Grundkurs Soziologie. Hans Peter Henecka

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Grundkurs Soziologie - Hans Peter Henecka

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      Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Unterschiede in den Problemstellungen und in den Antwortversuchen bei den Begründern und »Großvätern« der Soziologie im 19. Jahrhundert – exemplarisch dargestellt anhand der soziologischen Perspektiven von Comte, Spencer und Marx – noch sehr viel größer sind als in der heutigen Soziologie. Unsere etwas saloppe, jedoch nicht respektlos gemeinte Bezeichnung »Großväter der Soziologie« bezieht sich daher eher auf die Gemeinsamkeit des Alters als die der intellektuellen Tradition. Andererseits gibt es aber auch Gemeinsamkeiten, die diese Gründungsphase der Soziologie charakterisieren. Sie sind vor allem in der gemeinsamen Suche nach den Grundlagen des sozialen Wandels, insbesondere nach den Hauptfaktoren der krisenhaften Veränderungsprozesse von der vorindustriellen zur industriellen Gesellschaft zu erkennen.

      Diese Suche nach der Idee der »natürlichen« Gesetzmäßigkeit aller gesellschaftlichen Dynamik wurde zum typischen Merkmal für die Makrosoziologie des 19. Jahrhunderts. Soziologie wurde hierbei je nach Akzent als universale Wissenschaft vom gesamtgesellschaftlichen Wandel verstanden. Ihren Ausdruck fand sie dann in den Varianten einer linearen Fortschrittstheorie oder auch eines evolutionären Fortschrittsglaubens. Denn soviel auch Comte, Spencer oder Marx von »positiven«, »wissenschaftlichen« oder »materialistischen« (was übrigens Marx synonym mit »empirisch« verstanden wissen wollte) Tatsachen sprachen, so war ihre neue Wissenschaft doch vom Ausgangspunkt und vom Ziel her – offen oder versteckt – eher eine Gesellschaftsphilosophie als eine objektive sozialwissenschaftliche Analyse.

      So sieht man – trotz unstreitig bedeutender Einsichten und Beiträge der soziologischen »Großväter« – viele ihrer Aussagen und Folgerungen als zu einseitige Spekulationen an, »weil sie sich entweder zu stark auf Abstraktion stützen oder irgendwelche natürlichen Charakteristika oder auffallenden Formen in den Vordergrund stellen und alle Beobachtungen diesen Vorstellungen unterordnen« (Barley 1978, 3).

       Zur vertiefenden und ergänzenden Lektüre

      Helmut Klages (1972): Geschichte der Soziologie (Darin 4. Kapitel »Europäische Soziologie im 19. Jahrhundert seit der industriellen Revolution«, S. 65–94).. 2. Aufl. Juventa: München.

      Volker Kruse (2012): Geschichte der Soziologie. (Darin Kapitel 2 »Soziologie im 19. Jahrhundert: Comte, Spencer, Marx«, S. 29–73). 2. Aufl. UVK: Konstanz.

1.5.3Soziologie als Erfahrungswissenschaft: Die Klassiker zu Beginn des 20. Jahrhunderts

      War es das große Verdienst der soziologischen Gründungsväter, die beobachtbare soziale Wirklichkeit als das eigentliche Feld des soziologischen Forschens bestimmt zu haben, so war es einer neuen Generation von Sozialwissenschaftlern vorbehalten, die Dimensionen und Grenzen dieses Feldes auf erfahrungswissenschaftlicher Grundlage inhaltlich und methodisch präziser zu bestimmen. Diese gemeinhin als »Klassik der Soziologie« bezeichnete Epoche begann mit dem Ende des 19. Jahrhunderts und ging schon in den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts zu Ende. Dies hing zusammen mit dem Ausbruch des 1. Weltkriegs und den unglücklichen Folgen nationaler Isolierungen sowie mit der bei allen akademischen Disziplinen üblichen Herausbildung von meist an bestimmten Denktraditionen bzw. deren Protagonisten orientierten wissenschaftlichen »Schulen«, die sich auf verschiedene Theorien oder methodische Positionen versteiften und sich auch teilweise (bis heute noch) entschieden »bekämpften«.

      Als wichtigste Vertreter der klassischen Periode der Soziologiegeschichte sind hier – zumindest im europäischen Raum – vor allem zu nennen:

       Max Weber (1864–1920),

       Georg Simmel (1858–1918),

       Vilfredo Pareto (1848–1923) und

       Emile Durkheim (1858–1917).

