Emmanuel Lévinas. Barbara Staudigl
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1920 kehrte die Familie Lévinas nach Litauen zurück, Emmanuel legte am jüdischen Gymnasium in Kaunas sein Abitur ab und erlebte als junger Mann die kulturelle Blüte und die geistige Offenheit seiner Heimatstadt Kaunas. »I woke up one day and I knew I was a European« – diese Widmung, die er handschriftlich Dr. Moses Schwabe in seinem Buch Vom Sein zum Seienden zukommen ließ, wird als Hommage an einen europäischen Humanismus gedeutet, den er nicht zuletzt diesem deutschen Schulleiter des jüdischen Gymnasium in Kaunas verdankte (vgl. Miething / Wolzogen, 7f.).
Interessiert an der deutschen humanistischen Tradition und ausgestattet mit guten Deutschkenntnissen, bewarb Lévinas sich 1923 um einen Studienplatz für Philosophie an den Universitäten Königsberg, Berlin und im Rheinland. Er erfuhr Ablehnungen – mit der Begründung, dass der Unterricht in einem jüdischen Gymnasium in Litauen kein ausreichendes Niveau aufweise (vgl. Lescouret, 51). Wie bitter, dass er in diesem Land, dessen humanistisches Erbe er studieren wollte, 20 Jahre später den Inbegriff der Inhumanität in einem Lager für jüdische Kriegsgefangene erleben musste!
Wegen der Ablehnungen in Deutschland ging Emmanuel Lévinas zum Philosophiestudium nach Straßburg und begegnete dort einem Freund: Maurice Blanchot, Journalist, Schriftsteller und Literaturtheoretiker.
»Ich glaube, jeder weiß, was ich Emmanuel Lévinas, meinem nunmehr ältestem Freund und dem einzigen, der mich zum Du autorisiert hat, verdanke. Bekannt ist auch, dass wir uns 1926 in Strassburg kennen lernten, wo so viele große Lehrer uns eine keineswegs mittelmäßige Philosophie lehrten. War diese Begegnung dem Zufall geschuldet? Man kann es so sagen. Doch unsere Freundschaft war weder gewagt noch zufällig. Etwas Tiefes ließ uns zueinander finden. Ich würde nicht sagen, dass es bereits das Judentum war, sondern, neben seiner Fröhlichkeit, jene ernste und schöne Art, in der er, ohne jede Pedanterie, die Tiefen des Lebens auslotete.« (Blanchot 1988)
Dabei waren die beiden jungen Männer höchst unterschiedlich: Lévinas war emigrierter Russe und Jude, geprägt von diesem kulturellen Erbe; Blanchot stammte aus gutbürgerlichen französischen Verhältnissen, arbeitete als Journalist an Zeitschriften der extremen Rechten mit. Auch antisemitische Äußerungen sind von ihm überliefert. Die unterschiedliche politische Haltung mag mit ein Grund für eine zunehmende Entfremdung der beiden Freunde gewesen sein. Gleichwohl war es Blanchot, der Lévinas’ Frau und Tochter half, während des Krieges unterzutauchen.
»Wir verließen Straßburg fast zur gleichen Zeit, um nach Paris zu gehen, aber obgleich unser Kontakt nie abriss, bedurfte es doch der Katastrophe eines entsetzlichen Krieges, um unsere Freundschaft, die vielleicht etwas lockerer geworden war, wieder zu festigen. Um so mehr, als Lévinas, der zunächst in Frankreich in Gefangenschaft geriet, mir auf geheimem Weg die Bitte übermitteln ließ, für seine Lieben zu sorgen, die leider von den Gefahren einer abscheulichen Politik bedroht waren.« (Ebd.)
Die Freundschaft zwischen Lévinas und Blanchot begleitete sie ihr ganzes Leben. Zeugnis dieser Beziehung geben Veröffentlichungen der beiden. Emmanuel Lévinas veröffentlichte im Jahr 1975 eine kleine Schrift Sur Maurice Blanchot, Blanchot beteiligte sich seinerseits 1980 an der Veröffentlichung Textes pur Emmanuel Lévinas und gab einer Erzählung den Namen von Emmanuels Bruder Aminadab.
Im Sommer 1928 ging Lévinas nach Freiburg. Dort begegnete er Philosophen, die sein Denken schulten und prägten und die unterschiedlicher nicht sein könnten: Husserl und Heidegger.
Der Philosophiestudent Lévinas lernte Edmund Husserl zu einem Zeitpunkt kennen, als dieser kurz vor seiner Emeritierung stand. Und dennoch entspann sich zwischen beiden eine enge Beziehung, Lévinas sprach Zeit seines Lebens voller Hochachtung über den Philosophen, aber auch den Menschen Husserl.
