Die Rede von Jesus Christus als Glaubensaussage. Группа авторов
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Dahinter stehen wichtige hermeneutische Klärungen, die zwischen Neuem Testament und Systematik vorangebracht werden müssen. Das Apostolikum ist ein Text, der insofern im Gegensatz zu den paulinischen Schriften steht, als er die Israelbezogenheit in den Hintergrund treten lässt. Universales räumliches Denken setzt sich im Apostolikum gegenüber heilsgeschichtlichem, partikular-israelisches |107|unterstreichendem Denken durch. Eine hermeneutisch-kritische Grundfrage ist: Wie soll in dieser Diskrepanz entschieden werden? Welche Texte verdienen unter welchen Gesichtspunkten den Vorrang? Ein ähnliches Problem liegt auch bei dem Untertitel der jetzigen Einheit vor: Die Rede von Jesus als »Person der Trinität«, wie sie im Untertitel erscheint, ist Produkt der Dogmenbildung, sie ist als solche nicht im Neuen Testament zu belegen. Soll man sie deshalb zugunsten des neutestamentlichen Textes kritisch relativieren?
4. Die hermeneutische Aufgabe im Blick auf das Judentum und das trinitarische Dogma
Die Konkordienformel gibt eine klare Antwort auf diese Frage: »Solchergestalt wird der Unterschied zwischen der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testamentes und allen andern Schriften erhalten, und bleibt allein die Heilige Schrift der einig Richter, Regel und Richtschnur, nach welcher als dem einigen Probierstein sollen und müssen alle Lehren erkannt und geurteilt werden, ob sie gut oder bös, recht oder unrecht sein. Die anderen Symbola aber […] sind nicht Richter wie die Heilige Schrift, sondern allein Zeugnis und Erklärung des Glaubens, wie jederzeit die Heilige Schrift in streitigen Artikuln in der Kirchen Gottes von den damals Lebenden vorstanden und ausgeleget […] worden.«[11] Dieser Text scheint dazu anzuleiten, die biblischen Aussagen als etwas Statisch-Wahres (»Probierstein«) den zeitlich sich wandelnden relativen Bekenntnissen gegenüberzustellen. Der Vergleich von Wortlaut und Aussagen mit der Schrift scheint auszureichen, um zu einem Urteil über die Bekenntnisse zu kommen. Diesem vereinfachten Verständnis der Position der Konkordienformel gegenüber ist es wichtig festzuhalten, dass die biblischen Texte eine Dynamik enthalten, die von Leben, Lehre und Geschick Jesu Christi ausgeht. Wie ein Stein, der ins Wasser fällt, Kreise bis ans Ende des Sees zieht, so setzt Jesus Christus eine Sprach-Bewegung in Gang, die nicht schon an den Enden des biblischen Kanons aufhört. Die neutestamentlichen Schriften enthalten unterschiedlich starke Zeugnisse dieser Dynamik, manchmal auch Stagnationen und Rückschritte. Insgesamt ist das frühe Christentum aber keine Reformbewegung im |108|Judentum, sondern hat die jüdische Religion als Ganze um ein neues Zentrum, Jesus Christus, neu geordnet und interpretiert. Es findet mit dem Christentum eine semiotische Revolution statt, deren Movens die Rekapitulationsdynamik ist, bei der Signifikate neu den Signifikanten zugeordnet und alles von Christus her neu interpretiert wird.[12]
Bereits im Neuen Testament lassen sich deshalb auch Strömungen finden, die über das Festhalten heilsgeschichtlicher Vorzüge Israels hinausgehen und zu einem Universalismus tendieren. »In Christus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist« (Gal 5,6) oder: »Hier ist nicht Jude noch Grieche […] denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus« (Gal 3,28). Ebenso ist die Bewegung, die zur Trinitätslehre führt, bereits im Neuen Testament angelegt. Jesus Christus wird mit dem Titel Herr, Kyrios und sogar »Gott« (Röm 9,5) bezeichnet. Kyrios ist in der Septuaginta die Wiedergabe für den Gottesnamen. Die Rekapitulationsdynamik geht schon sehr früh so weit, dass Christus mit Jahwe identifiziert wird. Dasselbe wird in 2 Kor 3,17 auch vom Geist ausgesagt: »Der Herr (ὁ κύριος) ist der Geist.« Damit sind die Grundlagen für den Trinitätsglauben gelegt, auch wenn die Begrifflichkeit des trinitarischen Dogmas erst in einem anderen Kontext und Jahrhunderte später festgelegt wird.
