Relation zwischen dem »Jesusphänomen« und der überlieferten jüdischen Messiasvorstellung als Bestimmungsgründen des christlichen Messiasbekenntnisses spezifiziert werden kann.
3) Der dritte Gesichtspunkt schließlich berührt den Text des Apostolikums selbst. Dieser besitzt eine lange Entstehungsgeschichte und kennt eine Vielzahl an überlieferten Varianten, die bereits um 1900 von Ferdinand Kattenbusch in eindrucksvoller Gelehrsamkeit untersucht wurden. Der damals in Gießen ansässige Theologe befasst sich in seiner Untersuchung zum apostolischen Symbol in aller Ausführlichkeit mit der Entstehungsgeschichte des Apostolikums. Im Mittelpunkt seines zweibändigen opus steht die lateinische, durch Rufin überlieferte Fassung des altrömischen, mit R abgekürzten Symbols, das um 100 entstanden sein soll.[4] In seiner historisch-kritischen Analyse dieses »Muttersymbol[s]«[5] geht er ausdrücklich auf die Frage ein, wie die Ausdrücke Ἰησοῦς/Χριστὸς miteinander kombiniert wurden. In R heißt es noch Χριστὸς Ἰησοῦς,[6] und bereits in dieser Kombination erblickt Kattenbusch eine besondere Pointe, die sich mit der These von der Israel-Vergessenheit des Apostolikums in Verbindung bringen lässt. Der Theologe hält einerseits fest: »das Symbol verrate als Ursprungszeit und -stätte eine solche, in der nicht die Auseinandersetzung mit der Synagoge als dringend angesehen«[7] wurde. Dementsprechend besitze das römische Taufsymbol keine antijüdischen Invektiven. Und doch bemerkt er andererseits: »Man beachte die Eigentümlichkeit des Ausdrucks ›χριστὸς Ἰησοῦς‹. Immerhin wird die Apposition zuerst dargeboten und das bedeutet, dass sie relativ |115|irgendwie den Nachdruck habe, m.a.W. es verrät uns eben, dass keine Antithese die Formulierung leite. Läge ein spezifischer Nachdruck auf Ἰησοῦς, so wäre anzunehmen, dass man den Täufling sich demonstrativ antijüdisch, bez. gegen einen messianischen Irrtum wolle äussern lassen. Es spricht für eine ruhigere Stimmung, daß man ihm vielmehr nur ein direktes, klares Bekenntnis zum ›Messias Jesus‹, also ein Bekenntnis, welches thatsächlich sich mit der Synagoge in Widerspruch setzte, den Widerspruch aber nicht als solchen pointierte, in den Mund legt.«[8] Kattenbusch bemerkt sodann, dass die für R signifikante Stellung von »Christus Jesus« in den verschiedenen Handschriften selten vorkomme.
Der Hinweis auf die subtilen Erörterungen dieses Theologen deutet bereits an, dass der zweite Artikel des Apostolikums eine Auseinandersetzung um das Verhältnis zwischen den christlichen Gemeinden und der jüdischen Religion impliziert, die sich im Laufe der Überlieferungsgeschichte gewandelt hat. Allein in den beiden Möglichkeiten, die Ausdrücke »Jesus« und »Christus« einander zuzuordnen, spiegeln sich unterschiedliche Stellungen zu Israel bzw. zum Judentum wider. Für das hier infrage stehende Problem bedeutet das aber wiederum, dass von einer Israel-Vergessenheit des Apostolikums nicht im strengen Sinne des Worts die Rede sein kann. Vielmehr gehört die Auseinandersetzung mit dem Judentum und Israel zu den Entstehungsvoraussetzungen des Symbols. In welchem Sinne dieses Verhältnis bestimmt werden kann, lässt sich aber erst dann beantworten, wenn der Text des Apostolikums selbst historisch-kritisch analysiert und auf die angegebene Problemstellung hin befragt wird. Dieser Gesichtspunkt führt auch zu dem zweiten, systematisch-theologischen Beitrag von Martin Leiner.
Das Referat Martin Leiners kreist um Kriterienfragen christologischer Reflexionen. Das gilt zunächst für die christologischen Bestimmungen des zweiten Artikels. In diesem Zusammenhang hält er fest, dass die Auswahlkriterien für diese Bestimmungen darin bestanden hätten, die universale Bedeutung Jesu Christi mit absolut konkreten, individuellen Aussagen zu verschmelzen. Die hier verwendete Begrifflichkeit ist ausdrücklich an Tillichs Einleitung der Systematischen Theologie orientiert. Von hier aus nimmt Leiner auch auf die Position seines Jenenser Kollegen Karl-Wilhelm Niebuhr Bezug und damit zu |116|der Frage nach der Israel-Vergessenheit des Apostolikums Stellung. Leiner stellt fest, dass eine Erweiterung prinzipiell möglich sei, doch stehe die »Einbeziehung Israels […] quer zum Text [sc. des zweiten Artikels, G.N.], indem sie weder auf Individuelles noch auf Universales, sondern auf etwas Partikulares, etwas, was ein Volk und dieses allein, betrifft, abhebt«. Abgesehen davon, dass – wie oben bereits angedeutet wurde – der zweite Artikel eine Auseinandersetzung mit dem Judentum impliziert, ist an dieser Stelle anzumerken, dass sich die Begriffe des Individuellen bzw. Konkreten und des Partikularen keineswegs ausschließen müssen. Dafür steht nicht zuletzt Tillichs Position selbst, was es kurz zu erläutern gilt.
Ein für unseren Zusammenhang entscheidendes Argument Tillichs besteht darin, dass es sich bei Jesus Christus einerseits – wie auch Leiner betont – um etwas absolut Konkretes bzw. Partikulares handele. Andererseits geben Tillichs Ausführungen aber auch zu erkennen, dass dieses absolut Konkrete bzw. Partikulare keineswegs andere Partikularitäten exkludiere. Vielmehr vertrete »Jesus als der Christus« – als absolut Konkretes – »alles Partikulare«.[9] Letzteres komme in jenem zur Darstellung. Folgt man der Logik dieser Gedankenführung, befände sich der von Leiner aufgeworfene Gedanke der Partikularität Israels in einem Abhängigkeitsverhältnis