      Überblickt man das Lebenswerk dieser soziologischen Klassiker am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts, so ist kennzeichnend, dass diese Autoren zunehmend klarere Vorstellungen über die tatsächlichen theoretischen und methodischen Schwierigkeiten gewannen, die komplizierten Verwicklungen und Verflechtungen innerhalb sozialer Gruppen oder gar ganzer Gesellschaften zu entwirren, sich aber dennoch ohne Illusionen auf dieses gewagte Forschungsabenteuer einließen. In ihrer Zeit entstand die Soziologie als eine echte Wissenschaft von der Gesellschaft, konzipiert als Erfahrungswissenschaft, die auf Beobachtung, systematischem Vergleich und Experiment aufbaut. Wenn auch die Soziologie damals noch kaum als eigenständiges Fach an den Universitäten gelehrt wird, sondern meist in Verbindung mit Nationalökonomie, Staatswissenschaften oder Pädagogik in Erscheinung tritt, so wird mit dieser »klassischen« Periode doch die allmähliche universitäre Verortung und Institutionalisierung der Soziologie zumindest vorbereitet. Für ihre Vertreter bedeutete dies u. a., dass sie nicht mehr wie die früheren soziologischen Denker »sich als freie Schriftsteller und Privatgelehrte allein gegen die ganze Welt stellen mussten« (Seger 1970, 58), sondern in ihrer Forschung und Lehre auch einen gewissen akademischen Rückhalt fanden.

      Und noch etwas wird für die Soziologen dieser Generation charakteristisch: Sie wenden sich nicht nur den notwendigen erkenntnistheoretischen und methodologischen Problemen zu, sondern sie befassen sich auch sehr eingehend mit den aktuellen sozialen Fragen ihrer Zeit: z. B. mit dem Problem der Armut (Simmel), der sozialen Lage der Landarbeiter, den Produktionsbedingungen in den Webereien oder auch – grundsätzlicher – mit dem Zusammenhang zwischen protestantischer Religion und kapitalistischer Wirtschaftsgesinnung (Weber), mit der Rolle der Eliten in der Gesellschaft (Pareto) oder etwa mit möglichen sozialen Einflüssen auf die Selbstmordraten (Durkheim).

      Diese Autoren beschränkten sich jetzt darauf, konkrete Aussagen über die soziale Wirklichkeit zu machen und wandten sich somit der Erforschung des sozialen Alltags zu, statt von irgendeinem fiktiven Punkt aus allumfassende Theorien über gesellschaftliche Strukturen und Entwicklungen zu wagen und nicht minder vage Prognosen in eine ferne Zukunft zu formulieren. Dadurch gewann der Einzelne nicht als »reines« Individuum (denn dies ist ja der Forschungsgegenstand der Psychologie), sondern in Verbindung mit anderen als sozial und kulturell geprägte Persönlichkeit, auch verstärkt soziologische Beachtung. Neben der Frage, was für die verschiedenartigen sozialen Gebilde, Gewebe und Verflechtungen konstitutiv wird – also der immer wieder neu gestellten Frage nach dem Rätsel des sozialen Zusammenhalts und seinen zwischenmenschlichen Variationen – erregte das besondere Interesse der Klassiker die Frage nach den wichtigsten Kennzeichen des sozialen Handelns des Menschen, gleichsam verstanden als kleinste soziale Einheit oder molekularer Baustein des Sozialen.

1.5.3.1Max Weber

      Für Max Weber ist das soziale Handeln des Individuums deutlich und »subjektiv sinnvoll« auf einen anderen Menschen bezogen: ein Mensch, der einem anderen Menschen Hilfe suchend oder liebend begegnet; ein Mensch, der einen anderen übervorteilt oder an ihm feindselig seine Aggressionen abreagiert; ein Mensch, der einem anderen über die Ladentheke hinweg eine Ware verkauft oder ihn am Büroschalter berät; einer, der auf ein Podium steigt, sich den Hörern zuwendet und zu ihnen spricht oder einer, der sich an den dort befindlichen Flügel setzt und dem versammelten Publikum Beethovens »Pathétique« interpretiert. Aber: »Nicht jede Art von Berührung von Menschen ist sozialen Charakters, sondern nur ein sinnhaft am Verhalten des anderen orientiertes eigenes Verhalten. Ein Zusammenprall zweier Radfahrer z. B. ist ein bloßes Ereignis wie ein Naturgeschehen. Wohl aber wären ihr Versuch, dem anderen auszuweichen, und die auf den Zusammenprall folgende Schimpferei, Prügelei oder friedliche Erörterung ›soziales Handeln‹« (Weber 1960, 19).

      Nach Weber, dessen Soziologie auch »Verstehende Soziologie« genannt wird, erfassen wir das soziale Handeln eines anderen, wenn wir es auf eigene seelische Erlebnisse und Erfahrungen beziehen. (Von daher wird Weber gelegentlich auch unter die »psychologistischen« Soziologen

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