Grundkurs Soziologie. Hans Peter Henecka
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Da es für die Soziologie leider kein unmittelbares Erfassen ihrer Gegenstände und auch keine Möglichkeit zur Bestimmung eindeutiger Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge gibt, will Weber die Gültigkeit des Verstehens und Erklärens mit Hilfe des sogenannten »Idealtyps« überprüfen. Der Idealtyp ist bei ihm ein konstruierter Begriff, eine gedanklich zugespitzte, überprägnante Idee, die aus der Komplexität der Wirklichkeit einige konstitutiv erscheinende Faktoren als »rein« ausgeprägte hervorhebt, sie also im logischen (nicht unbedingt auch im moralischen) Sinne »ideal« erscheinen lässt, wobei störende und widersprüchliche Aspekte ignoriert werden. Beim Idealtyp handelt es sich also primär um einen heuristischen Begriff, der gewonnen wird »durch einseitige Steigerung eines oder einiger Gesichtspunkte und durch Zusammenschluß einer Fülle von diffus und diskret, hier mehr, dort weniger, stellenweise gar nicht vorhandenen Einzelerscheinungen, die sich jenen einseitig herausgehobenen Gesichtspunkten fügen, zu einem in sich einheitlichen Gedankengebilde« (Weber 1956, 235).
Indessen sind die konstruktiven Begriffe der Soziologie für Weber nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich idealtypisch, so dass das reale soziale Handeln in den meisten Fällen »in dumpfer Halbbewußtheit oder Unbewußtheit seines ›gemeinten Sinns‹« (Weber 1960, 18) verläuft. Die richtige ursächliche Erklärung eines konkreten Handelns bedeutet also, dass der äußere Ablauf und das zugrunde liegende innere Motiv in ihrem Zusammenhang sinnhaft verständlich erkannt werden.
Hierfür entwickelt Weber folgende Typologie des sozialen Handelns:
beim zweckrationalen Handeln wird der eigene Zweck des handelnden Individuums gegenüber den Mitteln rein vernunftmäßig abgewogen;
beim wertrationalen Handeln wird der Handelnde motivisch von einem irrational gesetzten Wert bestimmt;
beim affektuellen Handeln sind Ziel und Verlauf des Handelns Ergebnisse augenblicklicher Gefühle und Stimmungslagen;
beim traditionalen Handeln schließlich beruht das Verhalten auf »eingelebten Gewohnheiten« und irrationalen Überlieferungen.
Entsprechend wird bei Weber die Soziologie zu einer »Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will« (Weber 1960, 5).
Zur vertiefenden und ergänzenden Lektüre
Raymond Aron (1971): Hauptströmungen des soziologischen Denkens. 2. Band. (Darin »Max Weber«, S. 176–250). Kiepenheuer & Witsch: Köln.
Hans Norbert Fügen (1992): Max Weber mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Rowohlt: Reinbek.
Dirk Kaesler (1999): Max Weber. In Dirk Kaesler, Klassiker der Soziologie. Bd. 1, S. 190–212. Beck: München.
Hermann Korte (2011): Einführung in die Geschichte der Soziologie. (Darin »Der Mythos von Heidelberg: Max Weber«, S. 97–116). 9. Aufl. VS: Wiesbaden.
Volker Kruse (2012): Geschichte der Soziologie. (Darin Kapitel 3.5 »Max Weber«, S. 138–163). 2. Aufl. UVK: Konstanz.
1.5.3.2 | Georg Simmel |
Auch in Georg Simmels theoretischem Ansatz stehen im Mittelpunkt des soziologischen Interesses die Prozesse des sozialen Handelns. Soziales Handeln verbindet die Individuen in typischer Weise untereinander und erzeugt wechselseitige Beziehungen, die zu unterschiedlichen sozialen Gebilden kristallisieren können. Hierbei vermischt Simmel bewusst die »subjektive« mit der »objektiven« Bedeutung von sozialen Handlungen und sucht vorrangig nach »Typen« oder »Klassen« von Beziehungsformen, unabhängig davon, welche Bedeutung die handelnden Menschen diesen zeitlosen »Formen der Vergesellschaftung« beimessen.