Im Jahr 1930 übersetzte Lévinas zusammen mit seiner Mitstudentin Gabrielle Pfeiffer Husserls Cartesianische Meditationen ins Französische, stellte der Übersetzung eine Einführung in die Phänomenologie Husserls voran und trat damit zum ersten Mal als Philosoph in die wissenschaftlichen Öffentlichkeit. Er weiß sich Zeit seines Lebens von der Phänomenologie Husserls beeinflusst.
Exkurs
Edmund Husserl und die Phänomenologie
Edmund Husserl (1859–1938), Mathematiker und Philosoph, gilt als Begründer der phänomenologischen Methode. Er versuchte die Philosophie als apriorische strenge Wissenschaft neu zu begründen, indem er bei den Phänomenen, bei den Sachen selbst, in ihrer Selbstgegebenheit ansetzte und den Verzicht auf jegliches (Vor-)Urteil forderte. Die Phänomenologie stellt die Frage, ob der Erkenntnisgegenstand auch unabhängig vom Bewusstsein wirklich ist und versucht, Meinungen und Vorentscheidungen auszuklammern um zu den Sachen selbst zu kommen (vgl. Müller / Halder, 135f.).
Husserl wurde als zum Protestantismus konvertiertem Juden 1936 die Lehrerlaubnis entzogen.
In Freiburg begegnete Lévinas auch Martin Heidegger, dem Lehrstuhl-Nachfolger Edmund Husserls. Wie die meisten seiner Mitstudierenden war er begeistert von Heidegger. An einem philosophischen Treffen im Jahr 1929 in Davos, das maßgeblich von Ernst Cassirer und Heidegger gestaltet wurde, nahm auch der junge Lévinas teil.
Exkurs
Ernst Cassirer
Cassirer (1874–1945) war einer der bedeutendsten Neukantianer der sog. Marburger Schule. Obwohl er Jude war, war er 1929 noch Rektor der Universität Hamburg geworden, war Professor in Oxford, Göteborg und seit 1941 in New York. Cassirer steht für eine Philosophie, die die formale Betrachtungsweise des Neukantianismus mit einem Sinn für Geschichte verbindet. »Statt lediglich die allgemeinen Voraussetzungen des wissenschaftlichen Erkennens der Welt zu untersuchen, will er die verschiedenen (geschichtlichen) Grundformen des Verstehens der Welt bestimmt gegeneinander abgrenzen: Symbolische Formen in den Grundausprägungen von Sprache, Mythos, Wissenschaft. « (Müller / Halder, 54)
Die Begegnung zwischen Cassirer und Heidegger scheint nicht harmonisch verlaufen zu sein, wie den Protokollen zu entnehmen ist, da beide eine völlig unterschiedliche Philosophie vertraten. »Die eine beruft sich auf die europäische Tradition der Philosophie seit der Aufklärung, und die andere, die einen Neubeginn verkündet, zögert nicht, die Destruktion all dessen anzukündigen, was bisher die Fundamente der westlichen Metaphysik gewesen sind (Geist, Logo, Vernunft).« (Aubenque, zitiert nach Malka, 60). Lévinas stand auf der Seite der neuen Philosophie, war von Heideggers Denken angetan. Der junge Philosoph Maurice de Gandillac, wie Lévinas später Professor an der Sorbonne, berichtete von dieser Begegnung: »Er (Lévinas) sprach von Heidegger voller Verehrung, offenbarte uns alle Nuancen eines Denkens, das ihm bereits wohl vertraut war. Damals verspürte er dieses Misstrauen noch nicht, das sich ihm später aufdrängte.« (Gandillac, zit. nach Malka, 134)
Exkurs
Martin Heidegger
Martin Heidegger (1889–1976) war ein Schüler Husserls, ab 1923 Philosophieprofessor in Marburg, ab 1928 Nachfolger Husserls in Freiburg. Sein Hauptwerk Sein und Zeit ist methodisch der Phänomenologie verpflichtet.
Heidegger geht nicht vom Bewusstsein, sondern vom konkreten Da-sein des Menschen in der Welt aus. Dieses Dasein ist endlich, vom eigenen Tod bedroht. Aufgabe des Einzelnen ist es, im Vorfeld des Todes ein Verhältnis zu seiner eigenen Existenz zu finden (vgl. Müller / Halder, 127f.).
Martin Heidegger trat im Jahr 1933 in die NSDAP ein und wurde im selben Jahr Rektor der Freiburger Universität. Seine Rektoratsrede Die Selbstbehauptung der Deutschen Universität war