Eine Hermeneutik, die die Dynamik der Texte aufnimmt, kann deshalb nicht durch Abgleich von Aussagen vorgehen, sondern sie muss die von Christus als der Mitte des Neuen Testaments bestimmte Dynamik verstehen und legitime Dynamiken innerhalb und außerhalb des Kanons von unakzeptablen Dynamiken sowie von Stagnation und Rückschritten unterscheiden. Das Evangelium ist eine »Kraft zur Rettung« (δύναμις εἰς σωτηρίαν, Röm 1,16), keine Sammlung statischer Wahrheiten. Kriterium für die Prüfung solcher Dynamiken ist, ob und inwieweit sie Jesus Christus entsprechen und ob und inwieweit sie als Evangelium, als frohe Botschaft von der Liebe Gottes, rezipiert werden können. Im Rahmen dieses Vortrags habe ich nicht die Zeit, dies im Einzelnen auszuführen. Man kann aber zeigen, dass das trinitarische Dogma eine sinnvolle Darstellung der von Jesus ausgehenden |109|Rekapitulationsdynamik ist. Das Hauptargument ist soteriologisch: Nur wenn Gott in Christus als Mensch erschienen ist, hat er unsere Existenz und ihre Bedingungen angenommen. Wenn nur das Angenommene geheilt und gerettet werden kann, dann lässt sich Heil nur auf der Grundlage der Trinitätslehre denken.[13] Dem Heiligen Geist muss dabei auch die Identität mit Gott zuerkannt werden, weil er den einzelnen Christen in das Heil einbezieht.
5. Jesus Christus, seinen einigen Sohn, unseren Herrn – gedeutet von Gottes Liebe und der Menschlichkeit Jesu aus
»Ist Jesus gleichsam der Text, so ist Christologie das Entziffern, das Vorlesen und das Auslegen dieses Textes.«[14] Geht man von diesem Grundsatz Gerhard Ebelings aus, dann bietet es sich an, die Bekenntnisaussagen von Leben, Lehre und Geschick Jesus aus zu entwickeln. Mit diesem Ausgehen von Jesus von Nazareth, seinem biblischen Bild und den historischen Rekonstruktionen, ergibt sich die Möglichkeit, dass Gott in Christus für uns menschlich erfahrbar wird. Für unsere Passage heißt dies: Jesus wird als der Christus bekannt, weil er sich sehr intensiv mit Messiaserwartungen seiner Zeitgenossen auseinandersetzen musste, was auch dazu führte, dass er als angeblich falscher Messias gekreuzigt wurde. Jesus als Messias zu bekennen, bedeutet, für ihn Partei zu ergreifen gegen andere Messiasbilder und gegen diejenigen, die ihn verurteilt haben. Entsprechend der Rekapitulationsdynamik ist nun von Jesus aus semantisch zu füllen, was mit Messias gemeint ist. Auch die messianischen alttestamentlichen Verheißungen werden von ihm aus legitimiert, kritisiert und interpretiert. So ist Jesus leicht zu identifizieren mit dem messianischen Zitat von Jes 42,7, durch das das Lukasevangelium Jesu öffentliches Auftreten charakterisiert (Lk 4,18f.). Jesus ist der Messias der liebenden Zuwendung an die Schwachen, Armen, Zerschlagenen.
Dass Jesus Gottes einiger, einziger oder heute völlig unverständlich: »eingeborener« Sohn ist, lässt sich dem Gleichnis von den bösen Weingärtnern (Mk 12,1–12 par.) folgend dahingehend verstehen, dass Jesus der einmalige Repräsentant von Gott selbst auf Erden |110|war. Die Inkarnation Gottes hängt mit seiner Wortverkündigung zusammen: »Für die Menschwerdung Gottes kann es nicht als zufällig und nebensächlich gelten, daß Jesus verkündigend auftrat. […] Aus seinem Menschsein ist nicht wegzudenken, dass er sich darein verströmte und sein Leben dafür einsetzte, Gott den Menschen auszusagen und zuzusagen.«[15]
Dass Jesus Christus unser Herr ist, verbindet sich nicht nur mit dem Gottesnamen des Alten Testaments, sondern auch mit einer Kritik anderer Herren. Auch wenn andere Herren und Mächte auf uns Einfluss haben, so ist doch nur er unser Herr.
In diesem Sinne, kann Gerhard Ebeling, der Kirchengeschichtler, der auch Neutestamentler und Systematischer Theologe war, Neutestamentler und Systematiker in der Christologie zusammenbringen und uns zum Achten auf die Menschlichkeit Jesu hinweisen. Um der ethischen Dimension gerecht zu werden, müsste man über Ebeling hinaus natürlich auch Bonhoeffer, von dem Ebeling leider so wenig übernommen hat, mit hineinnehmen. Um ein Beispiel zu geben: Bei der Versöhnung durch Christus ist es aus dieser Sicht nicht so grundlegend oder entscheidend, ob – wie eine wichtige Debatte in der neutestamentlichen Forschung der letzten Dekaden diskutierte – der Bildbereich des Jom Kippur oder der Kaiserideologie prägend ist. Es ist auch nicht so wichtig, welchem der drei Typen der Versöhnungslehre von Gustaf Aulén zu folgen ist, wie dies immer noch von Systematikern diskutiert wird. Sondern man kann davon ausgehen, dass der Mensch Jesus Feindesliebe und Verzeihung gepredigt hat und dass man von ihm erzählen konnte, dass er am Kreuz noch für seine Feinde gebetet habe: »Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun« (Lk 22,34). Aus diesem Geschehen