Gleich, was die Menschen miteinander verbindet oder was sie voneinander abstößt, wie sie sich aufeinander einstellen, sich miteinander einlassen, aufeinander zugehen oder miteinander streiten, – die gleichen formalen Beziehungsformen sind in allen sozialen Verbänden, ob familiärer, religiöser, politischer, wirtschaftlicher oder militärischer Art nachweisbar. Simmel wird von daher zum Begründer einer »formalen Soziologie«, die als ihren Gegenstand nur die zwischenmenschlichen Beziehungen wie Über- und Unterordnung, Konkurrenz, Streit, Nachahmung, Parteibildung, aber auch Neid, Eifersucht u. Ä. anerkennt und gelten lässt.
Soziales Handeln und damit Gesellschaft ist bei Simmel schlechterdings »überall da existierend, wo mehrere Individuen in Wechselwirkung treten«. Von daher wird bei ihm zum konstitutiven Element der Soziologie die soziale Gruppe, die er wie kein anderer vor ihm feinsinnigen qualitativen und vor allem auch quantitativen Detailanalysen unterzieht, von denen die zeitgenössische Soziologie immer noch profitiert. Dies gilt insbesondere für seine klassische Studie des »Streits« als einer Form sozialen Handelns, die ihn zu einem Begründer der soziologischen Konflikttheorie werden ließ.
Zur vertiefenden und ergänzenden Lektüre
Werner Jung (1990): Georg Simmel zur Einführung. Junius: Hamburg.
Birgitta Nedelmann (1999): Georg Simmel. In Dirk Kaesler (Hrsg.), Klassiker der Soziologie. Bd. 1, S. 127–149. Beck: München.
Otthein Rammstedt (2007): Georg Simmel. In Dirk Kaesler & Ludgera Vogt (Hrsg.), Hauptwerke der Soziologie. S. 389–407. 2. Aufl. Kröner: Stuttgart.
1.5.3.3 | Vilfredo Pareto |
Anders als in der Vorstellung von Weber betont der italienische Soziologe Vilfredo Pareto in seinem theoretischen Ansatz die irrationalen und nicht-logischen Quellen des menschlichen Verhaltens. Er sieht das soziale Handeln überwiegend von Gefühlen und Glaubensvorstellungen her bestimmt, wobei das Individuum sich solcher irrationalen Wurzeln des Handelns meist nicht bewusst ist, sondern vielmehr von der »Wahrheit« der überformenden Sinngebungen und der »Logik« seiner Rationalisierungen überzeugt scheint. Pareto erklärt »den geringen Grad von Folgerichtigkeit in der Praxis des sozialen Lebens aus dem großen Einfluß von Residuen (Überbleibseln) und Derivationen (Ableitungen). Jene äußern sich in Instinkten, Gefühlen und dem, was die heutige Psychiatrie ›Komplexe‹ nennt; Derivationen sind die Ideologien, die mehr in Einklang mit den Residuen als mit Erfahrung und Logik stehen« (v. Wiese 1954, 100). »Residuen« sind somit relativ stabile Antriebskräfte und Motivstrukturen, »Derivate« eher variable Ausdrucksformen von Meinungen und Alltagstheorien.
Unter diesen Voraussetzungen sieht er das soziale Handeln als einen Vorgang an, der bestimmt ist von Gewohnheiten, Interessen, aber auch von Leidenschaften und Gefühlen, die zwar beobachtbar und messbar sind, denen jedoch eigentlich erst im Nachhinein ein bestimmter Sinn und eine Rechtfertigung unterlegt wird. »Am Beispiel eines beliebigen, wohlerzogenen Mannes, der einen Salon betritt, seinen Hut abnimmt, einige Worte spricht und bestimmte Bewegungen ausführt, entwickelt Pareto so wesentliche Variablen seiner Analyse. Denn wenn man diesen Mann nach dem Warum seines Verhaltens fragte, so könnte er nur erwidern: das ist so Brauch. Man kann leicht zeigen, dass er sich ganz analog in zahllosen Situationen verhält, die gesellschaftlich von viel weitreichenderer Bedeutung sind« (Eisermann 1973, 28).
Die sozial überwiegend nicht-logisch handelnden Individuen werden gesellschaftlich und politisch von einer Machtelite zusammengehalten,